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Das Global Village in Berlin-NeuköllnVereint im globalen Dorf

Auf dem Areal der früheren Kindl-Brauerei entsteht das Global Village, Ort für NGOs und politische Initiativen, erklärt Geschäftsführer Armin Massing.

Konzentriertes Arbeiten im Global Village in Berlin-Neukölln Foto: Stefanie Loss
Interview von Susanne Memarnia

taz: Herr Massing, wie ist das Global Village hierher gekommen?

Armin Massing: 2016 hat die Stiftung Edith Maryon mit ihrer deutschen Tochter Terra Libra Immobilien große Teile des früheren Kindl-Areals gekauft. Die Stiftung macht ungefähr das, was das Mietshäuser-Syndikat mit Wohnungen macht: Sie kauft Gewerbeimmobilien und entzieht sie langfristig der kapitalistischen Verwertung, indem sie sie gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung stellt. Wir haben 2018 das Sudhaus 2 für 100 Jahre im Erbbaurecht von der Stiftung gekauft, dazu ein altes Gebäude, das abgerissen werden musste. An dessen Stelle ist das neue Berlin Global Village entstanden.

Glück gehabt, dass Sie so im teuren Hipster-Bezirk landen konnten, aber billig war das sicher nicht!

Im Interview: Armin Massing

46, ist einer der Geschäftsführer der Berlin Global Village gGmbH, die das Berlin Global Village betreibt. Der gleichnamige Verein wurde vor 10 Jahren gegründet mit dem Ziel, ein gemeinsames Haus für entwicklungspolitische und migrantisch-diasporische Gruppen in Berlin zu finden. Massing hat Geschichte, Philosophie und öffentliches Recht studiert und zuvor als Geschäftsführer beim Forum Fairer Handel gearbeitet.

Nein, 5 Millionen Euro hat die Berlin Global Village GmbH der Stiftung bezahlt, insgesamt haben wir gut 15 Millionen investiert. Wir haben eine Initialförderung vom Land Berlin in Höhe von 3 Millionen Euro bekommen, damit konnten wir Kredite von 9 Millionen Euro aufnehmen, für Altbau und Neubau. Die zahlen wir jetzt mit den Mieteinnahmen von den NGOs langfristig ab. Dazu haben wir für die Sanierung im Altbau und die Innenausstattung noch 1,4 Millionen vom Land aus SIWA-Mitteln bekommen und 1,8 Millionen vom Bundesentwicklungsministerium, um diesen Ort als Diskursort für Entwicklungspolitik herzustellen. So ein Zentrum ist ja bundesweit interessant für entwicklungspolitische Organisationen. Wenn die Sanierung im Altbau fertig ist, können hier große Konferenzen und Tagungen stattfinden, so einen Ort gibt es bislang in Berlin gar nicht.

Was bringt so ein Zentrum noch?

Es gab drei Gründe, warum wir vor zehn Jahren beim BER, dem Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag, dachten, so ein Ort wäre wichtig. Zum einen gibt es allein im BER über 100 entwicklungspolitische Organisationen, dazu sehr viele migrantisch-diasporische Organisationen in Berlin – aber alle waren über die ganze Stadt verteilt. Wenn wenigstens ein Teil von ihnen an einem Ort zusammenkommen kann, dachten wir, gibt es mehr Sichtbarkeit – für sie, aber auch für die ganze Szene. Die zweite Idee war, Synergien untereinander zu schaffen: wenn viele an einem Ort arbeiten, bringt das was für die inhaltliche Arbeit. Der dritte Grund war 2011 noch nicht ganz so brennend, aber absehbar: Die Preise für Gewerbemieten ziehen immer stärker an, gerade für kleine Vereine wird es zunehmend schwierig bis unmöglich, bezahlbare Büroräume zu finden. Bei manchen unserer Vereine hatten sich die Mieten verdoppelt, nachdem der Gewerbemietvertrag auslief – die waren heilfroh, hier unterzukommen, wir haben stabile, bezahlbare Mieten von 10 Euro kalt.

Aber ist das Ganze nicht ein Ufo in diesem armen Rollberg-Kiez?

Die Leute können einfach hinkommen mit ihren Kindern, sich Spielsachen anschauen, ausprobieren, ausleihen

Das wollen wir gerade nicht sein, das ist uns sehr wichtig – und darum machen wir auch Angebote für den Kiez. Gerade hat im Erdgeschoss des Neubaus zum Beispiel eine Sommerschule stattgefunden für Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft. Dann wird es ab Herbst eine Ludothek geben mit Spielsachen aus aller Welt. Der Eingang liegt direkt gegenüber vom Rewe, so dass es jeder gut sehen kann. Da muss man nicht akademisch gebildet sein, perfekt Deutsch sprechen oder Geld haben: Die Leute können einfach hinkommen mit ihren Kindern, sich Spielsachen anschauen, ausprobieren, ausleihen.

Wir betreten den Gebäudekomplex durch den neuen Haupteingang, eine Art Verbindungskasten zwischen Altbau und Neubau. Noch geht es von hier nur in den Neubau, der Durchbruch zum Altbau kommt erst im nächsten Sommer, wenn die Sanierung fertig werden soll. Auf dem Klingelschild ist aber schon die ganze Vielfalt der 45 Be­woh­ne­r*in­nen beider Häuser ablesbar: genannt seien hier beispielhaft der Afrika-Rat Berlin Brandenburg, die Arbeitsgemeinschaft der Eine-Welt-Landesnetzwerke, buntkicktgut, DaMigra, der Ernährungsrat Berlin, das Forum Fairer Handel, das Gesundheitskollektiv Berlin, moveGlobal, der MigrantinnenVerein Berlin.

Was passiert im Erdgeschoss?

Beide Erdgeschosse – in Alt- und Neubau – sind für die öffentliche Nutzung da. Im Altbau entsteht ein Begegnungscafé als offener Treffpunkt, ein Veranstaltungssaal und der sogenannte Weltraum, ein Lernraum für Schulklassen für Bildungsangebote zu globalen Fragen. Außerdem bekommt dort das Haus der Kulturen Lateinamerikas einen Workshop-Raum, die machen politische Veranstaltungen, aber auch Salsa-Tanzkurse und Konzerte. Im Neubau gibt es Veranstaltungsräume für Seminare, Ausstellungen, Workshops, die Gruppen stunden- und tagesweise mieten können, und eben die Ludothek. In den oberen Etagen sind die Büros der Vereine und Gruppen. Insgesamt haben wir 1.000 Quadratmeter öffentliche Flächen in den Erdgeschossen und 4.000 Quadratmeter Büroflächen.

Wenn man sich das Klingelschild anguckt, ist das eine ziemlich bunte Mischung aus entwicklungspolitischen und migrantischen Gruppen. Passt das gut zusammen?

Das ist wirklich eine Besonderheit des Berlin Global Village. Es gibt rund 15 sogenannte Eine-Welt-Häuser in anderen Städten in Deutschland, und in den meisten dominieren die entwicklungspolitischen Gruppen. Was wir von Beginn an konzeptionell mitgedacht haben, ist die Idee, beide Szenen – entwicklungspolitische und migrantisch-diasporische – miteinander zu verbinden. Wer heute in dem Feld Entwicklungspolitik arbeitet, was ja schon vom Begriff her schwierig ist, muss den Aspekt von Dekolonialität immer mitdenken. Und es gibt gerade in Berlin sehr viele migrantische und diasporische Organisationen, die zu den Themen arbeiten. Aber lange waren das sehr parallele, um nicht zu sagen getrennte Szenen.

Nachfrage: Was ist das Problem an Entwicklungspolitik, worin liegt der Gegensatz zur migrantisch-diasporischen Perspektive?

Der Begriff Entwicklungspolitik beinhaltet ursprünglich, dass sich die eine Seite, der globale Süden, entwickeln muss, die andere Seite, der globale Norden, aber schon als entwickelt gilt. Da steckt natürlich ganz viel koloniale Kontinuität drin. Es blendet die Verantwortung des Nordens für globale Ungerechtigkeiten aus. Für die migrantisch-diasporischen Vereine sind solche postkolonialen Ansätze meist zentral, diese Kritik kommt aber auch von vielen entwicklungspolitischen Vereinen.

Wie schafft man da eine Verbindung?

Zum einen kommen die Gruppen hier schon räumlich zusammen, das werde ich gleich noch zeigen. Dann sorgen wir als Verein Berlin Global Village, der das Haus betreibt, für Vernetzung – innerhalb unserer Mitgliedsorganisationen und nach außen. Zum Beispiel hatten wir den Migrationsbeirat des Bezirks Neukölln zu Gast, in dem sind ja auch migrantische Vereine vertreten. Daraus sind schöne Verbindungen entstanden: Unser Mitgliedsverein moveGLOBAL, das ist ein Verband von migrantisch-diasporischen Organisationen in der Eine-Welt-Arbeit, hat dadurch jetzt zum Beispiel mehrere Kooperationen auf Bezirksebene.

Es war uns wichtig, dass Vereine bei uns für kleines Geld Veranstaltungen machen können

Massing führt durch neue, leere Räume im Erdgeschoss des Neubaus und bleibt in der Küche stehen.

Es war uns wichtig, dass Vereine bei uns für kleines Geld Veranstaltungen machen können und es eine Community-Küche gibt zum Selberkochen – damit man nicht auf teure Caterer angewiesen ist. Wir haben auch zahlreiche Workshops gemacht mit unseren Mitgliedern, um herauszufinden, was gebraucht wird. Zum Beispiel haben viele gesagt, ein großer quadratischer Raum wäre wichtig.

Wofür?

Weil viele Gruppen auch mal einen Stuhlkreis machen wollen, da stößt man bei anderen Veranstaltungsräumen oft an Grenzen. Auch die Toilettenfrage haben wir diskutiert.

Und?

Im öffentlichen Teil im Erdgeschoss haben wir Männlein und Weiblein, oben in den Büros All-Gender.

Was war den Vereinen noch wichtig?

Ganz wichtig waren die Begegnungsflächen. Denn bloß weil man an einem Ort arbeitet, kommt man noch lange nicht zusammen. Darum gibt es Teeküchen in jeder Etage, eine „Lounge“ zum gemeinsamen Mittagessen, die Dachterrasse, einen Raum der Stille – kurz: viele Möglichkeiten, sich zu begegnen.

Gibt es ein Beispiel für neue Verbindungen, die entstanden sind?

Seit März noch kein konkretes Beispiel, aber ich bekomme mit, dass entwicklungspolitische Organisationen auf migrantische zugehen und sagen: Wir wollen in diesem oder jenem Bereich etwas machen, was denkt ihr darüber? Da passiert was, aber noch ist alles sehr gedämpft durch Corona. Dennoch sehe ich Leute auf der Dachterrasse sitzen, die vorher nichts miteinander zu tun hatten.

Wir fahren per Aufzug in den dritten Stock. Massing führt durch den Flur in einen sehr großen und lichtdurchfluteten Raum: ein Open-Space-Büro, in dem acht Organisationen sitzen. Die Fotografin freut sich, endlich einmal sieht man Menschen bei der Arbeit – viele sind wegen Corona noch im Homeoffice. Eine Mitarbeiterin von Watch Indonesia ist bereit, sich fotografieren zu lassen. Dann geht es in den vierten Stock auf die Dachterrasse mit einer fantastischen Aussicht.

Gibt es manchmal Konflikte zwischen den entwicklungspolitischen und den migrationspolitischen Gruppen?

So starr ist die Grenze ja nicht mehr. Beim BER etwa gibt es inzwischen sehr viel antirassistische Arbeit. Er hat auch das Bündnis Dekolonize Berlin mitgegründet, bei den Protesten gegen das Humboldt Forum mitgemacht. Ein Teil der entwicklungspolitischen Szene sieht den dekolonialen Blick als Bestandteil seiner Arbeit an.

Aber nur ein Teil.

Ja, aber hier sind natürlich eher die Gruppen eingezogen, die Interesse an einer solchen Zusammenarbeit haben. Trotzdem könnte es natürlich zu Konflikten kommen. Aber die sehen wir dann als Teil unserer Arbeit, darum geht es ja, damit konstruktiv umzugehen und Lern- und Verständigungsprozesse in Gang zu setzen.

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