Das Ende der Hamburger Morgenpost: Metropole ohne Boulevard
Die „Hamburger Morgenpost“ erscheint seit vergangener Woche nicht mehr täglich. Seither fehlt unserem Autor etwas im Tagesalltag.
W elcher Kleingartenverein im beschaulichen Poppenbüttel nun für ein Bauprojekt weichen muss, welcher Promi aus dem feinen Elbvorort Blankenese sich schon wieder getrennt hat – und welches neuestes Chaos bei den Fußballern des Hamburger SV losgetreten wurde? Die erste Woche ist rum, in der das Tag für Tag auf Papier nicht mehr zu erfahren ist: Die Hamburger Morgenpost hat aufgehört, als Tageszeitung zu erscheinen. Damit hat die 1,8-Millionen-Metropole Hamburg kein lokales tägliches Boulevardblatt mehr.
Immer weniger Hamburger:innen hatten sich in den vergangenen Jahren morgens am Kiosk eine Mopo geholt. Angesichts des so kontinuierlichen wie prozentual hohen Auflagenrückgangs war das Ende der Mopo in ihrer bisherigen Form also unausweichlich. Nun soll die Umwandlung zur Wochenzeitung das wirkliche, das absolute Ende abwenden. Seit Freitag vergangener Woche liegt die neue, 104 Seiten dicke Wochen-Mopo an den Kiosken, mit „Gesprächsstoff aus Hamburg, der für die ganze Woche reicht“.
Was bietet ein Boulevardblatt? Nachrichtenseiten, die einen schnellen Überblick mit großen Bildern liefern, die sich entspannt und ohne große geistige Mühe morgens beim Kaffee, in der Mittagspause auf der Arbeit, beim Feierabendbier in der Kneipe durchblättern lassen.
Die Mopo war dafür besonders gut geeignet, machte sie doch keinen reinen Krawallboulevard, sondern schaffte es, auch aus linker Perspektive sympathisch zu sein, wenn sie groß über eine drohende und extrem ungerecht empfundene Abschiebung berichtete. Soziale Themen fanden genauso ihren Weg auf die Titelseite wie Berichte darüber, welche Gangster auf dem Kiez aktuell das Sagen haben.
Das Schlimmste: Kein Tageshoroskop mehr!
Es ist Freitagmittag auf der Arbeit, die erste Ausgabe der Wochen-Mopo in den Händen: Schnell durchblättern, um einen Überblick zu bekommen, lässt sie sich nicht mehr. Dafür aber erzählt der Bürgermeister in einem länglichen Interview, warum er gar nicht so sehr von seinen grünen Koalitionspartnern genervt sein will. Na gut, der Rest lässt sich ja in den nächsten Tagen noch lesen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Montagvormittag im Café: Die Mopo liegt nicht auf ihrem sonst üblichen Platz neben dem Wasserspender. Es dauert ein bisschen, bis sie eine Frau wieder zurücklegt. Die Neugier aufs Weiterblättern ist dann gering – man weiß ja schon, was auf den ersten paar Seiten stand. Auf den Seiten weiter hinten, die Veranstaltungstipps für eine Woche liefern, ist nachzulesen, was man vorgestern verpasst hat.
Dienstagabend, Kneipe: War man zum Feierabendbier mit einem Freund verabredet und zu früh da, schnappte man sich erst mal die aktuelle Mopo vom Tresen und blätterte sie beim ersten Bier durch. Doch da liegt nun keine, die Wochen-Mopo muss wohl übers Wochenende abhandengekommen sein. Also: Handy raus, es gibt ja noch mopo.de? Nee, ich hab den ganzen Tag schon auf Bildschirme gestarrt! Am Fenster, durch das man vom Tresen auf den Gehweg blickt, laufen die Menschen wieder mit Schal und Mütze.
Das Schlimmste ist, sagt der Freund dann, dass er sich mit seinen Kolleg:innen in der Mittagspause nicht mehr über das Mopo-Tageshoroskop amüsieren kann. Da sei die sonst so ernste Geschäftigkeit immer aufgebrochen worden. Ich komme gar nicht auf die Idee, ihn zu fragen, was er von der Behauptung des Bürgermeisters hält, er mache gute Wohnpolitik. Ist auch echt schon einige Tage her, als ich davon las.
Ob die Menschen in München, Köln, natürlich in Berlin oder sogar in Hannover, wo es überall noch lokale Boulevardblätter gibt, eigentlich ahnen, was auch ihnen eines Tages verloren gehen könnte?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl