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Debatte BildungGut ist nicht mehr gut genug

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die strengen NCs der Universitäten bremsen ganze Abi-Jahrgänge aus. Die Politik braucht eine Antwort auf die Warteschleifen-Problematik.

Das Turbo-Abitur G8 und der Wegfall der Wehrpflicht führten im letzten Jahr zu überfüllten Hörsälen. Bild: dpa

E in Abendessen in Berlin, sieben sogenannte Altlinke in ihren 50ern sitzen bei Hühnchen in Weißwein zusammen und erinnern sich an ihre Durchschnittsnote im Abi, Mitte der 70er. Harhar, das waren noch Zeiten: 3,0! 2,5! „War doch damals völlig in Ordnung.“ Nur die Möchtegern-Ärzte erschufteten sich damals ein Einser-Abi, weil man sich das Medizinstudium sonst abschminken konnte, es sei denn, man war bereit, in Bari oder Bologna zu studieren.

Doch die Stimmung der Runde sinkt, sobald es um den eigenen Nachwuchs und dessen Studierchancen geht: „Sauerei!“ Mit einer Durchschnittsnote von 1,8 kann man heute an der Freien Universität in Berlin nicht mal mehr mit Politikwissenschaft beginnen, einem Fach, das früher als Freifahrtschein in die Arbeitslosigkeit galt.

Wer mit 1,8 Psychologie studieren will, irgendwo im Bundesgebiet, findet sich auf langen Bewerberlisten weit hinten wieder. Und wer mit 2,5 ein Studium der „Sozialen Arbeit“ aufnehmen möchte, bisher nicht als Elitestudium bekannt, muss eventuell lange Wartezeiten einkalkulieren.

Bild: Jutta Henglein-Bildau
BARBARA DRIBBUSCH

ist Redakteurin für Gesellschaftspolitik im Inlandsressort der taz. Zuletzt erschien von ihr das Generationen-Buch für die 50er: „Älterwerden ist viel schöner, als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten“ (Mosaik).

Biografische Brüche

Ein Durchschnitt von 2,9 läuft in den Internetforen von Studienplatzsuchenden unter „schlechtes Abi“, was bemerkenswert ist, denn dieser Wert liegt qua definitionem immer noch zwischen „gut“ und „befriedigend“. In Baden-Württemberg etwa hatten 2011 rund 46 Prozent der Abiturienten eine Durchschnittsnote, die schlechter als 2,5 war. Heute kann man ein solches Abitur kaum noch „Hochschulzugangsberechtigung“ nennen.

Es ist verrückt, dass viele Abiturienten heute auch deswegen auf einen Studienplatz warten müssen, weil ausgerechnet das Turbo-Abi, die Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre, den Universitäten doppelte Bewerberjahrgänge bescherte. Der Wegfall der Wehrpflicht sorgte zudem im Jahre 2011 für ein Bewerberhoch, das sich inzwischen allerdings wieder beruhigte.

Dennoch ist die Zahl der Studienanfänger in diesem Jahr immer noch auf dem zweithöchsten Stand, der jemals registriert wurde. Das Internetportal generation-g8.de rechnet mit Verweis auf das Centrum für Hochschulentwicklung vor, dass im Jahre 2013 immerhin 102.531 Abiturienten ohne Studienplatz sein werden.

Immer mehr Leute machen Abitur, aber das Angebot an Studienplätzen in den beliebten Fächern fängt den Andrang nicht auf. Damit entstehen biografische Brüche und Warteschleifen bei den Jüngeren. Die Problematik ist in der öffentlichen Diskussion noch nicht richtig angekommen.

Es fängt damit an, dass es schon äußerst fragwürdig ist, wenn eine Abiturnote, im Alter von 18, 19 Jahren erworben, darüber entscheiden soll, ob ein junger Mensch ein Studium seiner Neigung beginnen kann oder sich mit Kompromissen zufriedengeben muss. Wo doch die Frage, ob man das „richtige“ Studium machen darf, oft über die Arbeitsmotivation für das ganze Leben entscheidet. Die „Selbstwirksamkeit“, das Gefühl, die Kontrolle über das eigene Leben zu haben, ist eine wichtige Ressource, die nicht beschädigt werden sollte.

Berliner benachteiligt

Hinzu kommen finanzielle Aspekte. Oft bevorzugen Abiturienten ein Studium in Nähe des Heimatortes, weil sich die Eltern keinen Auszug leisten können. Das bestätigt auch der von Bund und Ländern geförderte Bildungsbericht 2012. Dies erzeugt jedoch besonders in Berlin eine schräge Situation.

Aufgrund der Beliebtheit der Stadt und des starken Bewerberandrangs von außerhalb herrschen an den Berliner Universitäten extrem strenge NCs. Nur ein Drittel der Studienplätze ist von gebürtigen Berlinern besetzt. Viele Eltern in der einkommensschwachen Hauptstadt können ihrem Nachwuchs kein Studium finanzieren, weil der Wegzug in eine andere Stadt für sie nicht bezahlbar ist. Verfassungsrechtlich ist dagegen kaum anzugehen.

Vielen Schulabgängern bleibt wenig übrig, als auf die Anrechnung langer Wartezeiten zu setzen, bis endlich der begehrte Studienplatz ergattert ist. Manche Abiturienten beginnen zwischenzeitlich eine Berufsausbildung und verknappen damit das Lehrstellenangebot für junge Leute mit mittlerem Schulabschluss.

Nun mag man argumentieren, eine Zeit der Überbrückung sei doch für 18- oder 19-Jährige keine Katastrophe. Schließlich fällt es vielen schwer, sich in dieser Lebensphase bereits für ein Studienfach zu entscheiden. Wenn man vielleicht am liebsten Event-Management studieren würde, weil dies der Partyexistenz entspricht. Oder Psychologie, weil man sowieso gerne über Befindlichkeiten redet.

Das Problem dabei: Warteschleifen können Motivationen abtöten und kosten Geld. Damit hängt doch wieder vieles vom Portemonnaie der Eltern ab. Ein Bundesfreiwilligendienst im Pflegeheim, Englischunterricht für arme Bergkinder in Peru oder Schafe hüten in Australien: Mit diesen Überbrückungsphasen verdient man eher kein Geld, sondern braucht welches.

Unfreiwillige Bummelei

Über die Homepage des Internetportals G8, das den Studienplatzmangel beklagt, floaten in kleinen Bannern Werbungen für kostenpflichtige private Hochschulen und Universitäten im Ausland. Für ein Studium im EU-Ausland fallen aber meist höhere Kosten an als hierzulande. Kein Wunder, dass die Studierbereitschaft bei Studienberechtigten aus sogenannten bildungsfernen Elternhäusern abnimmt, wie eine Untersuchung zeigt.

Die Politik braucht daher eine Antwort auf die Warteschleifen-Problematik. Das Angebot an Studienplätzen in angesagten Fächern sollte erweitert werden. Der Anteil der Qualifizierung, also der berufsbildenden Elemente, muss bei den Freiwilligendiensten aufgestockt werden, statt die jungen Leute als billige Arbeitskräfte in Pflegeheimen und Kitas auszunutzen. Die Landesregierungen sollten über einen Standortvorteil für Landeskinder an Heimatuniversitäten nachdenken.

Einer in der abendliche Runde der Abiturienteneltern in Berlin will beruhigen: Ist doch vielleicht alles nicht so schlimm. Bei uns hat es früher auch länger gedauert! Stimmt. Aber das Bummelstudium mit Nebenjobs und Urlaubssemestern früher war freiwillig. Die Warterei der Jungen heute ist es vielerorts nicht. Das macht schon einen Unterschied.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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12 Kommentare

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  • B
    Biene

    Der NC war und ist ein zahnlöses Papiertigerlein, da die Abinote wenig Aussagekraft besitzt, mal davon abgesehen, dass ich im Verlauf meiner Juristischen Staatsprüfung Einser Abiturienten habe "abkacken" und Dreier Abiturienten "glänzen" sehen.

     

    Aufnahmetests der Hochschulen sind für mich erste Wahl, die Abinote sollte keine Geige spielen.

  • A
    Alex

    Also das mit den bevorzugten Landeskindern ist so eine Sache. Das Land Bremen hat dies mal versucht, ist aber vor Gericht daran gescheitert. Und überhaupt: Da würde doch wieder laut geschrien werden, dass gefördert werden würde, dass die Kinder bis sie 30 sind zu Hause bleiben. Eine Lösung? Gute Frage... Das Bildungssystem in Deutschland ist doch kaum noch zu retten. Zum Glück muss unsereins keinen perfekten Vorschlag bringen, wir dürfen die bestehende Politik kritisieren. Das meine ich nicht ironisch, die Politiker_innen haben schließlich freiwillig das Zepter in die Hand genommen.

     

    Allerdings ist es tatsächlich schlimm in Berlin mit den Bewerbungen und NCs. Aber was ist die Lösung? Wir in Mainz platzen auch schon, die Stadt kann nicht noch mehr Studierende aufnehmen. Sollen wir alle nach Rosenheim und Deggendorf schicken? Ein Hoch auf die Provinz.

  • R
    Roswitha

    Das ist nur die Antwort auf das verramschte Abitur.

    Hier im Landkreis sind 27 % der Abiturienten stolz auf ihre 1 vorm Komma...Hallo?!?

     

    Ich wusste wirklich nicht,daß sich hier eine ganze Generation von Einsteinern entwickelt.

     

    Irgendwann werden wir für ein verstopftes Klo den Tiefbauingenieur bestellen müssen.....

  • S
    Stefan

    "Die „Selbstwirksamkeit“, das Gefühl, die Kontrolle über das eigene Leben zu haben, ist eine wichtige Ressource, die nicht beschädigt werden sollte." - Steile These; ist das nicht eher ein Privileg für Abiturienten? Oder starten alle anderen beschädigt ist Berufs- und Erwachsenenleben?

     

    Aber warum müssen es auch immer nur die gleichen paar Fächer sein? Deutsche Universitäten bieten (noch) eine unglaubliche Vielfalt an möglichen Studienfächern, die wegen grassierender Phantasielosigkeit viel zu wenig genutzt werden. Beispiel: Die mittelgroße Uni Marburg: Allein 28 B.A.-Studiengänge, von denen 17 keinerlei Zulassungsbeschränkung aufweisen. Und so ist die Situation bei den meisten Unis.

  • H
    heinzl

    Leider ist mit dem NC noch nicht Schluss. Wer sein Studium, egal in welchem Fach mit einem Schnitt von 2,5 bzw. 3,0 abschließt (oder den entsprechenden Gegenstücken) kann die Arbeit in einem verwandten Beruf auch vergessen. Unser Personalchef hat gerade heute bei Essen einen Bewerber so kommentiert: "Diplombetriebswirt mit einem Notenschnitt von 3,2 nur zwei Fremdsprachen, nur zwei vernünftige Praktika und auch schon 27 - warum bewirbt sich so eine Pfeife bei uns?". Auf meinen Hinweis, dass ich mein Juraexamen mit 4,0 bestanden habe, kein Praktikum abgeleistet habe und bei Betriebseintritt schon 28 war, hat er nur treudoof gekuckt und gesagt - "aber Sie haben halt Charisma". Morgen um 11 hat die Pfeife einen Termin bei mir...

  • T
    Tanja

    Empfehlenswert hierzu der Beitrag zum Thema von Nicole Gohlke, die diese Probleme kritisch aufgreift:

     

    http://www.nicole-gohlke.de/

     

    bzw. vom Studierendenverband SDS:

     

    http://www.linke-sds.org/

  • HS
    h s

    In meinem Fach vor 20y ein NC von 1,8, Erstsemester aus ganz Deutschland. Abbruchquote ueber 50% und neben den absoluten Ueberfliegern keine Korrelation mit den Abi-Noten oder Herkunft.

     

    Abi-Noten sind ueberbewertet.

  • AG
    Anton Gorodezky

    An meiner Universität sind alle Studiengänge NC-frei. Aber "Soziale Arbeit" kann man hier halt nicht studieren. Und warum es so viele Studienanfänger in die Großstadt lockt, verstehe ich auch nicht. Das wäre mir viel zu viel Ablenkung.

  • K
    Kimme

    @ Jörn:

     

    meine vollste Zustimmung. Ich selbst war auf einem Fachgymnasium (was ja allgemein auch nicht als höchste aller Bildungsschmieden gilt), während ein Großteil meiner Freunde auf einer Gesamtschule mit Oberstufe waren. Die Aufgaben in den Matheklausuren meiner Freunde waren dermaßen lächerlich,dass es jeglichem Anspruch spottete. Da ist es denn auch egal, wenn man die Abschlussprüfungen vergeigt, wenn man vorher die super Noten geschenkt bekommen hat. Die Leute konnten zwar kaum Englisch oder Mathe, hatten aber alle nen Abi zwischen 1,3 und 2,5.

     

    Und vielleicht sollte man auch mal darüber nachdenken, dass nicht jeder Studieren muss oder sollte. Schließlich braucht man nicht nur Akademiker sondern auch gut ausgebildete Facharbeiter. Oder die Eltern/Student nimmt einen Bildungskredit auf, so wie es in den USA ist. Da müssen dann die Eltern auch kein großes Einkommen habe.

  • FK
    Felix Krause

    Ich erinner mich an eine TAZ, welche das "Bummeln" noch hoch gebrießen hat. Weiter befinde ich mich seit 3 Jahren auf einer Uni auf welcher nun Stimmen laut werden, dass die ganzen 18 und 19 jährigen, von der Schule direkt zur Uni, von Mama direkt ins Studentenwohnheim, überdurchschnittlich abbrechen, weiter nur Fakts wollen und es nicht verstehen zu hinterfragen, zu kritisieren zu reflektieren. Klar sollte keinem Warterei aufgezwungen werden, und auf jeden Fall ist das Berlinbeispiel zu diskutieren, z.B. mit einem Heimvorteil. Doch ist die wichtigere Frage ob der Absatnd zwischen Schule und der sich leider immer mehr verschulenden Uni nicht gelobt und gesellschaftlich anerkannt werden sollte. Ja! Warten hat noch keinem geschadet, und Motivationen werden vielleicht mal genommen, wobei eine Selbsterkenntnis, ein Richtungswechsel noch wenigeren geschadet hat und die Zukunft des eigenen Berufsleben im Gegenteil zu diesem Artikel, fördert.

  • D
    D.J.

    NRW 2012: In meinem Fach NC von knapp über 2,0 (mal mehr mal weniger, je nach Semester). Dennoch ca. 1/4 nicht studierfähig, ein weiteres Viertel zumindest nicht für das Fach selbst geeignet (mangelhafte Sprachbeherrschung). Daneben aber einige brilliante Köpfe, durchaus. Fazit: man kommt sich manchmal vor, als ob man - an der Uni! - gleichzeitig Hauptschüler und Genies unterrichtet. Tolle Sache, solche Bildungsreformen :)

  • J
    Jörn

    Die "strengen" NCs sind eine Antwort auf die inflationäre Notengebung, insbesondere an linksgrünen Bildungsanstalten, wo bereits das Vortanzen einer quadratischen Gleichung zum Mathematik-Abitur genügt.