Debatte Afghanistan-Einsatz: Freiheit ist kein Ziel mehr

Deutsche Politiker wollen nicht mehr für Menschenrechte, sondern nur noch für westliche Interessen kämpfen lassen. Eine Bilanz.

Liest man die Begründungen für den fortdauernden Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, so ist ein Argument wie vom Erdboden verschluckt: Deutsche Soldaten sind unerlässlich für die Durchsetzung der Menschenrechte. Das jetzt die deutsche Diskussion beherrschende Kriegsziel, die Herstellung von Stabilität in der Region, ist von dem ursprünglichen Postulat abgekoppelt, mittels der militärischen Besatzung für demokratische Verhältnisse und für die Rechte und Freiheiten der Afghanen einzutreten.

Der beschwörende Ton, mit dem sich Menschenrechtsgruppen an die Londoner Afghanistan-Konferenz im Januar dieses Jahres wandten, um bei einem möglichen Kompromiss mit den Taliban die Menschenrechte einzuklagen, zeigt an, wie sehr sich der Wind bei den Staatsleuten, den ehemaligen Champions der Menschenrechte, gedreht hat. Wie ist es zu dieser Wende gekommen, und wie sollen diejenigen, die der Intervention in Afghanistan kritisch gegenüberstehen, auf sie reagieren?

ist seit 1989 bei der taz. An dieser Stelle schrieb er zuletzt über die Darstellung des Mauerfalls als "heitere Revolution".

Die menschenrechtliche Begründung kriegerischer Unternehmungen seitens der USA und ihrer Verbündeten hatte sich im letzten Jahrzehnt als geschicktes, allerdings auch als riskantes Manöver erwiesen. Geschickt, weil die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, als die Amis die Guten waren und für universelle Werte eintraten, mobilisiert werden konnten. Riskant, weil der Rechtfertigungsdruck, tatsächlich durch den Krieg den Menschenrechten zum Sieg zu verhelfen, in der Öffentlichkeit besonders hoch war. Um demokratischen Gesellschaften Kriege schmackhaft zu machen, bedarf es außerordentlicher legitimatorischer Anstrengungen. Und die Intervention muss schnell gehen und nur geringe eigene Opfer fordern.

Die gesamte Besatzungspolitik der USA und ihrer Verbündeten seit 2002 folgte einer menschenrechtlichen, universalistischen Rhetorik. Nach ihr ging es in Afghanistan darum, den Grundfreiheiten der Afghanen Raum zu schaffen und für menschenwürdige Lebensbedingungen Sorge zu tragen. Das Petersberger Abkommen von 2002 folgte genau dieser Logik.

Auch der Einsatz deutscher Truppen im Norden Afghanistans zehrte zunächst stark von dem auf Aufbau, nicht auf Zerstörung zielenden menschenrechtlichen Impuls, sodass sich in der Öffentlichkeit eine Zeit lang das Trugbild von der Truppe als freundlichem Entwicklungshelfer festsetzen konnte. Als aber auch nach Jahren kein Ende des Krieges in Sicht war, die Taliban erstarkten und auch im einst friedlichen Norden Kämpfe entbrannten, wurde das Image von der menschenrechtlichen Mission brüchig. Zu dieser Verunsicherung der Öffentlichkeit trugen auch die Arbeiten investigativer Journalisten wie die Mark Thörners bei. Sie bewiesen, dass unter den Augen der Deutschen im Norden Afghanistans die herrschenden Kriegsherren sich massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig machten, ethnische Säuberungen an der paschtunischen Minderheit durchführten, den Schmuggel organisierten, Verwaltung und Justiz kontrollierten. Die Deutschen wurden jetzt als das erkennbar, was sie immer gewesen waren: eine Partei im Bürgerkrieg. Deutsche Soldaten sollten der deutschen öffentlichen Meinung nach ein unbeflecktes Banner hochhalten. Das Bombardement bei Kundus und der Tod von über 100 Zivilisten hat dieses St.-Georgs-Bild zerstört.

Jetzt wetteifern die deutschen Politiker darin, sich vom hohen Ton der Menschenrechte abzusetzen, allen voran der alerte Verteidigungsminister, der "selbstkritisch" meinte: "Wir haben Gründe nachgeschoben, um in schwierigen Momenten auch mal die Anerkennung unserer Bevölkerung zu bekommen." Wer von den deutschen Politikern redet jetzt noch von diesen "nachgeschobenen Gründen", also den Frauenrechten, der Meinungs- und Religionsfreiheit? Jetzt geht es um eine Verabredung mit den "vernünftigen" Taliban, die, wenn alle menschenrechtlichen Flausen beseitigt sind, vielleicht auch al-Qaida aus Afghanistan herauskomplimentieren werden.

Vereinzelt hört man noch Stimmen wie die von Tom Koenigs (Die Grünen), der für eine fortdauernde deutsche Truppenpräsenz mit dem Argument streitet: "Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Demokraten in Afghanistan." Als ob die Deutschen nicht alles getan hätten, um diese Verantwortung zu ignorieren. Sodass viele der afghanischen Demokraten, viele der Menschenrechtsaktivisten den Abzug ausländischer Streitkräfte als erste Bedingung für ihre Arbeit ansehen.

Indes wäre nichts falscher, als angesichts dieser trostlosen Bilanz den Schluss zu ziehen, der Rekurs auf die Verteidigung der Menschenrechte sei generell ein illusorisches Unternehmen. Seitdem die Linken ihre vormals kritische Haltung gegenüber der Idee der Menschenrechte überwunden haben, ist es ein Privileg der rechten Konservativen, eine menschenrechtsorientierte Politik im Namen des "Realismus" abzulehnen. Im Hinblick auf Afghanistan lautet das Argument, der Geschichte und Kultur dieses Landes seien beispielsweise Menschenrechte für Frauen völlig fremd. Deshalb sei es ein arrogantes wie vergebliches Unterfangen, dem Land Menschenrechtsstandards aufzuzwingen. Solche Argumente werden allerdings regelmäßig vorgebracht, ohne die Opfer zu hören.

Nicht die Verteidigung der Menschenrechte in Afghanistan ist lächerlich, sondern der Versuch, mithilfe der Menschenrechtsrhetorik militärische Unternehmungen zu rechtfertigen, die in Wahrheit der Macht- und Interessenpolitik geschuldet sind. Die Behauptung, sich militärisch für die Menschenrechte einzusetzen, macht sich deren wachsender Popularität zunutze. Aus den entlegensten Winkeln der Welt wird uns täglich das Unrecht vor Augen geführt und schärft das Bewusstsein für unsere globale Verantwortlichkeit. Der Wunsch nach Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes gewinnt an Bedeutung, die "Kultur der Straflosigkeit" wird zunehmend abgelehnt. Die Resonanz auf die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs ist hierfür positives Indiz. Gerade deshalb war der nur vorgebliche Eintritt für die Menschenrechte auch seitens der deutschen Regierung das größte denkbare Betrugsmanöver.

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