Debatte AfD: Die reaktionäre Mittelschicht
Das mögliche Ende der Pegida-Bewegung bedeutet noch längst nicht das Ende der stärker werdenden rechten Bewegung in Deutschland.
S eit ihrer Gründung vor knapp zwei Jahren hat die Alternative für Deutschland (AfD) die Parteienlandschaft gehörig umgepflügt. Vielfach ist zu hören, aus der wirtschaftsliberalen Anti-Euro-Partei habe sich eine Rechtsaußen-Partei entwickelt.
Es stimmt zwar: Bernd Lucke öffnete die Partei nach der Bundestagswahl bewusst nach rechts, wie kürzlich aus internen Mails hervorging. Auch deshalb konnte der Rechtsaußen-Flügel im Verlauf deutlich an Einfluss gewinnen, während sich Liberale, deren Liberalismus sich nicht auf wirtschaftspolitische Fragen beschränkt, aus der Partei verabschiedeten. Doch der Fokus auf die Rechtsentwicklung übersieht, dass die Partei von Anfang an als Zusammenschluss aus National-Neoliberalen und Rechtskonservativen und damit als rechtes Bündnis konzipiert war.
Neben VWL-Professoren um Bernd Lucke gehören auch rechtskonservative Netzwerker wie Beatrix von Storch zum Gründungspersonal. Die AfD war und ist daher weder nur rechtspopulistisch noch nur nationalkonservativ oder nur national-neoliberal. Vielmehr ist sie eine rechte Sammlungspartei, die weite Teile der in Deutschland gespaltenen Fraktionen des rechten Lagers binden möchte. Die AfD ist damit Teil eines Phänomens, das weit über die Umwälzungen im Parteienspektrum hinausweist. Insgesamt formiert sich in Deutschland eine Bewegung, die auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen für ein rechtes Projekt beziehungsweise eine rechte Gesellschaft wirbt.
ist Publizist und lebt in Berlin. Im Januar erschien bei Bertz + Fischer sein Buch „Der Aufstieg der AfD. Neokonservative Mobilmachung in Deutschland“.
Medial wird die AfD begleitet durch die Wochenzeitung Junge Freiheit. Im Netz gibt es eine ganze Reihe von bekannten Blogs und Seiten wie „Politically Incorrect“, „blu-News“ und „Die freie Welt“, die sich der Sache der AfD verschrieben haben. In den vergangenen Jahren sind zudem zahlreiche reaktionäre Bücher zur Einwanderung oder der Rolle der Frau erschienen, die den gesellschaftlichen Diskurs prägen konnten.
Der Druck von der Straße
Hinzu kommt der Druck von der Straße: Seit Oktober letzten Jahres gehen – organisiert von Pegida – in Dresden jeden Montag Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die angebliche „Islamisierung“ Deutschlands zu protestieren. Der Mobilisierungserfolg reiht sich ein in zahlreiche Demos gegen Abtreibung oder Lehrpläne, in denen sexuelle Vielfalt thematisiert wird, sowie die vielen Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte.
Eine weitere Rolle für die rechte Bewegung spielen neokonservative Denkfabriken, in denen AfD-Granden, rechte Medien und unabhängige Intellektuelle eng miteinander vernetzt sind. Hans-Olaf Henkel, stellvertretender AfD-Vorsitzender, ist Mitglied des Kuratoriums der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft, Joachim Starbatty und Beatrix von Storch, beide AfD-Abgeordnete im Europaparlament, sind dort ebenfalls Mitglied.
In den vergangenen Jahren hat sich in Deutschland eine Gruppe von Unternehmern gebildet, die sich von der vorherrschenden Politik nicht mehr vertreten sehen. Ihre mittelständischen Unternehmen haben sich aus dem Interessensverbund des transnationalen Kapitals gelöst und setzen auf regionale und lokale Absatzmärkte. Für sie macht es daher keinen eklatanten Unterschied, ob die Waren in Euro oder D-Markt bezahlt werden. Maßnahmen zur Stabilität des Euro würden im Gegenteil, so ihre Befürchtung, mehr schaden als nützen.
Zudem gründet sich der AfD-Erfolg auf den reaktionären Teil der Mittelschicht. Anhand vorliegender Wahlanalysen lässt sich zeigen, dass der typische AfD-Wähler männlich, unter 45, Arbeiter oder selbstständig ist, der Mittelschicht angehört und überdurchschnittlich gut verdient (die Arbeiter unter den AfD-Wählern dürften mehrheitlich Facharbeiter sein). Er pocht auf deutsche Interessen, Kriminalitätsbekämpfung sowie auf Einschränkung der Einwanderung.
Unsolidarisch und rassistisch
Gleichzeitig ist er von der Parteiendemokratie enttäuscht und in hohem Maße verunsichert, was seine ökonomische Zukunft angeht. So hat er erhebliche Angst vor dem sozialen Abstieg, was nicht ganz unberechtigt ist, denn Studien belegen, dass die Mittelschicht in den vergangenen Jahrzehnten erheblich geschrumpft ist.
Diese Ängste werden durch das rechte Projekt aufgegriffen und verstärkt. Die AfD bietet eine entsprechende parlamentarische Kanalisierung an. Jüngst konnte die von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene Studie von Andreas Zick und Anna Klein „Fragile Mitte – Feindselige Zustände“ aufzeigen, dass es einen engen Zusammenhang gibt zwischen dem Gefühl, durch die (aktuellen) Entwicklungen in Europa etwas verlieren zu können oder etwas hergeben zu müssen, einer ökonomistisch und menschenfeindlichen Einstellung sowie den Sympathien für die AfD.
Die Grundhaltung des reaktionären Teils der Mittelschicht ist geprägt von Entsolidarisierung, Rassismus und Wohlstandschauvinismus, von Ungleichheits- und Wettbewerbsideologien. Die neoliberale Ideologie, die auf Wettbewerb, Marktfundamentalismus und Individualismus setzt, dürfte hier deutliche Spuren im Bewusstsein der Menschen hinterlassen haben. Es ist zugleich der Schwäche der gesellschaftlichen Linken geschuldet, dass Ansätze der Krisenverarbeitung nicht im Kontext von Solidarität und Kooperation verlaufen.
Versuchslabor für rechte Politik
Die AfD, als parlamentarischer Arm eingebettet in eine breite rechte Bewegung, schickt sich an, die Gesellschaft in Richtung rechtskonservativer Werte und einer national-neoliberal-ökonomistischen Logik zu radikalisieren. Die Partei ist dabei auch das Versuchslabor für das rechte Projekt. An ihr wird sich zeigen, ob ein Konsens zwischen den widerstreitenden Positionen innerhalb der traditionell gespaltenen Rechten in Deutschland herstellbar ist.
Mittelfristig werden sich die AfD-Oberen wahrscheinlich auf Themen verständigen, die ähnlich konsensfähig sind, wie es die Ablehnung der Euro-Rettungspolitik in der Gründungsphase der Partei war. Ob eine langfristige Einigung der unterschiedlichen Strömungen gelingt, wird stark von der Arbeit der Brückenbauer in der Partei abhängen. Vor allem Bernd Lucke versteht es bislang, als Zentrist zwischen dem national-neoliberalen und dem Rechtsaußen-Flügel zu vermitteln.
Für das rechte Projekt wird es aber auch darauf ankommen, wie es mit den rechten sozialen Bewegungen auf der Straße weitergeht. Momentan zeichnet sich, begünstigt durch das Versäumnis, das Gemeinsame voranzustellen, ein Ende des Pegida-Mobilisierungserfolgs ab. Doch ein Ende der rechten Welle bedeutet das noch nicht.
Der bemerkenswerte Erfolg der Pegida, über Wochen hinweg die öffentliche Debatte zu dominieren, dürfte das rechte Spektrum motiviert haben und könnte auch mittel- und langfristig Wirkung zeigen.
Der Weg auf die Straße bei einem nächsten Anlass dürfte deutlich leichter fallen, den Weg kennt man ja schon. Womöglich ist der Kamm der rechten Mobilisierungswelle noch gar nicht erreicht.
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