Debatte Ecuadors Umweltpolitik: Erdöl oder Leben
Die Initiative Ecuadors, den Regenwald im Yasuní-Nationalpark zu retten, war revolutionär. Spießer wie Entwicklungsminister Niebel haben sie zerstört.
D ie Entscheidung unseres Präsidenten, die Initiative Yasuní-ITT aufzugeben, ist sehr traurig. Das Projekt wollte verhindern, dass Erdöl im Amazonasgebiet gefördert wird. Für die Kompensation des ökonomischen Schadens dieser Umweltmaßnahme allerdings wollte man die internationale Gemeinschaft zur Kasse bitten.
Die Initiative ist gescheitert, und Ecuador und die Welt haben eine revolutionäre Chance, die CO2-Emissionen zu reduzieren, verspielt. Durchgesetzt hat sich Kleinkrämermentalität, die Petrodollars zählt. Von vorausdenkenden Staatsmännern weit und breit keine Spur.
Rafael Correa versucht seine Niederlage damit zu rechtfertigen, dass „die Welt uns hängen gelassen hat“. Ohne Zweifel trifft die internationale Gemeinschaft ein erkleckliches Maß an Schuld. Und doch ist das nur ein Teil der Geschichte. Gehen wir also der Reihe nach vor.
Alberto Acosta wurde 1948 in Quito, Ecuador, geboren und ist Wirtschaftswissenschafter, Politiker und einer der wichtigsten ecuadorianischen Intellektuellen.
Acosta war 2007/08 Präsident der verfassungsgebenden Versammlung und 2007 Minister für Energie und Bergbau in Ecuador. Bei den Wahlen 2013 trat er als Kandidat der Pachakutik an, musste sich aber Rafael Correa geschlagen geben. Für die taz schreibt er seit einigen Jahren.
Die Initiative Yasuní-ITT erhielt massiven Rückenwind, nachdem der Deutsche Bundestag am 5. Juni 2008 beschloss, sie zu unterstützen. Die Regierung Merkel allerdings dachte offenbar gar nicht daran, diese von der Mehrheit der Parlamentarier gefasste Entscheidung umzusetzen.
In sehr bescheidenem Rahmen finanzierte sie nur einige Konzeptstudien zur Initiative mit und gewährte später einige Millionen Euro für Umweltprojekte. Aber der entscheidende Beitrag zum Gelingen der Initiative, der auch andere Geberländer hätte überzeugen können, blieb aus, obwohl der Deutsche Bundestag dafür votiert hatte.
Niebels kolonialer Blick auf die Welt
Der Grund für ihre Zurückhaltung heißt Dirk Niebel. Der deutsche Entwicklungsminister ist bekanntlich nicht nur Lobbyist der Industrie, der FDPler zeichnet sich auch durch eine enorme Spießigkeit aus. Und nicht nur das. Er ist ein Mensch mit einem strikt kolonialen Blick auf die Welt. Impulse aus dem Süden? Damit kann er nicht umgehen, das stört sein Weltbild.
Die Demokratie hat ein Nachwuchsproblem. Heißt es. Dabei gibt es sie: Junge Menschen, die in eine Partei eintreten. Die sonntaz hat sechs von ihnen begleitet – bis zu ihrem ersten Wahlkampf. Die Titelgeschichte „Wer macht denn sowas?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 24./25. August 2013. Darin außerdem: Ein Gespräch mit der Ethnologin Yasmine Musharbash über Monster, und ein Porträt über Wolfgang Neskovic, der einst aus der Linksfraktion ausbrach. Außerdem der sonntaz-Streit zur Frage: Braucht Deutschland Coffeeshops? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Statt in der Initiative Yasuní-ITT einen zentralen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen zu sehen, die die Welt so dringend braucht, glaubte er, dass, wenn Ecuador das Erdöl von Yasuní-ITT nicht fördert, eben nur anderswo nach Erdöl gebohrt würde.
Niebel versteht nicht, dass sich die globalen CO2-Emissionen nur dann um die Hälfte reduzieren lassen, wenn große Mengen an Erdöl, Erdgas und Kohle zu unburnable fuels werden. Das heißt zu Energieträgern, die nicht genutzt werden können. Wir können die fossilen Energieträger nicht einfach weiter in der gewohnten Geschwindigkeit abbauen und verbrennen. Das hat sogar der des alternativen Denkens unverdächtige Economist am 4. Mai dieses Jahres erkannt.
Und wo genau sollte man die Finger von der Erdölförderung lassen? Genau, in Yasuní. Und darüber hinaus auch im Nigerdelta, vor den norwegischen Lofoteninseln, Lanzarote und Madidi in Bolivien, genauso wie in San Andrés y Providencia in Kolumbien. In Nigeria, Ecuador oder Bolivien übrigens auch deshalb, weil hier Menschen unmittelbar bedroht sind. Und generell, weil diese Orte einen hohen Wert haben, auch wenn ein Spießer sie nicht wertschätzen kann: Biodiversität und landschaftliche Schönheit.
In Frankreich und anderen europäischen Ländern lehnt man aus solchen Gründen das Fracking ab. In Indien verzichtet man in Niyambiri Hill in Odisha auf den Bauxitabbau, weil dieser Hügel für die Ureinwohner ein Heiligtum ist wie der Berg Wirikuta in Mexiko für die dortigen Indigenen. Aber Dirk Niebel findet solche Argumente nicht nur nachrangig, er versteht sie gar nicht.
Deshalb hat er auch nicht begreifen können, dass die Initivative Yasuní-ITT Treibhausgasemissionen reduzieren will, indem sie die bisherige Logik der Klimaschutzpolitik über den Haufen wirft. Denn Umweltschutz mit den Methoden des Marktes zu betreiben, etwa durch den Kohlenstoffhandel oder das REDD-Programm zum Walderhalt, bedeutet, deren negative Folgen für indigene Gemeinschaften zu ignorieren.
Solche fiktiven Märkte zu fördern heißt nichts anderes, als Verantwortung zu monetarisieren. Der Erhalt des Regenwaldes wird zur Ware, man kommerzialisiert und privatisiert die Luft, die Wälder und die Erde.
An die Marktlogik geknüpfte Projekte geben keine Antworten auf die wirklichen Gründe des Klimawandels. Und sie verhindern auch die massive Ausbeutung von Bodenschätzen für den Weltmarkt nicht. Im Gegenteil, sie geben sogar große Anreiz für Gemeinden, die Ausbeutung von Bodenschätzen zuzulassen, die sie ansonsten ablehnen würden. Diese aber ist nicht nur für die Unterentwicklung verantwortlich, sondern auch für große Teile der weltweiten Umweltkrise.
Es ist ein Akt merkantiler Blindheit gegenüber der Dringlichkeit einer Wende hin zu einer Post-Erdöl-Zivilisation mit dem Ziel, die Atmosphäre von Kohlenstoff zu befreien.
Niebel hat sich in seinem Debattentext für die taz damals eindeutig festgelegt: Er werde kein Projekt unterstützen, das als Modell für weitere Forderungen nach präventiven Umweltprojekten dienen könnte. Wenigstens an diesem Punkt hatte er offenbar verstanden, dass es bei Yasuní-ITT nicht einfach darum ging, Geld einzusammeln, sondern darum, einen tief greifenden Veränderungsprozess anzustoßen.
Rafael Correa warnte und drohte
Aber auch Ecuadors Präsident Rafael Correa hat die Welt um eine bislang einmalige Chance gebracht. Schon im Jahr 2000 hatten wir ein Erdölmoratorium im Zentrum und im Süden des ecuadorianischen Amazonasgebietes vorgeschlagen. Das fand 2006 Eingang in das Wahl- und dann Regierungsprogramm des Bündnisses País, als dessen Kandidat Rafael Correa zum Präsidenten gewählt wurde. Kurz zuvor, 2005, hatten die Organisationen Oilwatch und Acción Ecológica im Groben das ausgearbeitet, was später die Initiative Yasuní-ITT werden sollte.
Als Correa sich dann als Präsident die Initiative auf die Fahnen schrieb, war das ein Durchbruch. Auf einmal konnte man den Bestrebungen, das Öl im Block ITT (Ishpingo, Tampococha, Titutini) zu fördern, kraftvolle Argumente entgegensetzen. Das Schlimme aber war, dass der Präsident nie aufhörte, Drohungen zu formulieren, etwa beim großen Gipfeltreffen in Cancún 2010. Wenn die internationalen Beiträge nicht in ausreichender Menge fließen würden, so sagte er immer wieder, werden man mit den Bohrungen beginnen.
Das hatte den Geschmack von Erpressung, und es gab potenziellen Unterstützern keinerlei Sicherheit. Dazu kamen die aggressiven Ausfälle des Präsidenten gegen jede Art von Kritik oder Veränderungsvorschlägen.
Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass während der gesamten Laufzeit der Initiative ständig Informationen durchsickerten, dass im Nachbarblock 31 nach Öl gebohrt wurde – was nur rentabel ist, wenn auch in ITT gefördert wird. Daher kamen immer mehr Zweifel daran auf, wie überzeugt die Regierung wirklich von ihrem eigenen Plan war, das Öl nicht zu fördern. Auch die ecuadorianische Regierung unterschätzte die Bedeutung der Initiative, auch ihr fehlte eine klare Strategie.
Im Ergebnis erklärte der Präsident die Initiative für beendet, begründete das mit dem wenigen eingegangenen Geld und wirft damit die Rechte der Umwelt, wie sie in der Verfassung von 2008 festgeschrieben sind, über Bord. Es stimmt nicht, dass „die Initiative ihrer Zeit voraus war und nicht verstanden wurde“, wie Correa behauptet. In Wirklichkeit ist er selbst es, der diesen Vorschlag der ecuadorianischen Gesellschaft nicht verstanden hat.
Jetzt steht die Initiative wieder dort, wo sie begonnen hat: ganz am Anfang. Vorgeschlagen ist ein Referendum, damit die Bevölkerung über die Zukunft Yasunís entscheiden kann. Die Optionen sind klar: Erdöl oder Leben.
Ein kleines Land wie Ecuador hat einen revolutionären Vorschlag zur Rettung der Natur gemacht. Die Regierungen der Welt, einschließlich der ecuadorianischen, haben das nicht verstanden und ließen das Projekt scheitern. Jetzt sind wieder die Bevölkerungen gefragt, auch die ecuadorianische, um einen Neuanfang zu wagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies