David Joram schaut nach, wie Benjamin Netanjahus Besuch den Bahnhof Zoo verändert: "Warum dieser Aufwand? Den würde doch eh keiner erkennen"
Wegen Benjamin Netanjahu geht an diesem Montagmorgen am Bahnhof Zoo wenig. Der israelische Ministerpräsident residiert während seiner zweitägigen Stippvisite in Deutschland im „Waldorf Astoria“, weshalb rund um das Hotel die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen wurde. Hier dürfen deshalb weder Autos noch Busse fahren. Immerhin: Die Taxifahrer, die sonst immer schimpfen, freut’s. Manche gehen gar zum ersten Mal in der City West auf Kundenfang. „Für uns ist das schon günstiger, klar“, bestätigt eine Fahrerin.
Die Einsatzkräfte wirken am Montagvormittag nach außen zwar gelassen; sie erklären PassantInnen betont freundlich die Umgehungswege. Tatsächlich aber fehlt so manchen BeamtInnen die Einsicht, warum sie oder er gerade wegen Netanjahu Extraschichten schieben soll. „Den würde doch eh keiner erkennen“, sagt eine Polizistin. Ihren Namen will sie nicht nennen. Denn: „Wir dürfen den Mund nicht aufmachen.“
In der Umgebung sind vor dem Staatsbesuch Gullydeckel verschweißt worden, Absperrgitter leiten den Verkehr um. Kurz vor 12 Uhr sind Arbeiter dabei, das Erdgeschoss des Waldorf Astoria mit weißen Planen zu verhüllen (der Grund, so eine Polizistin: Netanjahu wolle auf gar keinen Fall gesehen werden). In BVG-Ticketautomaten schaut die Polizei nach möglichen Sprengsätzen. Dem Zufall soll nichts überlassen bleiben.
Dabei hätte alles etwas unkomplizierter ablaufen können, wenn der israelische Ministerpräsident im Hotel Adlon am Brandenburger Tor oder im Intercontinental an der Budapester Straße abgestiegen wäre. So wie es normalerweise alle Staatsleute zu tun pflegen, deren Person besonders gefährdet ist. Netanjahu zog allerdings das Waldorf Astoria vor.
Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Vielleicht sind in dem neuesten Edelhotel die Betten weicher? Oder die Drinks bekömmlicher? Von der Hotelführung wollte sich dazu am Montag niemand äußern, auch an der Rezeption hüllt man sich in höfliches Schweigen. Für eine Mitarbeiterin aber steht fest: „Das Waldorf ist einfach ein tolles Hotel – ist doch klar, dass Netanjahu sich für uns entschieden hat.“ Das Adlon wäre also nichts für ihn gewesen? „Vom Design her sind wir wesentlich moderner, das Adlon ist eher altbacken.“
Frau Sahin, die nebenan das Modegeschäft St. Germaine betreibt, freut sich weniger über den hohen Besuch. „Ich bin richtig sauer. Kunden kommen nicht vorbei. Das macht uns das Geschäft kaputt.“ Sahin, die normalerweise Pelze und Mäntel zwischen 600 und 1.800 Euro an ihre Kundschaft verscherbelt, erwartet in diesen zwei Tagen kräftige Einbußen. Sie erwägt sogar, dagegen juristisch vorzugehen: „Fotos habe ich bereits gemacht“.
Erzürnt ist auch Jürgen R., der neben dem Hotel auf den leeren Verkehrsknotenpunkt blickt. Die Ampeln funktionieren zwar, die FußgängerInnen stören die Rotsignale indes nicht. Fährt ja nichts. „Viele sagen, das muss so sein. Aber warum? Netanjahu macht ja nichts“, schimpft der 42-Jährige. Lieber solle die Stadt die Steuergelder dafür verwenden, „Pennern“ bessere Unterkunftsmöglichkeiten zu bieten. Noch wütender ist eine Passantin, die von all dem Rummel im Vorfeld nichts mitbekommen haben will. Verdutzt blickt sie auf die Anzeigetafeln, die nur darauf hinweisen, dass wegen eines Staatsbesuchs kein Bus fährt. „Eine richtige Scheiße ist das. Soll der Netanjahu nächstes Mal doch bei der Merkel pennen.“ Auch eine Idee.
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