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„Das Verhör in der Nacht“ auf Arte und ZDFWo ist die Bombe?

Der Film „Das Verhör in der Nacht“ spielt auf engstem Raum. Staatsschützer und eine mutmaßliche Terroristin liefern sich darin einen Schlagabtausch.

Thomas (Charly Hübner) befragt Judith (Sophie von Kessel) Foto: Sandra Höverl/ZDF/Arte

Der Film hätte auch „Duell in der Nacht“ heißen können. Oder schlicht: „Das Verhör.“ Die Vernehmung als polizeiliche und filmische Standardsituation unterstreicht die konzentrierte Atmosphäre, den Kammerspielcharakter der Inszenierung. Zwei Menschen an einem Ort, in der Zeit zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang.

„Das Verhör in der Nacht“ hätte aber eben nicht „Duell in der Nacht“ oder „Das Verhör“ heißen können, weil es diese Filme schon gibt. „Duell in der Nacht“ ist von 2007, mit Jürgen Vogel und Iris Berben. Und „Das Verhör“ von 1981 gilt als das Meisterwerk Claude Millers: Lino Ventura gibt den von der Schuld des Befragten überzeugten Ermittler, der ihn binnen einer Nacht des zweifachen Mädchenmordes überführen will, per Geständnis.

Charly Hübner gibt nun hier den von der Schuld der Befragten überzeugten Ermittler, der sie binnen einer Nacht überführen will, per Geständnis. „Das Verhör in der Nacht“ spielt fast ausschließlich in dem Hotelzimmer einer Philosophieprofessorin (Sophie von Kessel). Er hält sie für die Drahtzieherin eines unmittelbar bevorstehenden, also noch zu verhindernden Terroranschlags.

Normalerweise verkörpert Charly Hübner im deutschen Film mit seinem großen, massigen Körper, immer nur einen bestimmten Männertypus. Stets war er der eher einsilbige Gemütsmensch, der Malocher. Sei es als Fotograf (in „3 Tage in Quiberon“), als Hausmeister (in „Hausen“) oder eben als Polizist (im „Polizeiruf“) Nie brillierte er verbal als Kopfmensch, als Intellektueller. Bis ihn Matti Geschonneck nun endlich einmal gegen den Strich besetzt hat.

Der Film

„Das Verhör in der Nacht“, Fr., 27. November 2020, 20.15 Uhr, Arte, Mo., 30. November 2020, 20.15 Uhr, ZDF

Akribische Vorbereitung aufs Gespräch

Von der Philosophin will Hübners Figur wissen: „Gibt es uns wirklich? Worüber plaudern Philosophen, wenn sie unter sich sind?“ Er stellt aber auch die üblichen Krimifragen: „Wo waren Sie gestern Abend?“ Sie gibt sich zugeknöpft. „Sie waren bei sich zu Hause in Berlin. – Ich weiß das.“ Er scheint überhaupt fast alles zu wissen. Der Ermittler hat sich akribisch auf das Gespräch vorbereitet. Er hat sogar die Habilitationsschrift der Philosophin über „Das Konzept der revolutionären Gewalt bei Frantz Fanon“ gelesen: „Wenn man liest, was Sie so schreiben, dann hört man tatsächlich die Rote-Armee-Fraktion.“ – „Es war damals wahr, es ist heute wahr. Es ist nur nicht mehr in Mode“, sagt sie.

Und nimmt damit einen Einwand vorweg, von dem der Autor, Schriftsteller Daniel Kehlmann, wusste, dass man ihm damit kommen würde. Warum hat er nicht über einen rechtsextremen Attentäter geschrieben? Weil er es nicht hätte können, hat Kehlmann in einem Interview bei Deutschlandfunk Kultur erklärt. Weil dem rechten Terrorismus nicht einmal eine humanistische Intention zugrunde liege. Weil Kehlmann es nicht so hätte schrei­ben können, dass man das Gefühl habe, er könnte auch recht haben.

Tatsächlich war dieses wechselweise Mitfühlen mit beiden Protagonisten entscheidend für das Gelingen von Kehlmanns Theaterstück „Heilig Abend“, aus dem dieses Filmdrehbuch hervorging. Am Anfang mag man sich auf die Seite der bedrängten Professorin schlagen. Aber wenn sie dann diese selbstgerechten Phrasen à la Meinhof oder Ensslin raushaut …

Es entwickelt sich ein rein verbal ausgetragenes Duell auf Augenhöhe. Zwei Egozentriker sind eingenommen von der vermeintlichen eigenen Überlegenheit. Es geht ums große Ganze, um Freiheit und Sicherheit, um Gewalt und Legitimität, in einem bar jeglicher konventioneller Handlung fesselnden Film. Die Frage, ob es „die Bombe“ überhaupt gibt, beantwortet sich erst buchstäblich in letzter Minute. Selbst ein banales Telefonklingeln lässt da Raum für Interpretation.

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