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Debatte EU-Türkei-DealDie Alternative heißt Idomeni

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die Brüsseler Kontingent-Pläne sind nicht unproblematisch, aber trotzdem richtig. Und humaner als alles, was bisher diskutiert wurde.

Das Idomeni-Camp an der mazedonischen Grenze am Freitag. Foto: ap

E inen „Game Changer“ nannte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker die Ergebnisse des EU-Gipfels mit der Türkei vom 7. März. Aber mit dieser Begeisterung steht Juncker weitgehend alleine da. Besonders in Deutschland gibt es wenig Euphorie über den ambitionierten Plan, den der türkische Premier Ahmet Davutoğlu mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgeheckt haben soll. Dieser Kleinmut ist bedauerlich, denn Deutschland kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Konservative Kritiker und kurdische Organisationen monieren, dass Merkel der Türkei zu große Zugeständnisse gemacht habe, ja dass sich die Kanzlerin zur Geisel des türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan mache. Menschenrechtler werfen ihr vor, den Flüchtlingsschutz praktisch aufgegeben haben zu haben. Und Skeptiker bezweifeln, dass sich die Pläne überhaupt umsetzen lassen.

Dabei sind die Grundzüge des Plans richtig und die Ziele vernünftig. Es gehe darum, die unkontrollierte Massenwanderung, die bislang über den Trampelpfad der nunmehr verriegelten Balkanroute verlief, in legale Migration umzuwandeln, betont Merkel. Natürlich geht es auch darum, die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, zu verringern. Denn wenn weiterhin so viele Menschen kommen wie in den letzten Wochen, dann werden es in diesem Jahr voraussichtlich noch einmal deutlich mehr sein als die Million, die 2015 nach Europa gekommen ist.

Die Frage ist nicht, ob diese Zahl Europa überfordern könnte. Sondern vielmehr, welche politischen Folgen der ungebremste Zustrom für den Kontinent haben würde, ob Regierungen ihn vertreten können und ob die EU den weiteren Aufstieg rechtspopulistischer Parteien überleben würde. Die Antwort fällt nicht allzu rosig aus.

Idomeni ist keine Alternative

Deshalb sollen Patrouillenschiffe der Nato jetzt die Ägäis kontrollieren und Flüchtlinge, die in Schlauchbooten nach Griechenland übergesetzt sind, wieder in die Türkei zurückgeschickt werden. Im Gegenzug sollen, wenn es nach Merkel und Davutoğlu geht, vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, die schon seit Jahren in der Türkei ausharren, per Kontingent nach Europa ausgeflogen werden. Durch diesen Mix aus Abschreckung und Anreiz, sich für einen Platz im Kontingent zu bewerben, will man möglichst viele davon abhalten, sich auf eigene Faust aufzumachen.

Zwei Punkte an dem Plan sind höchst problematisch: Erstens macht das „Eins-zu-eins-Prinzip“, das die Türkei ins Spiel gebracht hat und das ziemlich nach Kuhhandel klingt, wenig Sinn. Wenn keine Flüchtlinge mehr nach Griechenland kämen, würde die Türkei nicht entlastet. Besser wäre es, wenn sich Europa, und allen voran Deutschland, zur Aufnahme eines festen Kontingents von Flüchtlingen aus der Türkei verpflichten würde. Wo da die „Obergrenze“ läge, darüber ließe sich streiten. Und zweitens muss klar sein, dass die Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei erst nach einer rechtsstaatlichen Überprüfung des Einzelfalls erfolgt und nicht willkürlich nur aufgrund der Herkunft aus einem bestimmten Land.

taz.am wochenende

In der Atompolitik fiel sie um. In der Snowden-Affäre tat sie nichts. In der Flüchtlingspolitik bleibt sie standhaft. Warum man die Geschichte von Angela Merkel immer neu schreiben muss, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 12./13. März. Außerdem: Wie geht es einem, der jahrelang Crystal Meth genommen hat? Und: Die Geschichte einer syrischen Band, deren Mitglieder sich in Berlin wiederfinden. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Auf diese zwei Punkte sollten humanitär gesinnte Kräfte dringen. Und darauf, dass sich Merkel mit ihrem Plan durchsetzt. Denn was wäre die Alternative? Sie ist jetzt schon in Idomeni zu besichtigen: dass sich die Abschottungspolitik eines Victor Orbán durchsetzt, der sich mit Zäunen und Stacheldraht abriegelt, der keinerlei humanitäre Verpflichtung empfindet und gewillt ist, Griechenland mit den Flüchtlingen alleine zu lassen.

Statt sich in Fundamentalopposition zu ergehen, sollten sich Linke in Deutschland dafür einsetzen, dass die Kontingente für Asylsuchende aus der Türkei möglichst großzügig bemessen werden und möglichst viele Syrer und Iraker auf direktem Weg nach Deutschland umgesiedelt werden können. Das würde vielen Menschen das Leben retten, die sich sonst in die Hände von Schmugglern begeben werden.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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9 Kommentare

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  • >möglichst viele Syrer und Iraker

     

    Im Merkel-Chaos-Plan ist nur noch von Syrern die Rede. Kann mir jemand erklären, warum das Einreiserecht auf Syrer beschränkt werden soll?

     

    Das heißt doch Obergrenze von Null für alle Nicht-Syrer.

  • so so.

    ich bleib lieber menschenrechtlerin und fundamentalopposition statts mir eine kontingentlösung unter verletzung des non-refoulement-gebots schönreden zu lassen.

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Obergrenzen?! Wah, der Bax macht den Seehofer!

  • Unabhängig davon - inwieweit ich

    Ihnen in Ihren Ausführungen folgen kann -

    Macht es mich - & so auch hier -

    Immer wieder schlicht sprachlos -

    Daß auch Journalisten wie sorry -

    Blank interessengeleitete Politiker - Daherschwadronieren - ohne die Unabweisbaren - nationalen - Supranationalen & Internationalen/völkerrechtlichen Normen/Vereinbarungen etc - kurz Parameter als Rahmen der Argumentation festzumachen -

    Dieser als mark points zugrundezulegen.

     

    Das liest sich dann so -

    "…Deshalb sollen Patrouillenschiffe der Nato jetzt die Ägäis kontrollieren und Flüchtlinge, die in Schlauchbooten nach Griechenland übergesetzt sind, wieder in die Türkei zurückgeschickt werden…" & weiter

    "…. Und zweitens muss klar sein, dass die Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei erst nach einer rechtsstaatlichen Überprüfung des Einzelfalls erfolgt und nicht willkürlich nur aufgrund der Herkunft aus einem bestimmten Land. Auf diese zwei Punkte sollten humanitär gesinnte Kräfte dringen. …"

     

    Daß es in diesem Bereich klare Rechtliche Vorgaben gibt - die nicht

    " Verhandelbar" sind - auf die

    Niemand lediglich "zu dringen" hat -

    Sondern die (auch) die Kanzlerin via Verfassung/Grundgesetz als

    Unmittelbar geltendes Recht binden;

    Für Verstöße ist gemäß Art 19 GG der Rechtsweg eröffnet!

    Das - mit Verlaub - sollte

    Ihnen bekannt sein & erst von da aus - kann eine verantwortbare - Auseinandersetzung mit der

    Hier aufgeworfenen Problematik

    Seriös erfolgen.

    & mit Verlaub - Herr Bax -

    Wissen könntens dess scho!

    (vgl inne taz ~> http://www.taz.de/!5282415/#bb_message_3350259

    & http://www.taz.de/!5286242/#bb_message_3350960 )

  • Von so manchen Flüchtlingen war zu hören, dass diese "Schmuggler" sie immerhin bis ans Ziel: die EU gebracht hätten. Nur eben dort, in der EU ("wir schaffen das"), würden sie eher ignorant bis mies behandelt.- Und in der Türkei werden Flüchtlingskinder vermehrt als Arbeitssklaven mißbraucht (auch die Taz berichtete darüber).

  • "Besser wäre es, wenn sich Europa, und allen voran Deutschland, zur Aufnahme eines festen Kontingents von Flüchtlingen aus der Türkei verpflichten würde."

     

    Ähm, Nein! Neulich habe ich erfahren, dass die Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention nur "unter Vorbehalt" ratifiziert hat. Doch wenn die Syrer in der Türkei angekommen sind, sind sie den Kriegshandlungen entkommen und damit nach der Definition der GFK eben KEINE Flüchtlinge mehr.

    Weitaus besser wäre es, wenn die EU massiv das UNHCR unterstützt - da kann man zumindest sicher sein, dass es tatsächlich bei den Flüchtlingen - auch in Jordanien und dem Libanon - ankommt: Der Türkei kann man - allerspätestens seit den Erkenntnissen über ihre Zusammenarbeit mit dem IS!!! - nicht mehr trauen: Wir machen hier den Bock zum Gärtner und mit Nazis (Erdogan hat Hitler als "politisches Vorbild" bezeichnet!!!!) sollte man auch keinen "Kuhhandel" eingehen.

    • @Jens Frisch:

      grauslich!

      die Türkei hat die GFK mit einem territorialen vorbehalt ratifiziert. bedeutet: im unterschied zu verfolgten/flüchtenden aus nah+mittel-ost und dahinter haben Sie als Europäer (Sie sehen hoffentlich wie einer aus - sonst könnt's probleme geben) einen anspruch darauf, dass die Türkei prüft, ob Sie flüchtling im sinne der GFK sind. alle anderen haben diesen anspruch nicht, sondern können nur darauf hoffen, dass die registrierung bei UNHCR sie ein kleines bißchen vorm allerschlimmsten schützt. außer folter in türkischen gefängnissen ist das allerschlimmste: die rückschiebung/auslieferung in angrenzende (verfolger)staaten, ggf. mit aussicht auf weiterschiebung - was kundige verbotene kettenabschiebung nennen.

      woraus folgt: auch wenn der syrerin auf türkischem territorium keine faßbomben mehr auf den kopf fallen, ist sie noch lange nicht sicher im sinne der GFK - siehe dazu http://www.unhcr.org/3ae68ccd10.html oder für laien vielleicht leichter verständlich http://www.humanrights.ch/de/service/menschenrechte/non-refoulement/

       

      im übrigen ist es der EU unbenommen, neben der einhaltung internationalen wie europarechts UNHCR zu unterstützen, mit geld und mit resettlement.

    • @Jens Frisch:

      Vollkommen einverstanden! Eine Möglichkeit ist das UNHCR massiv zu unterstützen Wenn Europa nicht mitmacht muß Deutschland alleine zahlen und mit den Geldern an Brüssel verrechnen.

       

      Die Umwandlung von Flüchtlingen in Einwanderer ist unsinnig und führt zu Integrationsproblemen.

       

      Alle diese Menschen, die vor dem Tod flüchten, haben ein Menschenrecht auf Hilfe/Beistand aber kein Recht auf Immigration in andere Kulturräume.

       

      Die Milliarden müssen aufgebracht werden, alle gefährdeten Menschen aus den bekannten umliegenden Krisengebieten z.B. auf "schwimmenden Inseln" Sicherheit zu bieten, umgebaute Containerschiffe von denen hunderte günstig zu haben sind. Auf diesen "Rettungsinseln" können Asylanträge gestellt werden, können die europäischen Staaten geeignete Einwanderer auswählen und ansonsten ist der finanzielle Druck der Finanzierung dieser "Rettungsinseln" ein permanenter Ansporn für die Regierungen, die Fluchtgründe zu beseitigen, damit die Geretteten irgendwann heimgeführt werden können.

       

      Außerdem könnte Europa dann die sich rapide ins Autoritäre wandelnde Türkei weiterhin auf Armeslänge Abstand halten - das Erpressungsmittel wäre dem Obertürken aus der Hand geschlagen und die Milliarden die er schlucken will, wären besser angelegt.

  • Jetzt bleibt wirklich nur noch zu hoffen, dass die anderen EU-Mitgliedsstaaten diesem "Plan" seinen verdienten Platz zuweisen, nämlich in der Mülltonne der Geschichte!

     

    Bitte, bitte Europa...rettet euch und Deutschland vor diesem Merkel-Wahnsinn, DANKE!