Das Schlagloch: Kenias kleine Revolution
Auch das lässt sich während der Krise in Kenia beobachten: Die hoffnungsvolle neue Mittelschicht hängt derzeit die halbe Nacht am Mobiltelefon.
Ulrike Herrmann ist Redakteurin für Wirtschaftspolitik der taz.
Ein Knall, ein weiterer Knall, dann noch einer. Als hätte jemand Silvesterböller gezündet. "Das sind Schüsse", werde ich von meinen afrikanischen Gastgebern in Kenia aufgeklärt. Und wieder knallt es draußen. Dann steigt Rauch auf. Meine Gastgeber wohnen neben einem der großen Slums Nairobis. Neben Kibera. Und dort brennt es nun offenbar. Es ist der 30. Dezember.
An jenem Tag wurde Mwai Kibaki hastig zum neuen Präsidenten Kenias ausgerufen, obwohl die Wahlfälschungen nicht zu übersehen waren. Und schon eine Stunde später brannte Kibera, brannte es überall im Land. Seither ist Kenia nicht mehr zur Ruhe gekommen. Davon sollte das Volk zunächst nichts wissen. Der Innenminister verhängte eine Nachrichtensperre für die kenianischen Fernsehsender. Damit offenbarte sich Kenia einmal mehr als Polizeistaat - aber zugleich war dieser Zensurversuch erstaunlich hilflos. Als Einziger schien der Innenminister noch nicht zu wissen, dass in seinem Land auch CNN und BBC mühelos zu empfangen sind. Dorthin schalteten nun sehr viele Kenianer um, um das Neueste aus ihrer Heimat zu erfahren.
Vor allem aber wurden landesweit die Handys gezückt. Auch meine Gastgeber riefen sofort Freunde an, die auf der anderen Seite von Kibera wohnen. Ja, auch dort war Feuer zu sehen. Und so ging es weiter: Anrufe nach Kisii, Kisumu, Eldoret, Kericho, Mombasa, Meru. Innerhalb von Stunden wussten alle Kenianer, was die Regierung unterdrücken wollte: Im Westen des Landes herrscht in einigen Städten Bürgerkrieg, und Hunderttausende werden aus ihren Häusern vertrieben.
Wie stabil die elektronische Logistik in Kenia ist, zeigte sich in den nächsten Tagen: Die Handyverbindungen sind nie zusammengebrochen, obwohl die meisten Kenianer mit Karten-Handys telefonieren und regelmäßig "air time" kaufen müssen. Aber selbst aus den westlichen Bürgerkriegsgebieten trafen ununterbrochen Handy-Nachrichten ein. Recht schnell hob die Regierung ihre sinnlose Nachrichtensperre wieder auf.
Inzwischen sind nach offiziellen Zahlen 486 Menschen getötet worden; 255.000 befinden sich auf der Flucht. Aus Deutschland erreichen mich Mails, denen die Vermutung zu entnehmen ist, ich würde mich mitten in diesen Flüchtlingstrecks befinden. Das ist nicht so. Wie die meisten Kenianer sitze ich "nur" zu Hause fest. Und wie die meisten Einheimischen habe auch ich die Vertriebenen bisher nur im Fernsehen gesehen. Es mindert die Tragik der Ereignisse nicht, aber noch sind die Unruhen ein regionales Phänomen: Sie ereignen sich vor allem in den großen Slums und im Rift Valley, das rund fünfzig Kilometer nordwestlich von Nairobi beginnt. Gerade weil nicht alle Kenianer gleichermaßen betroffen sind, ist das Handy so wichtig, um Informationen aus den verschiedenen Regionen zu bekommen.
An den Eingängen der Supermärkte stapeln sich inzwischen die Nahrungsmittel, die die Wohlhabenden für die Flüchtlinge gespendet haben. Kenia ist in den letzten Jahren sichtbar reicher geworden; das durchschnittliche Wachstum lag bei 6 Prozent. Doch dieser neue Wohlstand erreicht nur eine Minderheit, und gleichzeitig ist die arme Mehrheit größer geworden, weil sich die Bevölkerung verdoppelt hat. So lebten 1980 in Kenia 16 Millionen, jetzt sind es 34 Millionen. Überall stehen junge Männer zusammen, die erkennbar nichts zu tun haben - und nichts zu verlieren. Es ist dieser chancenlose Nachwuchs, der die Hütten der Nachbarn niederbrennt, die einem anderen Stamm angehören. Das sieht wie ein ethnischer Konflikt aus, aber eigentlich explodiert die Frustration in den Slums.
Noch ist undeutlich, wie lange die Unruhen dauern werden. Aber schon ist klar, dass neue Konflikte aufbrechen werden, solange diese jungen Männer keine Chancen sehen. "Sie warten nur auf einen Befehl zum Steinewerfen", sagt meine Gastgeberin. Meine Gastgeber gehören zu jener neuen Mittelschicht, auf die gerade ausländische Beobachter alle Hoffnungen setzen. Sie sind gebildet, sprechen auch zu Hause Englisch und fühlen sich nicht mehr als Kikuyus, Luhyas oder Merus, sondern als Kenianer. Viele von ihnen haben im Ausland studiert, haben jahrelang dort gearbeitet und sind erst vor einigen Jahren zurückgekehrt, weil sie die Chance sahen, Kenia aufzubauen. Sie sind nicht in die alten politischen Seilschaften verstrickt und lehnen die allgegenwärtige Korruption leidenschaftlich ab.
Meine Gastgeber exportieren afrikanische Keramikwaren in die USA und nach Europa. Wenn die Unruhen noch lange anhalten, zerstört das ihre Geschäftskontakte. Denn im weltweiten Handel ist Verlässlichkeit ein hohes Gut. Noch einmal werden meine Gastgeber keine Firma in Kenia aufbauen - wenn sie jetzt durch die Unruhen ruiniert werden, gehen sie zurück nach Deutschland. Doch selbst wenn die Konflikte schnell abebben sollten, werden sie ihre Spuren hinterlassen: Tausende von gutausgebildeten Kenianern sind noch im Ausland, und sie werden es sich jetzt gut überlegen, ob sie wirklich zurückkommen wollen. Gerade schien es, als könnte der "Brain drain" aus Kenia gestoppt werden - nun wird er sich wieder verstärken.
Aber es gibt auch Hoffnung. Zu den großen Vorzügen Kenias gehört es, dass dort gleich 42 Stämme leben, von denen keiner wirklich dominiert. Zwar sind die Kikuyus die größte Gruppe und sie stellen mit Mwai Kibaki auch jetzt wieder den Prässidenten. Trotzdem sind überraschende Koalitionen zwischen den Stämmen möglich, wie sich nicht zuletzt daran zeigt, dass Kibaki ohne die massiven Wahlfälschungen sein Amt wahrscheinlich verloren hätte.
Vielleicht war diese massive Krise nötig, damit die politischen Institutionen in Kenia wirklich reformiert werden können. Und schlecht stehen die Chancen dafür gar nicht, denn just in diesen Wahlen hat sich eine kleine Revolution ereignet, die noch wenig beachtet wird, weil die Unruhen alle Aufmerksamkeit absorbieren: Parallel zum Präsidenten wurde auch das Parlament neu bestimmt, und dort erlebte die alte Regierung Kibaki ein Debakel: Zweiundzwanzig der bisherigen Minister haben ihr Mandat verloren, dazu gehört auch der Vizepräsident. Gleichzeitig wurde die Mehrheit der Sitze von der Opposition errungen. Mit dieser neuen Parlamentsmacht ließen sich ein Misstrauensvotum gegen Kibaki lancieren und Neuwahlen erzwingen. Diesen Ausweg hat die US-Emissärin Jendiye Frazer bereits vorgeschlagen.
Mitten in einer Krise lässt sich schnell vergessen, wie groß der Fortschritt ist. Früher gab es nur eine Einheitspartei, die wie selbstverständlich herrschte. Diesmal sind zweiundzwanzig Parteien ins Parlament eingezogen.
Vom alten Kenia ist wenig übrig geblieben. Der jetzige Präsident und Wahlfälscher Kibaki gehört allerdings zu diesen Resten. Schon 1980 war er Vizepräsident und beherrschte die Titelseiten. Heute ist Kenia eine moderne Gesellschaft geworden, doch die Eliten benehmen sich, als gäbe es weder Parteienvielfalt noch Informationsfreiheit. Das kann nicht mehr lange funktionieren.
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