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Daumen raus

Per Anhalter von Berlin nach Aachen, wer trampt heute noch? Unser Autor.Was er erlebt hat – samt der Frage, ob das Trampen vielleicht zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist

1969 war es im Raum Gelsenkirchen, wo das Foto aufgenommen wurde, wohl auch nicht so leicht, eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen … Foto: Fotoarchiv Ruhr Museum/bpk

Von Bernd Müllender, unterwegs

Muss gleich gestehen: Ich habe zwei Anläufe gebraucht. Der erste führte nicht weit, aber da war ich selbst schuld.

Doch der Reihe nach. Trampen von Berlin nach Aachen, geht das heute noch? Ich hatte viele BerlinerInnen um Tipps gebeten, wo man am besten startet. Mehrheitsmeinung: Messe, über die alte Avus. Um kurz vor 9 Uhr stehe ich da an der Autobahn an einem kühlen Tag Mitte Oktober. Daumen raus. Auto um Auto braust vorbei.

Nach zehn Minuten hält ein Kleintransporter mit Frankfurter Kennzeichen. Frankfurt wäre ein Umweg, aber auch mehr als die halbe Strecke, sensationell. Leider nein, sagt der Fahrer, er bleibe in der Gegend, aber er könne mich bis zum Rasthof Grunewald mitnehmen. Okay, dann mal los. Tramper? Immer gern, sagt er, „oft fahre ich auch über die Raststätten und gucke, ob ich jemanden einsammeln kann.“ – „Vorbildlich“, sage ich und ahne: Der Mann ist eine große Ausnahme.

Künstler für Stahlskulpturen sei er und habe auch einen Trumm hinten drin im Wagen, so 120 Kilogramm schätzt er. „Aber das ist ein sehr kleines Teil.“ Den bringe er zu einem Kollegen südlich von Potsdam. „Habe neulich auch eine Ausstellung in der Ukraine gemacht, mehrere Tonnen Material.“ Wir albern: Die würde auch der Russe nicht weggebombt kriegen.

Grunewald-West ist nicht nur eine recht leere Raststätte, sondern auch eine Landtankstelle, aber mit Autobahnpreisen. Ein Lost Place. Ein paar Wagen parken hier, niemand kommt dazu. Die Autobahnauffahrt ist zudem gesperrt. An der Nebenstraße direkt dahinter gabelt mich nach 20 Minuten ein Mann auf, Kurzfahrt bis Wannsee.

„Ich bringe Sie an die Ecke, wo es Richtung Autobahnkreuz geht. Das ist ein guter Platz für Sie.“ 30 Minuten passiert nichts. Ich gehe den Kilometer auf der Potsdamer Chaussee bis direkt zum Autobahnkreuz neben dem Nikolassee. Da steht: rechts ab nach Magdeburg, meine Richtung. Bis zur Wende war hier der Checkpoint Dreilinden, wo Tramper oft zu Dutzenden standen, gern mit Schildern, München oder Köln oder sonst wohin. Eine Frau, hatte ein Freund erzählt, habe zu Mauerzeiten mal ein Schild hochgehalten „Bloß raus hier“. Sie sei sofort mitgenommen worden.

Viel Verkehr hier, aber nichts passiert. Einer zeigt bei Vollgas höhnisch den Mittelfinger. Wer zu langsam ist, wird angehupt. Dieses Gerase, und ich am Rand, unbeachtet. Tja, Autofahrer! Als passioniertem Radfahrer ohne eigenen Wagen sind mir die Blechdosen, sagen wir, eher zuwider. Manchmal verachte ich sie auch. Aber zum Trampen brauche ich die Asphaltimperialisten, bettele hier mit meinem Daumen um gnadenvolle Mitnahme. Fühlt sich an wie Selbstverleugnung.

Vier Wagen halten binnen zwei Stunden an, zwei mit Lokalzielen in der Nähe, das macht keinen Sinn. Ein Pole fährt nach Leipzig. Ob es vor dem Dreieck Potsdam eine Raststätte gebe? Nein, das glaube er nicht, sagt er. Falsch! Aber die Raststätte Michendorf hatte ich beim Studium der Route auf Google Maps auch erst übersehen. Die 20 Kilometer dahin hätte er mich also locker mitnehmen können. Schließlich hält eine junge Frau aus der Gegend, mitnehmen passt nicht, aber sie sagt: „Sie brauchen ein Schild.“ Holt als emsige Lehrerin Block und Filzstift raus und malt mir gleich eines: MD und HAN steht drauf.

Wem auch immer ich vorher von meinem Trampvorhaben erzählt hatte, ausnahmslos kamen eigene Erfahrungen, meist aus den 1980er- und 90er-Jahren, europaweit. Launige Geschichten. Immer erfolgreich. Dann muss der Autostopp irgendwie eingeschlafen sein: Viel mehr Menschen, auch junge, hatten bald ein eigenes Auto, man billigflog halt irgendwohin, die immer hektischeren Zeitläufte verloren jeden Müßiggang. Und vor allem: Angeblich ist die Welt massiv gefährlicher geworden.

Theoretisch ist mein Platz gerade perfekt. Ein Haltestreifen neben mir und keine 50 Meter davor die Ampel, wo mich alle zeitig sehen können. „Vielleicht war das das Problem“, spottet später einer zu Hause, „weil sie dich alten Mann gesehen haben.“ Haha. Da! Auto aus AC, Aachen. Ich senke sofort den Daumen und recke stattdessen den kleinen Finger steil nach oben. Dieser „Klenkes“ gilt als Erkennungszeichen für AachenerInnen in der Ferne. Hier nicht. Zu Hause gibt der freche Freund zu bedenken: „Vielleicht kannten die dich auch …“.

Auch das Schild nutzt nichts. Jetzt ist es bald halb zwei. Es nieselt auch noch. Ich gebe auf. Schleiche deprimiert zurück. Bus nach Wannsee, S-Bahn nach Berlin Hbf, teures ICE-Ticket, Zug verspätet wie immer. Nach fast 14 Stunden Reise frustriert wieder zu Hause.

Kann ich das auf mir sitzen lassen? Nein: Ich werde einen zweiten Anlauf nehmen.

Auslöser der Idee zu trampen war mein Sohn Lionel, 19. Seit Anfang September ist er schon unterwegs, auf Weltreise, per Anhalter und zudem ohne Geld. Er berichtet von unzähligen beglückenden Erlebnissen, prima Leuten, von so viel Hilfsbereitschaft. In Basel übernachtete er bei zwei Pianisten aus Belarus („so tolle Menschen“), in Genf habe ihn „eine reiche Familie in ihrer Villa gleich so was wie adoptiert, wir haben italienisch gekocht, nie so lecker gegessen“. Am Morgen brachten ihn die Gastgeber zur Autobahn, den Rucksack mit Lebensmitteln vollgestopft.

Später vier Tage Barcelona mit einer Clique junger Leute, auf dem weiteren Weg gen Südwesten musste er „einen Gefängniswärter nach seiner 24-Stunden-Schicht mit Diskussionen über Fußball wachhalten“. Die beiden kamen in wachem Zustand am Steuer bis hinter Alicante.

Als ich ihm am Telefon mal wieder von neuem Chaos bei einer Bahnreise berichtete, sagte er: „Vergiss Bahnfahren, Papa. Du musst trampen.“ Haha, hatte ich gesagt, ihm etwas über mein Alter erzählt und wähnte das Thema erledigt.

In Malaga lernte Lionel einen reichen Schweizer kennen, der mit ihm in seinem Porsche Touren durch die Gegend machte. Und ihm zum Abschied 50 Euro gab für einen Flug nach Marrakesch. Danach vier Wochen Work & Kost & Logis in einer Surfschule in Taghazout bei Agadir. Seitdem kann mein Sohn Wellenreiten. Und er insistierte am Telefon: „Hast du dir das mit dem Trampen überlegt?“ Da sagte ich: „Gut, ich versuch’s.“

Gut vier Wochen später, Ende November: Im ICE nach Berlin, Grund der Reise: Zurücktrampen am nächsten Morgen. Mein Scheitern in Wannsee hatte mein Sohn knapp kommentiert: „Typischer Anfängerfehler, Papa!“ Ich hätte gleich an einer Raststätte stehen müssen, wo man Leute vor ihren parkenden Autos ansprechen kann. Jetzt also mit U-Bahn, S-Bahn und Regionalbahn nach Michendorf. Halbe Stunde Fußweg zur Raststätte. Gegen 11 Uhr bin ich da, weil eine Bahn nicht fuhr. Geht gut los. Aber das DB-Chaos würde ich ja nun hinter mir lassen.

Ich bin genau an der Raststätte, wo mich der Pole neulich abgesetzt hätte. Also: Fortsetzung der Reise. Ansprechpartner sind vornehmlich Männer an Zapfsäulen. Die sind eine Nummer für sich: Wie sie sich aufrecht aufbauen, doch in der Hüfte immer leicht nach vorn abgeknickt, um sich beim Füttern der Lieblinge nicht zu bekleckern. Zweimal höre ich: Mitfahren gern, aber das sei ein Firmenwagen. „Ich darf niemanden mitnehmen.“

Wir werden das Trampen als ausgestorbene Kulturtechnik wiederbeleben

Dustin, pro Tramper

Nach fast einer Stunde ein roter Golf mit Kennzeichen WAK. Wo immer das ist. Wartburgkreis, sagt die Fahrerin, Nähe Eisenach, Thüringen. Hmm, nicht mein Weg. Und danke, tschüss. Sie fährt los. Gucke auf die Karte: Ach, so falsch wäre das gar nicht, mit Südschleife halt. Zum Glück hat die Golf-Fahrerin noch mal an der Raststätte gehalten, wegen ihres Handys. Würde doch mitkommen. Sie seufzt. „Na gut, aber hoffentlich wollen Sie mich nicht umbringen.“ – „Auch ’ne Idee! Bin ich noch gar nicht drauf gekommen.“ Wir lachen.

Wir sind schnell per Du. Karina, 55, ist Betriebsprüferin beim Finanzamt. Wir machen in gegenseitiger Heimatkunde. Hier das Rheinland, von dem ich ein wenig erzähle. Dort ihre Welt: Die geliebte Heimat Thüringen, Erfurt, die Wartburg in Gotha, Kyffhäuser. Sehen wir aus der Ferne alles. Sie erzählt, fast atemlos, ihr halbes Leben. Zwischendurch Anrufe von Tochter und Bruder, die sich erkundigen, ob die Fahrt gut vorangehe. Auch ihr Freund bimmelt an und reagiert leicht entsetzt, als sie erzählt: „Ich bin nicht allein im Wagen. Habe einen Anhalter mitgenommen.“ Via Freisprechanlage lerne ich die halbe Familie kennen.

Zwischendurch lade ich zum Kaffee ein. Sie probiert die als Dankeschön mitgeführten Aachener Printen („mhh, lecker“). Die Printen sind eine Reverenz an meinen Sohn. Der hatte 80 Stück im Rucksack (Kostenpunkt: 20 Euro) und sie im wohlhabenden Zürich Passanten feilgeboten, mit der Bitte um Unterstützung für seine weitere Reise. Ein Mann drückte ihm einen 50-Franken-Schein in die Hand, „und wollte nicht mal eine Printe“, wie sich Lionel empörte. Umgerechnet 650 Euro nahm er auf diese Weise in Zürich ein – als Notreserve.

Karina und ich erzählen uns von persönlichen Ost-West-Begegnungen in den Vorwendejahren. Ich erfahre viel über das Leben in der DDR Ende der 80er-Jahre, zu ihren Teenagerzeiten. Diese Hoffnungslosigkeit, die Fluchtversuche anderer, die eigenen nie verwirklichten Pläne. Und dabei der Westen immer direkt vor der Nase. „Theoretisch hätten wir nur durch die Werra schwimmen müssen.“ Lebensbegleitend die Angst vor der Stasi, das Misstrauen im engsten Freundeskreis. Ab 1988 hat sie Wirtschaft studiert, erst sozialistische Ökonomie, nach der Wende, zack, galten ganz andere Lehrpläne.

Auffällig, dass Karina immer von ihrer „Verwandtschaft in Frankfurt/Main“ spricht. Das Main immer dabei; klar, um es von Frankfurt (Oder) abzugrenzen. Macht im Westen niemand. Sie lernt erstaunt den Begriff „Tränenpalast“ für den Bahnhof Friedrichstraße zu DDR-Zeiten: „Nie gehört. Wegen der tränenreichen Abschiede?“ Genau.

Knapp vier Stunden Fahrt. Beim Ausstieg an der Raststätte Eisenach noch mal Telefonklingeln. „Ah, das ist Mutti.“ Karina erzählt auch ihr vom Anhalter. „Ist der wenigstens nett?“, fragt sie. „Der netteste, den ihre Tochter aufgabeln konnte“, sage ich vorlaut. Mutti, 74, lacht. „Wenn der so nett ist, Karina, dann nimm ihn dir doch gleich.“ Wir belassen es bei einer Umarmung zum Abschied. Später wird mir Karina noch schreiben, ihr Freund habe sie wegen meiner Mitnahme gerügt, weil es „da draußen Gestörte gibt“ und „wie gefährlich Gutgläubigkeit“ sein könne.

Neulich hatte ich nach Monaten selbst mal wieder so ein Automobil gelenkt, den Wagen einer Freundin, kreuz und quer durch Bonn. Nach ihrem Fußbruch musste die Arme an Krücken möglichst nah an diversen Zielen abgesetzt und abgeholt werden. Es ging durch Baustellenwüsten und Umwegstrecken, mit Ampelstaus, ignorierten Abbiegeverboten und eigenem Falschparken, sogar auf einem Fußweg. Ich ertappte mich im inneren Dialog mit Ordnungskräften, falls sie mich bei einem meiner vielen Verstöße gestellt hätten: Wie soll die behinderte Frau sonst dahin? … ich muss hier anhalten … ja, Linksabbiegen war verboten, aber … Die gleichen Reflexe, über die ich sonst bei anderen AutofahrerInnen höhne; jetzt bin ich, kaum am Steuer, selbst Teil dieses egoistischen Systems.

Der Autor, Bernd Müllender, on tour und on the road again Foto: privat

Eisenach. Halbe Strecke geschafft. Aber immer noch gut 350 Kilometer bis Aachen. Und 16 Uhr bereits vorbei. Es beginnt zu dämmern. Gelassen bleiben, sage ich mir. Ein Wagen mit Kennzeichen Gießen, einer mit Marburg. Das wäre ideal. Aber beide wollen mich nicht mitnehmen. Ein anderer: „Sonst gern, aber wir haben auf der Fahrt interne Dinge zu besprechen.“ Der nächste winkt ab: „Dienstwagen. Eigentlich darf ich nicht.“

Eigentlich! Ich lege den Zeigefinger auf den Mund. Er grinst. Auf gehts via Kassel Richtung Ruhrgebiet.

Erich, 50, ist Außendienstler bei einer großen Handwerkskette, auch Ostler, aus Sachsens Süden. Kaum losgefahren, Anruf einer Filialleiterin: Es habe Gasalarm gegeben, alle Kunden raus, Feuerwehreinsatz. „Dann hat man nur intensiven Marihuanageruch feststellen können. Hat sich wohl wer richtig einen durchgezogen.“ Erich beklagt die Rücksichtslosigkeit allerorten: „Hier war es nur Kiffen, weil jemandem grad danach war. Sonst wirst du auch schon mal angespuckt oder ein Mitarbeiter kriegt wegen einer Kleinigkeit die Faust ins Gesicht.“ Woanders die Angriffe auf Ärzte, Krankenschwestern, Feuerwehrleute, BusfahrerInnen. „Komisch, immer sind es Dienstleistungen.“

Erich glaubt, es habe „mit diesem permanenten Grundrauschen“ im Alltag zu tun: ständig Nachrichten auf Insta und Facebook, Handy immer vor der Nase, eilig antworten, nix verpassen, immer in Eile, drumherum Pling und Piep und Blink überall. „Du wirst zugeknallt, pausenlos. Ich glaube, das macht die Menschen verrückt.“ Unsere gemeinsame Diagnose: Das Dauerfeuer aus der Umwelt mindert bei vielen die Impulskontrolle, eine Art gesellschaftliches ADHS.

Tramper, sagt Erich, nehme er gerne ab und an mit – und Handwerksburschen auf der Walz immer. „Die müssen ja so reisen.“ Passt idealtypisch: Ein Tramp ist auf Deutsch ein Wanderarbeiter.

Um 18.22 Uhr queren wir die Grenze zu Nordrhein-Westfalen. Heimat! Kurz nach 19 Uhr „Adieu“ mit Erich an der Raststätte Soester Börde, und: Abschiedsprinten. Und wieder warten. Nebenan das Dauerdröhnen der vorbeirasenden Karossen, der Sound der freien BürgerInnen. Soest ist kaum frequentiert, sozusagen das Berlin-Grunewald des Westens. Kaum wer fährt hier vor für einen Automatenkaffee zu 4,90 Euro oder um Sprit für über 2 Euro den Liter zu tanken. Wohl aber Dustin, 35 Jahre alt. Nach Dortmund fahre er. Immerhin, das ist für mich eine halbe Stunde weiter vorankommen. Glück hätte ich, sagt Dustin, er habe nur nachgetankt, zur Sicherheit, für 10 Euro. Erzähle ihm, wie den anderen vorher auch, von den beglückenden Erfahrungen meines Sohnes („cool!“) und vom Vorhaben dieser taz-Geschichte. „taz? Da bin ich gern dabei“, sagt er, „wenn ich mal Zeitung lese, dann die taz.“

Trampen ist Glücksache – manchmal läufts. Oder man muss laufen Foto: Michael Bihlmayer/picture alliance

Dustin macht in „Video Mapping“. Heißt? „Videoprojektionen auf Gebäude. Dafür habe ich gerade einen Beamer in Kassel geholt. Wir wollten beim nächsten Event das Brandenburger Tor mappen“, den Auftrag habe aber leider ein Konkurrent bekommen. Müde sei er nach vielen Stunden Fahrt, „da ist es toll, jemanden dabeizuhaben.“ Er nehme gern Leute mit, „immer mit guten Erfahrungen“.

Dortmund. Ruhrpott: meine Jugendheimat, mein Minimalziel heute. „Viel Erfolg beim Text“, sagt Dustin noch beim Abschied, „ich bin gern ein Teil davon. Wir werden das Trampen als ausgestorbene Kulturtechnik wiederbeleben.“ Per Anhalter durch die Galaxien – das werde wieder en vogue. Der Beginn von Trampen 2.0, dank der taz, meint Dustin.

Bald 20 Uhr. Und es regnet. Dunkelheit ist auch kein Booster fürs Hitchhiking. Zudem scheint die Tankstelle hier an der Bundesstraße 1 nur von Einheimischen angefahren zu werden. Niemand in Richtung Essen, Düsseldorf, Köln? Ich spreche ein Ehepaar an: „Darf ich Sie was fra…?“ – „Nein!“, kommt es brüsk von ihr zurück. Ansprache der nächsten: „Sie sind doch bestimmt nette Leute, die mich ein Stück mitnehmen könnten.“ Er: „So was machen wir grundsätzlich nicht.“ Sie: „Aber nett sind wir trotzdem.“ So geht Kommunikation im Pott, knallhart und charmant zugleich. Wir lächeln gemeinsam.

Es hakt. Mein routinierter Sohn wird später sagen: „Wenn ich meine Neins zählen wollte, käme ich nicht hinterher.“ Und er wird weise erklären: „Du kriegst so viel Nein, aber du brauchst ja immer nur ein Ja.“

Das kommt eine Viertelstunde später von Ahmad aus seinem uralten Benz. Afghane sei er, und fahre gen Hagen. Das klingt gut. Los geht’s. „Wir in Afghanistan sind freundliche Leute“, sagt er, „und wir helfen gern, immer.“ Er zuckelt Richtung Zentrum. Muss mal sehen, sage ich, wo wir die Autobahn Richtung Köln kreuzen. Oh, sagt Ahmad und guckt ganz traurig: „War wohl ein Missverständnis. Ich fahre nur Richtung Hagen, bleibe aber im Süden von Dortmund.“ Ja, dann lieber gleich aussteigen. Das waren kaum drei Kilometer Fahrt. Er entschuldigt sich noch mal. „Tut mir so leid.“

Vor mir das Stadion, die Westfalenhallen. Es geht auf 21 Uhr zu. Wat nu? Ob das noch was wird? Vielleicht doch ins Hotel? Ach was, der Kurztrip mit Ahmad ist doch ein toller Schlusspunkt. Die letzte Bahn nach Aachen ist freundlicherweise verspätet. Strammen Schrittes zum Bahnhof. Nein, auf der Schiene den Rest zu erledigen, das ist kein Scheitern.

Im Bahnhof Geilenkirchen, gut 20 Kilometer vor Aachen, ist gegen 23.30 Uhr Schluss. Streckensperrung wegen „Verdacht auf Personenschaden“. Polizei, Feuerwehr, Staatsanwalt sind bald am Gleis. Lok und kilometerweit Gleise müssen abgesucht werden. Wir warten und warten.

Nichts geht. Nach Mitternacht bilden sich erste Taxifahrgemeinschaften. Ein Mietwagen fährt vor, bestellt von einem Bundeswehrsoldaten, der in Büchel in der Südeifel die US-Atomraketen bewacht. Ob ich mitfahren darf? „Klar. Zahlt sowieso meine Mutter.“ So endet mein Tramptrip in einem Mietwagen, um kurz nach 1 Uhr bin ich an der Haustür. Mission beendet.

Laut Bahn-App stand der Zug zu dieser Zeit immer noch. Der Betreiber, National Express, teilt am nächsten Tag auf Anfrage mit, es sei zum Glück nur eine Kollision mit einem Tier gewesen. Sohn Lionel hat auf Teneriffa gerade einen Lift per Segelyacht ergattert, über La Gomera und El Hierro zu den Kapverden. Schiffstrampen, funktioniert also auch. Danach soll es segelnd über den Atlantik gehen. Er erzählt von einigen KonkurrentInnen in den Häfen mit derselben Idee.

Ich habe unterwegs nicht einen einzigen anderen Tramper oder eine Tramperin gesehen.

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