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DW Enteignen plant neues VolksbegehrenDas Gesetz aus der Schublade holen

Noch im Juni wird die Expertenkommission ihren Abschlussbericht vorstellen. Verweigert sich der Senat weiter, könnte ein neues Volksbegehren folgen.

Noch hat die Enteignungsparty nicht begonnen Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Man könnte denken, die Luft ist raus: Doch die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen könnte sich schon bald dafür entscheiden, einen zweiten Volksentscheid anzugehen. Und der hätte dann ein konkretes Vergesellschaftungsgesetz zur Grundlage. Wie die taz von mehreren Mitgliedern der Initiative erfuhr, laufen die Gespräche darüber auf Hochtouren, eine förmliche Abstimmung des zuständigen Koordinierungskreises aber gibt es noch nicht. Abgewartet werden soll zunächst der Abschlussbericht der Enteignungskommission, die Ende Juni ihre voraussichtlich letzte Sitzung hat sowie die Reaktion des schwarz-roten Senats darauf.

Die Idee indes kursiert unter den Ak­ti­vis­t:in­nen schon lange: Wenn die Regierung die Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids von September 2021 torpediert, will man selbst ein Gesetz zur Abstimmung stellen. Der bisherige Volksentscheid beinhaltete lediglich einen Appell an den Senat, ein Gesetz zur Vergesellschaftung der großen privaten Immobilienkonzerne auf den Weg zu bringen.

Rouzbeh Taheri, Mitbegründer der Initiative, vertritt diese Option schon lange; er sagt: „Wenn es der Senat nicht macht, muss es die Bevölkerung machen.“ Rechtlich möglich ist ein neues Volksbegehren, auch zum selben Thema. Einzige Einschränkung: es geht nicht zwei Mal in derselben Legislaturperiode.

Dass die neue Regierung aus CDU und SPD nicht vor hat, den Mehrheitswillen der Ber­li­ne­r:in­nen umzusetzen und die Wohnungsbestände der Konzerne zu vergesellschaften, gilt bei den Ak­ti­vis­t:in­nen als ausgemacht.

Im Koalitionsvertrag haben sich die beiden Parteien um eine konkrete Aussage herumgedrückt. Stattdessen planen sie ein Vergesellschaftungsrahmengesetz, um „einen Rechtsrahmen und objektive qualitative Indikatoren“ für Vergesellschaftungen in Bereichen der Daseinsvorsorge zu beschreiben. Inkraft treten soll es zwei Jahren nach Beschlussfassung und nach einer Prüfung durch das Landesverfassungsgericht. Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) sagte im Inforadio: „Wir werden das in dieser Wahlperiode umsetzen.“

Ein Rahmen enteignet nicht

DW Enteignen lehnt ein Rahmengesetz als unsinnig ab. Es werde für ein konkretes Gesetz, das die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände regelt, nicht gebraucht und diene lediglich dazu, Zeit zu gewinnen. Dagegen stehen Absichtserklärungen aus der SPD, dass beides gleichzeitig erfolgen soll. So beschloss der Parteitag Ende Mai ohne Kontroverse, dass „parallel zur Erarbeitung eines Rahmengesetzes ein spezifisches Gesetz für den Wohnungssektor“ erarbeitet werden soll.

Nur: Die Initiative traut der SPD nicht mehr, zu oft hat sich deren Führung gegen eine Enteignung ausgesprochen. Auch der neue Senator Gaebler ist kein Enteignungsbefürworter; sein Ziel sind Eigentümer, die der „Gemeinwohlorientierung Rechnung tragen“. Und dann ist da auch noch die CDU.

Schon in wenigen Wochen aber wird das Thema erneut hoch schwappen und den Senat unter Rechtfertigungsdruck setzen. Die vom Vorgänger-Senat eingesetzte Expertenkommission Vergesellschaftung unter Führung von Herta Däubler-Gmelin ist in ihren letzten Zügen. Ihren Abschlussbericht wird sie voraussichtlich noch Ende Juni vorstellen – weitere Termine nach Juni seien nicht vorgesehen, heißt es aus der Geschäftsstelle.

Viel spricht dafür, dass dieser Bericht die These des im Dezember vorgestellten Zwischenberichts stärkt: Vergesellschaftung ist möglich und unter dem Marktwert realisierbar. Die Reaktion auf ein positives Votum der Kommission hat der Senat aber bereits im Koalitionsvertrag vorweggenommen: In diesem Fall folge das Rahmengesetz. Ergo: Man beerdigt das Thema bis zum Ende der Legislatur 2026.

Achim Lindemann, Sprecher von Deutsche Wohnen & Co enteignen, sagt: „Senator Gaebler wird versuchen, den Bericht im Sommerloch untergehen zu lassen und das Thema abzumoderieren. Aber das werden wir ihm und der Regierung nicht durchgehen lassen – Berlin braucht ein echtes Vergesellschaftungsgesetz.“

Viel Geduld nötig

DW Enteignen wird demnach versuchen, politischen Druck zu erzeugen. Wenn der nicht fruchtet, bleibt eigentlich nur der Start eines neuen Volksbegehrens, diesmal mit einem fertigen Gesetz. Beim ersten Volksbegehren hatte die Initiative darauf verzichtet, weil das jahrelange Arbeit an einem komplizierten juristischen Thema bedeutet hätte.

Nun aber ist man weiter: Ein eigener Gesetzesentwurf liegt in der Schublade. Eine unabdingbare Überarbeitung kann auf Grundlage der Ergebnisse der Expertenkommission erfolgen. Das könne man selbst versuchen oder auch in die Hände einer Anwaltskanzlei legen. Intern heißt es, bis Ende des Jahres könne ein möglichst wasserdichtes Gesetz stehen.

Der Weg aber wäre weit: Anfang nächsten Jahres könnte DWE die 20.000 Unterschriften für die erste Stufe des Volksbegehrens sammeln. Trotz der zuletzt schwindenden Kraft der Mie­te­r:in­nen­be­we­gung gilt das kaum als Hürde. Noch immer ist die Initiative gut organisiert, viele Kiezteams arbeiten bis heute, ein neues Begehren würde zudem neuen Schwung bringen.

Was dann folgt: Eine Prüfung durch die Innenbehörde, nach einer Gesetzesänderung auf fünf Monate begrenzt, nachdem die Behörde die Prüfung des ersten DWE-Begehrens 15 Monate in die Länge gezogen hatte. Wahrscheinliches Szenario dabei: Der Senat betrachtet das Gesetz als verfassungswidrig – und legt es dem Landesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Selbiges passierte im Mai vergangenes Jahres schon mit dem Volksbegehren Berlin Autofrei. Beim Gericht liegt die Prüfung noch immer auf dem Stapel.

Auch für DWE könnte dies weitere ein bis zwei Jahre Wartezeit bedeuten. Erst danach könnte die zweite Phase des Volksbegehrens starten, bei der sie wieder 190.000 Unterschriften sammeln müssten und der bei Erfolg dann ein nächster Volksentscheid folgt. Die Enteignung braucht also einen sehr langen Atem. DW Enteignen holt gerade erst Luft.

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1 Kommentar

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  • Auch wenn ich das hier schon öfter geschrieben habe ist es faktisch so das es noch in der Geschichte der BRD eine Enteignung unter Marktwert gegeben hat. Was theoretisch laut Verfassung möglich wäre bedeutet nicht das es praktisch jemals durchgeführt wird ... Und ganz ehrlich wer glaubt denn ernsthaft das in einer Demokratie ein Verkäufer (Berlin) hingehen kann ein Produkt verkauft zum Marktwert ... und dann Jahre später wieder ankommt und das Produkt unter Marktwert wieder wegnimmt ... das geht vielleicht in Nord Korea oder in anderen diktatorischen Ländern. Es würde einen. unglaublichen Schaden für die deutsche Wirtschaft und das Vertrauen bedeuten und das werden die zuständigen Richter*innen beim Verfassungsgericht mit Sicherheit in einem Urteil mit berücksichtigen - denn es geht hier auch um das Deutschlandweite wohl der Allgemeinheit und das steht über den Interessen von ein paar Berliner Mietern die weiter in super günstigen Wohnung in der Innenstadt leben möchten. Das wird hier immer wieder vergessen.