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Das Haus des Reisens in BerlinFür die Sehnsucht nach dem Anderswo

Einerseits sollte es zu den Sternen gehen, nähere Ziele aber blieben verwehrt: Im Haus des Reisens am Alexanderplatz zeigt sich der Zwiespalt der DDR.

Ein Schaustück der DDR: das Haus des Reisens am Alexanderplatz Illustration: Jeong Hwa Min

Berlin taz | Während sich die Tram im Schritttempo ihren Weg durch die Menschenmassen bahnt, posieren Tou­ris­t:in­nen aus aller Welt vor der 10 Meter hohen Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz. Sie ist nicht nur ein beliebtes Fotomotiv, sondern auch Treffpunkt für alle diejenigen, die sich auf diesem chaotischen Platz in Berlin finden oder nicht verlieren wollen.

Als die Weltzeituhr 1969 der Öffentlichkeit übergeben wurde, muss es einigen Bür­ge­r:in­nen der DDR allerdings wie blanker Hohn vorgekommen sein, dass sie hier eine Uhr bekamen, auf der die Namen von 146 Städten verzeichnet sind, die sie zum größten Teil vermutlich nie besuchen konnten. Aber selbst wenn viele der Orte jenseits des Eisernen Vorhangs unerreichbar in weiter Ferne lagen: Reisen in der DDR war nicht unmöglich. Das bezeugt auch das Haus des Reisens, ein paar Hundert Meter weiter am Rand des Alexanderplatzes.

Auf der einen Seite ist es eng umschlungen von der Tram, die vom Alexanderplatz kommend links um das Gebäude biegt, auf den anderen Seiten ist es von den dicht befahrenen Straßen Otto-Braun-Straße und Alexanderstraße umrahmt – und mit seinen 18 Geschossen ist es nach dem ehemaligen Hotel Stadt Berlin das höchste Gebäude am Alexanderplatz.

Der Bau war bereits 1961 beschlossen, aber erst 1971 wurde das Haus des Reisens nach zwei Jahren Bauzeit als dann eines der letzten Gebäude im Zuge der sozialistischen Neugestaltung des Platzes der Öffentlichkeit übergeben.

Nix wie hin

Die Besonderheit

Auf den ersten Blick wirkt das Haus des Reisens unscheinbar, halt nur ein weiteres Hochhaus am Alexanderplatz. Doch dahinter verbirgt sich ein interessantes Stück DDR-Kulturgeschichte. Der Alexanderplatz ist eben mehr als nur der Fernsehturm.

Das Zielpublikum

Alle, die sich für Berlin und die DDR-Geschichte interessieren. Und für alle, die ein Faible für sozialistische Kunst haben und sich immer gefragt haben, warum dort dieses riesige Kupferrelief hängt.

Hindernisse auf dem Weg

Eigentlich keine, denn es ist gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Um das Relief auch zu sehen, geht‘s auf die Mittelinsel zwischen dem Haus des Reisens und dem danebenliegenden Haus der Statistik. Dabei auf den dichten Verkehr der Otto-Braun-Straße achten. Sicherheit geht vor Kunst.

Das Haus beherbergte bis zur Wende die Generaldirektion des VEB Reisebüro der DDR und Büros der Staatsfluglinie Interflug. Im Erdgeschoss befand sich eine hell erleuchtete Schalterhalle, in der die Bür­ge­r:in­nen und Be­su­che­r:in­nen der DDR sich nicht nur mit Reisegeld versorgen, sondern auch Reisen aller Art buchen konnten, ins In- und (sozialistische) Ausland. Falls es mal länger dauerte, konnten die Wartenden im Café Espresso dabei die Zeit bei einem Getränk überbrücken. Das Haus des Reisen sollte ein zentraler und repräsentativer Anlaufpunkt sein. Und zeigen, dass auch in der DDR Reisen möglich war. Dass das immer unter dem wachsamen Auge der Staatssicherheit passierte, war den Menschen schon bewusst.

Überwindung von Zeit und Raum

Auf der zur Otto-Braun-Straße zugewandten Ostseite schmückt ein damals auch erleuchtetes, großes Kupferrelief das Haus. In diesem von Walter Womacka gestalteten Werk mit dem Titel „Der Mensch überwindet Zeit und Raum“ haben es die Betrachtenden mit einer wirklichen Fernreise zu tun: Umrahmt von den schützenden Armen eines Kosmonauten, der auch gleich die Richtung weist, reisen ein Mann und eine Frau in Richtung Sonne, zu den Sternen. Begleitet werden sie dabei von der in der sozialistischen Bildsprache stets präsenten Friedenstaube.

Den meisten Fuß­gän­ger:in­nen, die direkt am Haus des Reisens vorbeigingen, ist das Relief allerdings vermutlich gar nicht aufgefallen. Denn es ist mit seinen 24 auf 5 Metern so groß, dass es – ganz im Sinne einer autogerechten Stadt – nur von der Straße oder der Mittelinsel in seiner vollen Breite erkennbar ist.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Zeit hat das Relief durchaus überwunden, es blieb auch nach der Wende am Haus. Für das Haus des Reisen war aber nach der Wiedervereinigung Schluss.

Seitdem beherbergt das Gebäude ein Sammelsurium an verschiedenen Gewerben und ist damit auch ein bisschen Sinnbild des neuen Berlins.

Im Erdgeschoss, wo einst die Menschen für Fahrkarten anstanden, können nun Schäpp­chen­jä­ge­r:in­nen und hippe Tou­ris­t:in­nen aus aller Welt in einem Second-Hand-Laden auf modische Zeitreise gehen. Im darüber liegenden, mit großen Fenstern ausgestatteten Stockwerk befindet sich das Fitnessstudio einer bekannten Kette, dessen Logo gut sichtbar oben an der Spitze des Hauses prangt. In den restlichen Etagen werden die Räume weiterhin als Büros genutzt. Von der Gebäudereinigung über Anwälte hin zum Immobilienservice findet sich hier alles. Einzig ein kleines Reisebüro für Wellnessreisen im 4. Obergeschoss erinnert an die frühere Nutzung des Gebäudes, das seit 2015 unter Denkmalschutz steht.

Zwanglos in die Ferne schweifen

Auf der Dachterrasse hat im Haus des Reisens, wie oft auch anderswo in Berlin, ein Eventclub seinen Platz gefunden. Hier können Be­su­che­r:in­nen mit einem Cocktail in der Hand den Blick über Berlin und in die Ferne schweifen lassen, während unter ihnen der Verkehr rauscht. Und mittlerweile kommt man ja nicht nur mit den Blicken raus. Wer mag, kann auch all die auf der Weltzeituhr verzeichneten Orte bereisen, die den Bür­ge­r:in­nen der DDR bis zum Mauerfall noch verwehrt geblieben waren.

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