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Davutoğlu verlässt RegierungsparteiUm Erdoğan wird es noch leerer

Er war sein Weggefährte, dann distanzierten sie sich. Jetzt hat der ehemalige türkische Regierungschef seinen Austritt aus der AKP verkündet – und will noch weiter gehen.

Bay bay, Erdoğan: Ahmet Davutoğlu und seine Gang Foto: ap

Istanbul dpa | Der ehemalige türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu ist aus der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan ausgetreten. Davutoğlu kündigte am Freitag bei einer Pressekonferenz in Ankara zugleich die Gründung einer neuen Partei an. Es sei sowohl eine „historische Verantwortung als auch eine Notwendigkeit“, eine „neue politische Bewegung aufzubauen“. Er lade jeden, „dessen Herz für die Zukunft dieses Land schlägt“, zur Zusammenarbeit ein.

Der 60-Jahre alte Politiker war von 2014 bis 2016 selbst AKP-Chef, wurde aber nach Auseinandersetzungen mit Erdoğan teilweise entmachtet und trat 2016 auch als Ministerpräsident zurück. Er hatte seiner Partei zuletzt mehrfach vorgeworfen, sich von ihren Grundprinzipien zu entfernen.

Unter anderem hatte er die Annullierung der Bürgermeisterwahl in der Millionenmetropole Istanbul im März kritisiert. Die AKP hatte die Wahl damals verloren. Bei der Wahlwiederholung im Juni, die auf Druck aus der Regierungsspitze hin zustande kam, gewann der Oppositionskandidat Ekrem Imamoğlu ein zweites Mal.

Am Freitag sagte Davutoğlu, die AKP-Führung sehe „jede gut gemeinte Kritik und Empfehlung als Verrat und Feindseligkeit“, deshalb gebe es keine Möglichkeit mehr, die „Grundsätze und Ziele, für die wir in unserem politischen Leben eintreten, in der AK-Partei umzusetzen“.

Davutoğlu hielt die Pressekonferenz zusammen mit den ehemaligen AKP-Abgeordneten Selcuk Özdağ, Abdullah Basci und Ayhan Sefer Üstün, die ebenfalls aus der AKP austraten. Ihre Entscheidung fiel inmitten von Zerfallserscheinungen in der mächtigsten Partei des Landes. Medien berichten seit Monaten, dass einige Persönlichkeiten in der AKP unzufrieden mit dem Kurs von Präsident Erdoğan sind.

Der Präsident is not amused

Im Juli war bereits Ex-Vize-Ministerpräsident Ali Babacan aus der Partei ausgetreten, die er mitbegründet hatte. Es hätten sich Gräben aufgetan zwischen den Grundsätzen, an die er glaube, und dem Vorgehen der Partei, schrieb Babacan damals in einem von Medien zitierten Brief. Auch Babacan will Berichten zufolge eine neue Partei gründen. Es gehe auch darum, den Ruf des Landes zu verbessern, schrieb er im Juli. „Menschenrechte, Freiheiten, fortschrittliche Demokratie und Rechtshoheit sind unsere unerlässlichen Grundsätze.“

Zudem gibt es Gerüchte, dass Ex-Präsident Abdullah Gül eine Splitterpartei gründen oder sich einer neuen Partei anschließen könnte. Gül gilt als Partei-Grande, ist aber Experten und der AKP-Pressestelle zufolge nicht mehr AKP-Mitglied, seit er 2007 wie damals vorgeschrieben ausgetreten war, um Präsident zu werden.

Erdoğan hat mehrfach gegen die internen Widersacher gewütet. „Die Arbeit einiger Leute aus dem Inneren (der Partei) ist schwer zu schlucken“, sagte er zum Beispiel Ende April bei einem Parteitreffen. „Wir werden sie zur Rechenschaft ziehen, wenn die Zeit gekommen ist.“ Für ihn könnten Splitterparteien Machtverlust bedeuten. AKP-Politiker werfen den Dissidenten vor, nur anzutreten, um Erdoğans Chancen bei Wahlen zu schmälern.

Mit der Pressekonferenz kamen Ahmet Davutoğlu und die anderen drei AKP-Mitglieder am Freitag einem Parteiausschlussverfahren zuvor, das der AKP-Vorstand unter der Leitung von Erdoğan Anfang September einstimmig beschlossen hatte.

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2 Kommentare

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  • Fein - die Demokratie der Türkei belebt sich wieder. Es besteht noch Hoffnung.

    Aber wo bleiben Erdokhans Schimpftiraden, dass das alles von einen Komplott aus Erzfeind Gülen und dem Ausland gesteuert ist, um der Türkei zu schaden?

  • Aus einer Partei auszutreten und eine neue Partei zu gründen gehört zu den demokratischen Grundrechten. Deswegen zu drohen, sie zur Rechenschaft zu ziehen, zeigt wieder einmal Erdogans antidemokratische Haltung.