: „Das war schon Psychoterror“
Sachbuch Die querschnittgelähmte Schwimmerin Kirsten Bruhn hat ihre Autobiografie vorgelegt. Bei der Arbeit am Schreibtisch hat sie bemerkt, dass es ihr eigentlich gut geht
Von Tillmann Bauer
Zuerst lief alles wie geplant. Als „Schwimmerin“ und „Paralympics-Siegerin“ wurde sie vorgestellt. Kirsten Bruhn, Goldmedaillen-Gewinnerin in Athen, Peking und London. Diese Bezeichnungen stimmen, auch wenn Bruhn nach den Paralympics 2012 in London ihre aktive Karriere beendet hat. Das alles kennt sie, hat sie schon tausendmal gehört. Doch nun nennt man sie „Buchautorin“. Das ist neu. Bruhn verzieht das Gesicht, darauf folgt ein beherztes Lächeln. Als Schriftstellerin sieht sie sich wohl noch nicht. Doch damit muss sie sich in Zukunft abfinden. Denn vor Kurzem hat sie ihre Autobiografie „Mein Leben und wie ich es zurückgewann“ veröffentlicht (Verlag Neues Leben 2016, 12,99 Euro).
Bruhn ist förmlich im Wasser groß geworden. Mit drei Jahren ging es los. „Mein Vater sagte: Schwimm, oder du hast ein Problem“, lacht die 46-Jährige, „also bin ich geschwommen.“ Es folgte Jugendmeisterschaft um Jugendmeisterschaft. Eine steile Karriere wurde schon früh prophezeit. Dann der Urlaub auf Kos, mit 21 Jahren. Bei einem Motorradausflug fliegt sie aus der Kurve, ist seitdem inkomplett querschnittgelähmt. Diesen Wendepunkt ihres Lebens beschreibt sie in ihrem Buch detailgenau. „Ich wollte zeigen, wie es für mich wirklich war“, sagt sie. Was danach folgte, ist bekannt. Bruhn schwamm im Behindertensport weiter, brach sämtliche Rekorde.
Nun darüber ein Buch schreiben, das war die Idee. Aber Bruhn war zuerst skeptisch: „Wenn ich im Buchladen bin, sehe ich so viele Biografien von wichtigen Leuten. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Welt meine auch noch braucht.“ Sie sei keine Wichtige. Wie kam es aber doch dazu? Für viele Menschen aus ihrem Umfeld wurde Bruhn zur Motivationsfigur. „Dann sprachen mich immer mehr Menschen darauf an, doch ein Buch zu schreiben“, sagt sie. Dennoch blieb sie skeptisch. Den Ausschlag gab letztendlich Jörg Lühn, ein Journalist aus Bruhns Heimat, der gleichzeitig für sie zu einem langjährigen Freund geworden ist. Er wollte schon immer ein Buch schreiben und schlug ihr vor, das doch über sie zu machen. Bruhn war überzeugt.
Doch das Schreiben selbst war für sie nicht immer leicht. Besonders wenn es um ihren Unfall ging. Aber die Zeit in der Klinik danach hat sie geprägt. Sie hat gemerkt, wie gut sie es eigentlich hat. „Ich habe Bilanz gezogen, was ist wirklich wichtig in meinem Leben?“, erklärt sie und zählt auf: Sie ist am Leben, sie kann klar denken. Sie kann sogar auf beiden Beinen aufrecht stehen und sich mit jemandem auf Augenhöhe unterhalten. „Ich war sozusagen die Einäugige unter den Blinden“, so Bruhn. Ihr geht es vergleichsweise gut, daraus hat sie neue Kraft geschöpft. „Dann muss man die Arschbacken zusammenkneifen und auf Reset drücken, ich kann noch so viel machen.“ Dennoch, das Erlebte aufzuschreiben war nicht leicht: „Ganz alleine zu Hause am Schreibtisch zu sitzen und alles im Kopf noch einmal durchzugehen – das war schon Psychoterror“, sagt sie. Dann schaut sie ein paar Sekunden in die Leere, fängt kurz darauf an zu grinsen und sagt: „Das brauche ich nicht noch mal. Also es gibt definitiv keine zweite Biografie.“
Kirsten Bruhn
Dafür aber eine andere große Herausforderung. Bruhn ist erstmals TV-Expertin bei den Paralympics für die ARD. Für sie eine neue Perspektive – möchte man dann nicht doch lieber ins Wasser, statt nur am Beckenrand zu stehen? „Ich habe ganz gut damit abgeschlossen“, lacht sie, „und wenn ich ehrlich bin, habe ich auch nicht mehr das Niveau wie vor ein paar Jahren.“
Also volle Konzentration auf den Fernsehjob. „Ich hoffe, dass ich den Zuschauern mit kurzen, knappen Erklärungen den Sport näherbringen kann.“ Dann wird sie wahrscheinlich als „TV-Expertin“ vorgestellt. Das wird für sie anfangs sicher komisch klingen. An „Autorin“ hat Kirsten Bruhn sich dann aber sicher schon gewöhnt.
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