Das Finale der „Donjon“-Comicreihe: Vor der Endschlacht noch aufs Klo
Drachen im Düsenanzug, Körpertausch mit einer Ente: Der letzte Band der Fantasy-Comicparodie „Donjon“ ist mal wieder ein großes Durcheinander.
Der Dungeon ist ein konstituierendes Moment des Rollenspiel-Genres. Gemeint sind die labyrinthartigen, viele Ebenen umfassenden Verliese, in denen ein riesiger Schatz, ein bedeutendes Artefakt oder sonst irgendwas liegt, geschützt von Horden von Monstern. Am Ende wartet auch gern ein Drache.
Das lautverwandte „Donjon“ ist wiederum der Name des Wehr- und Wohnturms von mittelalterlichen französischen Burgen, und genau so ein Turm ist der Ausgangspunkt der wohl umfassendsten Fantasy-Parodie, die in Comicform zu finden und deren finaler Band 111 im Frühsommer auch in Deutschland erschienen ist.
Das Prinzip des Dungeons wird hier aus der anderen Richtung erzählt. Wir sehen, wie Hyazinth de Cavallère, der Wärter über den Donjon, aus ihm ein einträgliches Geschäft gemacht hat, Zielgruppe: Schatzsucher und Abenteurer. Er lebt von den Wertsachen seiner getöteten Kunden und muss sich nebenbei mit all den Problemen herumschlagen, die ein mittelständischer Betrieb mit sich bringt.
Erfunden und geschrieben wurde die Reihe von Lewis Trondheim und Joann Sfar. Die beiden Franzosen eint ihre unfassbare Produktivität, ihre überbordende Fantasie sowie ihr derber, zugleich ziemlich beiläufiger Humor, der gern und oft mit der Banalisierung von als ehrwürdig erlernten Situationen arbeitet. Bei Trondheim und Sfar interessieren sich die Protagonisten vor allem dafür, wie sie am besten jemanden fürs Bett finden. Die umständlichen religiösen Regeln einer Drachensekte werden flapsig kommentiert, und kurz vor der Endschlacht muss einer noch dringend aufs Klo.
300 Bände sollte es einst geben
Ursprünglich was „Donjon“ auf 300 Teile angelegt, schon das ist eine Parodie auf die aufgeblasenen Reihen des Fantasy-Genres. Weil all das nicht einmal Sfar und Trondheim bewältigen können, haben sie sich zahlreiche französische Kollegen als Zeichner hinzugeholt. Die bringen jeweils ihren eigenen Stil mit, dennoch hat die Serie insgesamt ein konsistentes Erscheinungsbild. Dafür sorgen die Arbeit des an fast allen Bänden beteiligten Koloristen Walter Pezzali und die klaren Character-Designs – eine Mitgift von Lewis Trondheim und dessen Vorliebe für anthropomorphe Tierfiguren: Eine Ente (Herbert von Vaucanson) und ein Drache (Marvin, der Staubkönig) sind die Hauptfiguren der Donjon-Reihe, auch Hasen, Katzen, Elefanten und Echsen spielen tragende Rollen.
Letztlich sind es 42 Bände geworden, die sich auf ein komplexes Gestrüpp von Haupt- und Unterreihen verteilen: „Zenit“ erzählt von der Blütezeit des Donjons und seinem beginnenden Untergang. Die fünf Teile von „Morgengrauen“ behandeln die Vorgeschichte von Hyazinth de Cavallère und sind mit Minuszahlen nummeriert, so wie die unterirdischen Level eines Rollenspiel-Dungeons.
Die „Parade“-, „Monster“- und „Bonus“-Reihen erzählen Backstorys und Nebenaspekte aus dem Donjon-Universum als in sich geschlossene Geschichten. Vom abschließenden Zyklus „Abenddämmerung“ – dem einzigen, der in den vergangenen Jahren noch vorangebracht wurde – liegen schließlich die Bände 101 bis 106, 110 und jetzt eben die 111 vor.
In ihnen ist Hyazinth de Cavallère tot und der Donjon schon lange nicht mehr in Betrieb. Die Welt verwandelt sich in ein Archipel aus durch die Atmosphäre schwebenden Inseln. Was Sfar und Trondheim allein aus diesem Landschaftslayout an Geschichtenpotenzial herausholen, ist fantastisch: Um von A nach B zu kommen, muss man wissen, welche Insel wann wo vorbeifliegt, aus Ermangelung an Uhren tragen die Helden Dinge mit sich herum wie eine Schnecke, die sich exakt einmal pro Stunde häutet. So landen sie unter anderem auf einer sich stetig drehenden Insel, deren Bärenbewohner allerlei Strategien entwickelt haben, nicht herunterzufallen.
In den beiden finalen Bänden, die aus verschiedener Perspektive den gleichen Zeitraum erzählen, hat sich die Geschichte noch weitergedreht. Nun sind fast alle Inseln ins Weltall hinaufgestiegen, wo ein Superbösewicht namens „Die Schwärze“ herrscht. Die Drachen tragen Düsenkampfanzüge, Ente Herbert muss auf Drogen ins Totenreich reisen, seine Tochter und ein roter Kampfhase haben Körper getauscht und … tja, es ist ein ziemliches Durcheinander. Und auch wenn es wieder herrlich bescheuerte Einfälle gibt, gehört die 111 doch zu den schwächeren und schwer zugänglichen Teilen der Reihe.
Dabei sind viele der Einzelbände so entworfen, die man mit ein wenig Fantasie und Aufgeschlossenheit ohne Vorwissen wunderbar verstehen kann. Was man auch muss: Denn selbst nach der Lektüre sämtlicher Donjon-Teile bleiben Fragen offen, Enden lose und Schicksale ungeklärt, fast so, als hätten sich Joann Sfar und Lewis Trondheim nach 16 Jahren in ihrem eigenen Kellerverlies verlaufen.
Vielleicht kommen sie da ja eines Tages mit neuen Donjon-Geschichten wieder heraus. Wäre doch schön.