Das Beste aus der Corona-Zeit machen: Zu Hause vorm iPad tanzen
Das lehrreiche Homeschooling, die vielen tollen Streamingangebote, so schön kann das Zuhausebleiben sein? Nein, leider nicht.
I ch fürchte, es läuft doch nicht so gut. Dabei: Die ersten Tage zu Hause schwebten fast auf einem Hoch dahin. Ist dieses Homeschooling-Ding – mal rein die primären Lerninhalte betrachtet – für die Kinder nicht möglicherweise lehrreicher als die Kreuzberger Grundschule?
Ist es nicht schön, dass die jetzt täglich gesendete „Sendung mit der Maus“ alle Generationen glücklich macht und deshalb fett auf dem „Corona-Wochenplan“ am Kühlschrank stehen darf?
Dass Alba Berlin sich mit der „Täglichen Sportstunde“ auf YouTube um den coolen Break zwischen Deutsch und Mathe kümmert? Und dass so viele tolle Tipps über Verteiler hereinschneien, „Planet Schule“, „Anton“, „Mikado“ und was nicht alles, pädagogisch wertvoller Content in rauen Mengen. Plus: Die Deutsche Oper streamt für umsonst ganze Inszenierungen! Die Berliner Lesebühnen streamen Lesungen und haben so mehr Zuhörer*innen als bei ihren Realwelt-Auftritten!
Die Cantienica-Lehrerin schickt das wöchentliche Beckenboden-Programm als Video und ist vor Begeisterung über ihr Meistern der Technik ganz rosé im Gesicht! Charité-Drosten redet überall, und man hat das Gefühl, durch Corona einen neuen klugen Freund gefunden zu haben. Und sogar das Berliner Nightlife gewährt mit „United We Stream“ einen sutschen Wiedereinstieg, für den man ganz dionysisch gestimmt noch die letzten Groschen aus der sich leerenden Freiberufler*innen-Kasse spendet.
Bei den Dealern im Park herrscht Hochbetrieb
Aber. Zu Hause vor dem iPad herumzutanzen ist doch nicht so ganz der wahre Heino. Und wie die DJs da mit Handschuhen auflegen. Bei jedem Wechsel Mischpult und Turntables desinfizieren. Und jetzt wahrscheinlich über Monate keine Gigs mehr haben. Die Alba-Sportstunde ist eigentlich auch mehr PR-Coup als wirklich funktionierende Kinderkörperermüdung. Damit werden sich mehrere Wochen Kasernierung nicht überstehen lassen.
Zudem bekommt alles plötzlich Auftragscharakter: Mach das Beste draus, hebe alte Schätze und arbeite den Kanon auf, gucke Resnais auf mubi.com, leg dir den „Mann ohne Eigenschaften“ nebens Bett, schließ endlich ein Netflix-Abo ab. Ächz.
Und schon ist aus dem zunächst lässig projektierten täglichen Joggen ein mit Ingrimm betriebener, essenzieller Bestandteil der seelischen Balance geworden. Als gestresster, beklommener Automat rast man am Kanal in großen Bögen um all die anderen stier Vorsichhinlaufenden herum, ärgert sich über den Müll (wo kommt der denn jetzt noch her?) und über die immer noch an den Tischtennisplatten Rundlauf Spielenden.
Bei den Dealern im Park herrscht Hochbetrieb. Die Kuriere düsen auf ihren Rädern zwischen Erdloch-Haschtütchenlager und Kunden hin und her, die Krise will offenbar Ablenkung. Im Büro voller Solo-Selbstständiger (ein neues Wort!) steigt die Verzweiflung. Aufträge brechen weg, Kinofilme brauchen nicht besprochen, Ausstellungstexte nicht vor Herbst geliefert zu werden, die Reisejournalistin mit dem Italien-Schwerpunkt ist besonders hart getroffen. Aber die neuen, um 60 Prozent verteuerten Mietverträge gelten trotzdem ab dem 1. April, sagt der Vermieter.
Und dann war ich noch so blöd, den Theweleit aus dem Regal zu ziehen, von wegen now is the time for ewig Ungelesenes. Und habe in seinen „Männerphantasien“ die ultimative Erklärung für die Sache mit dem Klopapier gefunden. Theweleit schreibt, dass der soldatisch-faschistische Mann „darauf gedrillt wurde, lieber zu sterben, als die Exkremente zu berühren. (Wer zur Sauberkeit erzogen ist, bleibt auch im Zusammenbruch Soldat.)“
Beim Blick ins leere Klopapierregal beschleichen mich leise Zweifel, ob dem Deutsch-Idiotischen tatsächlich der Garaus gemacht ist, wenn Björn Höcke seinen Flügel auflöst.
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