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Das LieferkettengesetzEin Trauerspiel in 5 Akten

Sollen Menschenrechte nur in deutschen Fabriken gelten? Oder auch in Fabriken, die für Deutsche arbeiten? Das wollen manche unbedingt verhindern.

Mehr als 4 Millionen Menschen arbeiten in Bangladesch in der Textilindustrie. Viele von ihnen zu menschenunwürdigen Bedingungen Foto: Joy Saha/Zuma Press/dpa

Prolog – Im Bundestag

„Nie wieder Rana Plaza“ – so leitete Entwicklungsminister Gerd Müller seine Rede im Parlament ein. Das war am 11. Juni 2021. Acht Jahre zuvor waren über 1.100 vor allem weibliche Beschäftigte beim Zusammenbruch des Rana-Plaza-Fabrikgebäudes bei Dhaka, Bangladesch, gestorben. Sie hatten auch für deutsche Unternehmen und Geschäfte genäht.

Der bayerische Katholik und CSU-Politiker Müller zog daraus die Konsequenz, so etwas künftig mit einem Gesetz verhindern zu müssen. Der Bundestag beschloss das Gesetz schließlich. Union, SPD und Grüne stimmten dafür, FDP und AfD dagegen. Die Linken enthielten sich. Jetzt will Müllers Partei das Gesetz wieder abschaffen, zusammen mit CDU und SPD.

Die Geschichte des Lieferkettengesetzes handelt von etwas ganz Einfachem: den Menschenrechten, die keinem Individuum genommen werden dürfen und die ganz vorne im Grundgesetz stehen. Müllers Gesetz legte fest, dass diese Rechte nicht nur in deutschen Fabriken gelten sollten, sondern auch in ausländischen, die für Deutsche arbeiten.

Aber viele Firmen, große Wirtschaftsverbände und konservative Politiker wollten dieses Gesetz immer verhindern. Erst waren sie in der Defensive, jetzt sind sie in der Offensive. Eine Tragödie in fünf Akten.

1. Akt – Die Katastrophe

Das achtgeschossige Fabrikgebäude Rana Plaza stürzte im April 2013 ein, weil man es schlecht gebaut hatte. Verantwortlich waren die Besitzer, mitverantwortlich die ausländischen, auch deutschen Unternehmen, die weggeschaut hatten.

Nach dem Zusammensturz war die internationale Entrüstung enorm. Rana Plaza zeigte, wie die Globalisierung funktionierte. Schlechte Löhne, gesundheitsschädliche oder tödliche Arbeitsbedingungen und niedrige Kosten in den ausgelagerten Zulieferfabriken armer Länder ermöglichten günstige Verbraucherpreise in reichen Staaten. So etwas per Gesetz zu unterbinden, forderte deshalb bald eine breite Bewegung, die von der unabhängigen Linken über Gewerkschaften und Kirchen bis zu den Christlich-Konservativen reichte.

2. Akt – Das Gesetz

Gerd Müller und sein SPD-Kollege Hubertus Heil versuchten über die Jahre einiges, um auch die deutschen Unternehmen und ihre Verbände von diesem Anliegen zu überzeugen – zunächst mit freiwilligen Angeboten wie dem Bündnis für nachhaltige Textilien und dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte. Doch die meisten Firmen verweigerten sich.

Deshalb entwarfen die Politiker das verpflichtende Lieferketten-Sorgfaltspflichten-Gesetz. Darin steht, dass die hiesigen Auftraggeber eine Mitverantwortung für die Arbeitsverhältnisse in ihren Zulieferfabriken haben, dieser Verantwortung gerecht werden müssen, und ihnen bei Missachtung Sanktionen drohen. Es gilt für alle Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten.

Große Wirtschaftsverbände wie BDI, BDA, DIHK, Gesamtmetall oder Textil & Mode versuchten immer wieder, das Gesetz zu schwächen, zu verzögern und zu verhindern. Ihre Argumente: Die Überprüfung teilweise tausender Lieferanten sei für die Unternehmen zu aufwändig und zu teuer, außerdem dürften deutsche Firmen gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten nicht benachteiligt werden.

3. Akt – Europas Standard

Mit ihrer Warnung vor Wettbewerbsnachteilen stießen die deutschen Wirtschaftsverbände und Politiker auf Verständnis der Europäischen Kommission – allerdings anders als erhofft. Unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erarbeitete die EU selbst eine Lieferketten-Richtlinie, die etwas strengere Regeln als das deutsche Gesetz für alle großen in- und ausländischen Unternehmen in den 27 Mitgliedstaaten festlegte.

Dagegen setzten die hiesigen Verbände und FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner alle Hebel in Bewegung – weitgehend erfolglos: Die Richtlinie, ein neuer internationaler Standard, wurde am 24. Mai 2024 beschlossen.

4. Akt – Die Gegenbewegung

Inzwischen hat sich aber die Großwetterlage geändert. Im Gegensatz zu den ökonomisch guten 2010er Jahren steckt die deutsche Wirtschaft in einer Stagnation und Krise ihres Import-Export-Modells. Auch Firmen in anderen EU-Ländern machen sich Sorgen. Die russische und chinesische Autokratie sowie die antiliberale US-Regierung erschweren den internationalen Handel.

Nach der Neuwahl des EU-Parlaments, in dem seither auch die Rechtsextremen stärker sind, will von der Leyens zweite Kommission der Wirtschaft entgegenkommen. Anfang 2025 schlägt sie vor, dass die Unternehmen nur noch für ihre direkten, also weniger Lieferanten mitverantwortlich sein sollen, ihre Haftung beschränkt und das Inkrafttreten der Richtlinie verschoben wird.

5. Akt – Zurück auf Los

In Berlin bildet sich eine Bundesregierung aus Union und SPD. Diese will das deutsche Lieferkettengesetz nicht mehr anwenden, bis die EU ihre neue Richtlinie beschlossen hat. Wirtschaftsverbände, viele Unternehmen, Union, FDP und AfD werden derweil daran arbeiten, dass die künftige EU-Regelung möglichst schwach ausfällt.

Bis dahin herrscht ein regelloser Zustand wie vor dem Beschluss des deutschen Gesetzes. Den Unternehmen bleibt es selbst überlassen, ob sie ihre Verantwortung für die Menschenrechte wahrnehmen. CSU-Minister Gerd Müller hat umsonst gearbeitet. Katastrophen wie Rana Plaza werden wieder wahrscheinlicher.

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