Datenschützer gegen Corona-Bußgelder: „Auf die harte Tour“
Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar kritisiert die geplante Bestrafung falscher Selbstauskünfte bei Gastronomiebesucher*innen.
taz: Herr Caspar, was halten Sie davon, wenn Gäste in Bars und Gaststätten Bußgelder in Höhe von 150 Euro zahlen müssen, wenn sie Falschangaben bei der coronabedingten Selbstauskunft machen?
Johannes Caspar: Zweifellos ist es angesichts der Gefahren der Pandemie inakzeptabel, dass einzelne Personen ihre Kontaktdaten falsch angeben. Gleichwohl hätte ich mir ein Konzept der Kontaktdatenerfassung gewünscht, das Selbstverantwortung über Fremdkontrolle stellt.
Was kritisieren Sie?
Die Einführung einer Bußgeldregelung setzt nun die Datenerhebung auf die harte Tour durch. Dabei hätte durchaus die soziale Akzeptanz der bestehenden Regelungen erhöht werden können, indem der Kranz der Kontaktdaten beschränkt oder eine ausdrückliche Regelung in die Strafprozessordnung eingefügt worden wäre, wonach Strafverfolgungsbehörden nur aus Anlass von besonderen Straftaten auf die Daten zugreifen dürfen. Auch die aktive Werbung für eine Angabe der Daten als Bürgerpflicht und der Hinweis auf das starke Eigeninteresse der Betroffenen, vor Infektionsrisiken gewarnt werden zu werden, hätte durchaus Sinn gemacht.
Wurden Sie beteiligt?
Nein, obwohl es nach der Beteiligungsrichtlichtlinie des Senats vorgesehen ist. Derartige Kommunikationsprobleme sind befremdlich. Gerade mit Blick auf die Schwierigkeiten, die es bei der Auslegung der Regelungen gab. Die Politik sollte eigentlich über Expertenrat froh sein.
Noch ist unklar, wie die Regelung umgesetzt werden soll.
Offenbar hat nun eine Plausibilitätsprüfung durch die Gastronomiebetreiber zu erfolgen. Das konkretisiert die bisherige Regelung, nach der unklar war, was eigentlich genau von Betreibern verlangt wird. Gleichzeitig sind falsche oder unvollständige Angaben durch Gäste künftig bußgeldbewehrt. Ferner besteht eine Befugnis der Behörden, sich bei anlasslosen Kontrollen die Kontaktdaten vorlegen zu lassen, auch ohne Infektionsgeschehen. Datenabgleiche ins Blaue hinein, etwa mit dem Melderegister, um nur einmal zu schauen, ob die Gäste wirklich richtige Angaben gemacht haben, sind mangels einer originären Verpflichtung der Betreiber zu einer inhaltlichen Kontrolle und ohne gesetzliche Grundlage unzulässig.
Die Gastronomen sollen die Angaben ihrer Gäste in Zukunft stärker kontrollieren.
Die Gastronomiebetreiber haben künftig keine Pflicht, selbst Identitätskontrollen bei ihren Gästen durchzuführen. Das hätte deren Situation wesentlich erschwert.
Und bei falschen Angaben?
Das lässt sich nicht verhindern. Zur Abschreckung müssten flächendeckende Identitätskontrollen durch die Behörden durchgeführt werden. Das ist aufwendig und bürokratisch und wird den Besuch von Gaststätten unattraktiver machen.
Sie lehnen die Bußgeldverordnung also ab?
Intelligente Regelungen nehmen die Bürgerinnen und Bürger mit. Die Herausforderungen der Pandemie sollten nicht durch soziale Kontrolle, sondern vermehrt durch Verantwortung, Bürgersinn und Selbstbestimmung gelöst werden.
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