piwik no script img

Das Kreuz mit dem NeusprechVom Wortmüll zur neuen Perspektive, Digga!

Neue Wörter aus der Jugend-, Management- oder Politsprache nerven. Manche sind aber auch ganz brauchbar.

Unter den Top-Drei der Jugendwörter 2025: Checkst Du? Foto: Marijan Murat/dpa

R egelmäßig tauchen in unserer Sprache neue Ausdrücke auf und so manchen finde ich durchaus brauchbar. Andere dagegen sind so bekloppt, dass ich nachvollziehen kann, dass für sie extra das Wort Sprachmüll erfunden wurde. Besonders lustig ist natürlich nach wie vor Jugendsprache. Ich benutze sie gerne, um unsere Tochter zu foppen – ganz hart cringe, ich weiß. Wenn ich allerdings zum Beispiel Radio höre, nerven mich Anglizismen wie Kids, Food oder Facilitys – und das nicht, weil sie unseren armen, einheimischen Wörtern den Lebensraum wegnehmen würden. Ich empfinde sie schlicht als anbiedernd und überflüssig.

Noch schlimmer sind Experten, die in Beiträgen ein unnützes Fremdwort ans andere reihen, sodass man dem Inhalt kaum noch folgen kann. In Gesprächen mit Ärzten und Psychologinnen ist mir das zum Beispiel aufgefallen. Alles ist so immanent, systemisch, intrinsisch und überhaupt kohärent, dass sich mir dabei der Verdacht aufdrängt, diese Art zu sprechen könnte intentional sein – also Absicht.

Ansonsten liegt es wohl an meiner Abstinenz (a)sozialer Medien, dass ich in manchen Bereichen kaum mitkomme mit dem Tempo, in dem neue Begriffe auftauchen, die politisch korrekt sind, um kurz darauf wieder diskriminierend zu sein. Und dann diese Abkürzungen, die sich oft schon wieder verändert haben, bevor ich sie verstanden, geschweige denn auswendig gelernt habe.

Sehr zu schätzen weiß ich dagegen das Wort queer: ein vergleichsweise offener Sammelbegriff gegen allgemeines Schubladendenken. Die Abkürzung LGBTQIA+ kann ich dagegen immer noch nicht ohne Spickzettel sagen.

Sehr zu schätzen weiß ich das Wort queer: ein vergleichs-weise offener Sammelbegriff gegen Schubladendenken

Und dann ist da noch FLINTA* (Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, nicht Binäre, Trans- und Agender-Personen), was aber nicht dieselbe Gruppe wie LGBTQIA+ beschreibt, weil (laut lgbt.fandom.com) „FLINTA* endo-cis-Heteras enthält und gleichzeitig nicht-Hetero-endo-Cis-Männer, darunter etwa Schwule und Bisexuelle, ausschließt“. Checkst du? Ich nicht!

Solche Selbstbezeichnungen sind doch eigentlich da, um Zusammenhalt zu erzeugen und uns aus der Sprachlosigkeit zu holen. Stattdessen verursachen sie oft wieder Ausgrenzung. Familienintern sind wir dazu übergegangen, unsere Tochter und ihr Gemenge queerer LGBTQIA+- FLINTA*-Freund­­_innen „schwule Mädchen“ zu nennen. Geht natürlich gar nicht, macht die Sache aber deutlich einfacher. Olivia ist glücklicherweise tolerant und verdreht nur die Augen.

In meiner eigenen Blase (also Bubble-mäßig, nicht von der Anatomie her) ist vor einigen Jahren das Lehnwort Care-Arbeit aufgetaucht. Das hat für mich einen echten Mehrwert, weil es nicht nur Pflege bezeichnet, sondern alles meint: vom Zubettbringen der eigenen Kinder bis hin zur privaten und beruflichen Pflege kranker, alter oder behinderter Menschen.

Care-Arbeit (sei es bezahlte oder unbezahlte) ist nicht einfach ein neues Wort, sondern überhaupt erst die Anerkennung einer großen gesellschaftlichen Aufgabe (über deren Verteilung ernsthaft diskutiert werden muss).

Dagegen bieten viele der verkrampften Laber-Bezeichnungen rund ums Thema Behinderung aus meiner Sicht gar keinen Vorteil. Neulich wurde mein Sohn in einem Gespräch mit der Arbeitsagentur intellektuell beeinträchtigt genannt. Eine fast schon alberne Umschreibung (um nicht euphemistisch zu sagen) für einen 18-Jährigen, der währenddessen versuchte, das Wasser aus einer Blumenvase zu trinken.

Solche Weichspülwörter werten die Leistung ab, die alle Beteiligten bei der Betreuung von Willi erbringen. Ich habe aber nichts dazu gesagt, ich wollte lieber schnell mit Willi nach Hause. Dort war der Ausdruck dann immerhin noch für einen Lacher gut, als Olivia trocken meinte: ­Intellektuell beeinträchtigt? Deine Mudda!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Birte Müller
Freie Autorin
Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Sehr geehrte Frau Müller,



    vielen Dank für Ihre klugen Worte.



    Es erscheint mir ein sinnvolles Vorgehen, Unsinn mit Humor zu begegnen.



    Ich stolpere auch weiter über LGUndsoweiterAlter! und finde die Beschreibung Schwule Mädchen demgegenüber griffig. Klar spielt da die sympathische Herleitung des Begriffs auch eine Rolle, für mich eins der fettesten Brote.



    NetzpassivistIn ist eine Neuentdeckung für mich, die ich mir gerne in den Setzkasten stellen werde. Das be( um)schreibt klar genug auch meine Einstellung zu (a)sozialen Medien und Überflüssigem.



    Netzaktivismus bleibt für mich ein Widerspruch, da, bei Allem Verständnis, der/die im Netz gefangene eher inaktiv ist.



    Beim Lesen Ihrer Kolumne bin ich stets beschwingt und werde die Beine aus dem Bett schwingen un sie anschließend in die Hand zu nehmen.



    Mit Vielen Grüßen an Ihren blumenliebenden Sohn und ihre Muddaliebende Tochter verbleibe ich als dankbarer Wortliebhaber.