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Debatte ArbeitszeitHaut endlich ab, schlechte Vorbilder

Kommentar von Thomas Gesterkamp

Die Forderung der IG Metall nach kürzeren Arbeitstagen verstört die Arbeitgeber. Denn die Kampagne berührt einen kulturellen Konflikt.

Es gibt Wege aus dem Hamsterrad der Arbeit Foto: Imago/Blickwinkel

S päter kommen oder früher gehen, mehr Zeit für Kinder, Freunde oder Sport, und dabei auch noch genauso viel verdienen wie zuvor: das klingt wie ein alter gewerkschaftlicher Traum. In den Altenheimen und Kliniken der schwedischen Stadt Göteborg wurde dieser Traum 2015 Realität.

Pfleger und Krankenschwestern arbeiten dort nur noch sechs Stunden pro Tag – bei vollem Lohnausgleich. Seither fühlen sie sich entspannter, machen weniger Fehler und sind außerdem auch seltener krank. Umgekehrt verzeichnen die Personalabteilungen auf der Suche nach Fachkräften plötzlich mehr Bewerbungen.

Das Arbeitszeitexperiment verursacht allerdings auch zusätzliche Kosten, weil neue Stellen eingerichtet wurden. Eine höhere Produktivität soll das ausgleichen, schließlich leisten ausgeruhte Beschäftigte mehr als erschöpfte. Doch ganz so leicht geht die Rechnung nicht auf.

Anfangs habe man das ambitionierte Ziel verfehlt, geben die Initiatoren aus Krankenhäusern und Stadtverwaltung zu. Eine Studie der Universität Stockholm macht ihnen allerdings Mut: Danach bringt das innovative Zeitmodell langfristig allen Beteiligten Gewinn. Auch an anderen Orten in Schweden laufen inzwischen Versuche mit Arbeitszeiten unter 30 Wochenstunden.

Ein auf Erwerbsarbeit fokussiertes Leben

Hierzulande ist man von der Verwirklichung solcher Utopien weit entfernt. In den laufenden Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie verlangen Gewerkschafter neben einer Lohnerhöhung das Recht, für bis zu zwei Jahre höchstens 28 Stunden zu arbeiten – etwa um Angehörige zu pflegen oder Kinder zu versorgen. Die Durchsetzungschancen dieser Forderung stehen trotz des üblichen Säbelrasselns und der Warnstreiks schlecht.

Thomas Gesterkamp

ist Politikwissenschaftler und Autor. In seinen Texten und Büchern hat er sich schon häufig mit dem Thema Zeit beschäftigt – und sich gewundert, warum auch Menschen, die es nicht nötig haben, ihr ganzes Leben nach der Erwerbsarbeit ausrichten.

Dass sie (scheinbar) „private“ Tätigkeiten mit einem Zuschuss subventionieren sollen, liegt für viele Unternehmer schlicht jenseits ihrer Vorstellungskraft. „Bezahlen für nicht geleistete Arbeit? Das geht nicht“, so ein Firmenchef aus der Autozulieferbranche in einem Interview. Kategorisch weigern sich die Arbeitgeberorganisationen, dieses Thema überhaupt zu verhandeln.

Die IG Metall beißt mit ihrer Arbeitszeitkampagne auf Granit. Dahinter steckt neben dem ritualisierten Machtpoker auch ein tief sitzender kultureller Konflikt. Viele (männliche) Betriebsleiter kennen schlicht nichts anderes als ein auf Erwerbsarbeit fokussiertes Leben mit 50 Wochenstunden und mehr. Als Vorgesetzte wollen sie ihre MitarbeiterInnen dazu erziehen, diesem schlechten Vorbild zu folgen. Weil sie sämtliche häuslichen Aufgaben – nicht nur die Erziehung der Kinder – unhinterfragt an ihre Ehefrauen delegiert haben, fehlt ihnen jedes Verständnis dafür, dass ihre Untergebenen mehr Zeit brauchen sollten.

„In Wahrheit kann man in den freien Stunden gut schwarzarbeiten“, argumentiert zum Beispiel ein Verband der Metallindustrie. Dass vor allem ein Teil der jungen Leute anderen Werten folgt, die Aussicht auf eine lebenslange 40-Stunden-Stelle nicht beruhigend findet, sondern als Zumutung betrachtet, gilt in diesen Kreisen als Symp­tom des Verfalls der bewährten deutschen Arbeitsmoral.

Der Wunsch nach einem weniger stressigen Leben

Die Wirtschaftslobbyisten sehen den Veränderungsbedarf deshalb ganz woanders: Sie stellen mühsam erkämpfte Mindeststandards, die die Länge der betrieblichen Anwesenheit begrenzen, grundsätzlich infrage. Sie wollen eine vollständige Freigabe – aber nicht nach unten, sondern nach oben.

Sechsstundentag in Schweden: ArbeitnehmerInnen sind leistungsfähiger, zufriedener und seltener krank

Versuche, kürzere Arbeitszeiten bei vollem oder teilweisem Lohnausgleich durchzusetzen, haben historisch stets eine enorme Strahlkraft auf die Belegschaften entfaltet. So fanden die Streiks für die 35-Stunden-Woche in den 1980er Jahren breite ­Unterstützung, weil damit der Wunsch nach einem besseren, weniger stressigen Leben verknüpft war.

Gewerkschaftsfrauen forderten schon damals den Sechsstundentag, nicht zuletzt wegen der Sorgepflichten erwerbstätiger Mütter nach dem traditionellen Rollenmodell der Geschlechter. Auch die Senkung der Arbeitszeit im Volkswagen-­Konzern ein Jahrzehnt später hatte eine – so gar nicht beabsichtigte – kulturelle Komponente. Eigent­lich als Instrument der „Beschäftigungssicherung“ währen einer Absatzkrise gedacht, verbesserte die starke Verkürzung der Schichtdienste die Lebensqualität der Automobilwerker, wie diese überrascht feststellen konnten.

Entgegen den damals von Boulevardzeitungen verbreiteten klischeehaften Berichten über Schwarzarbeit und überfüllte Baumärkte nutzten laut Ergebnissen wissenschaftlicher Studien gerade Väter ihren größeren zeitlichen Spielraum für mehr Präsenz in der Familie.

Mehr Zeit wichtiger als mehr Lohn

Die IG Metall vollzieht gerade einen überfälligen Kurswechsel. Der Lohn des männlichen Ernährers, der für die ganze Familie reichen sollte, war in der Vergangenheit das Maß aller Dinge. Auch in den letzten Jahren hat sich die Gewerkschaft, trotz anders lautender Rhetorik, immer auf Einkommenszuwächse konzentriert.

Zwar verwiesen die Funktionäre in Interviews auf den in Onlinebefragungen ermittelten Wunsch ihrer Mitglieder nach zeitlicher Flexibilität. Sie lobten auch die Pläne der früheren Familienministerin Manuela Schwesig, die verkürzte Arbeitszeiten für Eltern gesetzlich durchsetzen wollte. Sogar ein Plakat wurde entworfen, auf dem zwei Kinder in Anlehnung an die 1950er Jahre skandierten: „Nachmittags gehören Mutti und Vati mir!“ Das war eine wichtige Aussage, denn Eltern hilft ein kurzer Sechsstundentag mehr als etwa eine Viertagewoche.

Doch gebraucht wurde das Motiv bisher nie, Gesprächsergebnis war stets ein Plus auf dem Konto. Jetzt sollten die Gewerkschafter wirklich „Arbeit neu denken“ – wie der Vorsitzende Jörg Hofmann behauptet – und in den Auseinandersetzungen der kommenden Wochen hartnäckig bleiben.

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7 Kommentare

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  • "Anfangs habe man das ambitionierte Ziel verfehlt, geben die Initiatoren aus Krankenhäusern und Stadtverwaltung zu. ..." Der Artikel vermeidet, etwas geniert, klar darauf hinzuweisen, daß das so progressive Projekt bis heute im "Anfangs" steckt. Das heißt, die verkürzte Arbeitszeit der Stammbelegschaft muß mit zugekauften Dienstleistungen ergänzt werden. Die Mehrkosten zahlen die Kranken oder die Steuerzahler. Glaubt der Autor im Ernst, daß ein solch simples und uraltes Modell progressiv ist?

  • Kann man in Deutschland vergessen, jedenfalls solange dieselbe Art Leute in der Polustrie am Ruder sind.

     

    Wünschenswert wär's. Arbeit ist das halbe Leben, aber eben auch nicht mehr als das...

     

    Anfangen könnte man mit Sechsstundentagen im Winterhalbjahr... zur Arbeit, wenn's dunkel ist, nach Hause, wenn's dunkel ist... ganz normal ist das nicht.

     

    Ach nee, geht ja wegen Weihnachten nicht... konsumieren will man ja schon...

  • Womit sollen die Menschen denn ihr Leben ausfüllen wenn nicht mit erfüllender Arbeit bzw. deren Ergebnissen? Mit Freizeitaktivitäten, Kindererziehung (wie viele Jahre?) oder Sport?

    Ich kenne viele Leute die in den Ruhestand getreten sind und sehr schnell die Nase davon voll hatten.

  • Es geht nicht nur um Rationalität und Effizienz, sondern vor allem um Unterordnung und Macht. So ist es in autoritären Gesellschaften Südkoreas und Japans üblich, dass die Angestellten bis spätabends im Büro bleiben, ohne diese Zeit unbedingt mit notwendiger Arbeit zu füllen. Der Sinn ist auch nicht Arbeit, sondern die jederzeitige Verfügbarkeit über die Zeit der Angestellten und die Unterordnung unter die Kontrolle der Firma.

    Je mehr Lebenszeit ein Angestellter im Betrieb verbringen muss, um so mehr wird im dieser auch Umwelt und Lebensszweck, von dem er psychologisch abhängig ist. Angestellte mit einem glücklichen ausgefüllten Privatleben, mit einem dichten sozialen Netz und vielen erfüllenden Hobbys sind die unsichersten Kantonisten, weil sie die Arbeit nur zum Geldverdienen brauchen, aber kein lebenszeitliches Stockholm-Syndrom entwickelt haben.

     

    Und wo in Japan noch die quasifeudale Herrschaftslogik von Loyalität und Fürsorge existiert, sollen die Mitarbeiter in Deutschland natürlich mit ihrer Lebenszeit ihren Lebenssinn an den Arbeitsplatz binden aber gleichzeitig das Gefühl bekommen, jederzeit vom Hof gejagt werden zu können.

  • Ich schreib hier nur mal den Namen Heinz-Josef Bontrup. Da gibt es reichlich Footage auf u-tube. Nicht nur vom roten Tuch K.J.

    Vermutlich wird hier niemand auf den Dreh kommen, dass .... ach egal

    • @j k:

      Danke für den Tipp.

  • Zitat: „Doch gebraucht wurde das Motiv bisher nie, Gesprächsergebnis war stets ein Plus auf dem Konto.“

     

    Selbst das stimmt nur bedingt. Inflationsbereinigt sinken die Nettolöhne in den meisten Branchen seit Jahrzehnten, obwohl die Dividenden wachsen. In sofern müssen die Gewerkschafter Arbeit nicht ganz neu denken, sondern vor allem erst einmal ihre eigene wieder ernst nehmen.

     

    Schon klar, dass Ausbeuter aufjaulen, wenn man ihnen sagt, dass sie welche sind. Wer wird schon gerne konfrontiert mit seinen negativen Seiten? Fakt ist aber auch: Menschen sind keine Maschinen. Wer sie einsetzt, um eigene Ziele zu erreichen, der hat verdammt noch mal die Pflicht dafür zu sorgen, dass dieser Einsatz auf die Dauer nicht zu Lasten des Beschäftigten geht. Und zwar nicht nur um der Beschäftigten willen, sondern auch aus Rücksicht auf sein ganz privates Ego.

     

    Im Augenblick befördern die Globalisierung und der wachsende Konkurrenzdruck diverser „Underdogs“ natürlich die Gier mancher Entscheidungsträger. In der produzierenden Wirtschaft nicht weniger, als im sozialen Bereich. Kein Wunder, dass nach Jahren der einsparungsbedingt zunehmenden Belastung die mit mehr Freizeit verbundene Produktivitätssteigerung zunächst kaum messbar ist. Die Leute haben einfach etwas nachzuholen. Wenn sie sich richtig ausgeruht haben und ohne unnötige Gängelei arbeiten dürfen, werden sie auch wieder produktiver.

     

    Das war – ausweislich der Gewinnchargen – 1965 so, als die 40-Stunden Woche eingeführt wurde in der BRD, es war 1990 nach der Einführung der 35- bzw. 38,5-Stunden-Woche so und es wird auch nach Einführung der 30-Stunden-Woche so sein. Dass manche Alphatiere ihre eigene Erfolgsgeschichte nicht kapieren wollen, sollte die Gewerkschaften nicht davon abhalten, die Unternehmer zu ihrem Glück zu zwingen, finde ich. Auf einen groben Klotz gehört schließlich ein grober Keil.