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DIE WAHRHEITDas große Gackern

Dirk Niebel rettet die Welt mit neuem Speiseplan.

Die neue Spezialität auf dem Speiseplan der Bundestagskantine: „Fünffach duftende Hühnerfüße“. Bild: reuters

Der Entwicklungsminister hat ein Liedchen auf den Lippen. „Ich wollt, ich wär ein Huhn“, summt Dirk Niebel (FDP) vor sich hin, bevor er im Deutschen Bundestag ans Rednerpult tritt. Doch der Moment währt nur ein paar Sekunden. Dann wird seine Miene wieder ernst. Es gibt doch noch so viel zu tun, lauter wichtige Dinge. Denn Dirk Niebel will die Welt retten.

Erst hat er die Industrie düpiert und das Aus für den Biosprit E10 gefordert, weil dieser „zu stärkerem Hunger in der Welt“ beitrage. Doch das reicht dem Mann, mit dem nach eigenem Bekunden „die deutsche Entwicklungszusammenarbeit den Aufstieg in die höchste internationale Spielklasse geschafft“ hat, noch längst nicht. Jetzt legt sich Niebel mit allen an – der Wirtschaft, der EU und sogar mit deutschen Gewohnheiten.

„Es geht ums Ganze!“, ruft Niebel hinauf in die Kuppel des Reichstages. „Die Zeiten, in denen wir uns nur die Filetstücke ausgesucht haben, sind endgültig vorbei. Jetzt muss jeder im Kampf gegen die Armut seinen Beitrag leisten, und sei er noch so klein, also der Beitrag.“ Er ballt die Faust und reckt sie in die Höhe.

„Es geht ums Ganze“, wiederholt er pathetisch und macht eine Kunstpause, „ums ganze Huhn!“ Ein Raunen geht durch den Saal, Abgeordnete stecken flüsternd die Köpfe zusammen, Kanzlerin Angela Merkel erwacht aus dem Sekundenschlaf. „Worum geht’s?“, flüstert sie ihrem Vize Philipp Rösler zu. Der zwinkert und macht mit beiden Händen eine flatternde Geste.

In Merkels Blick keimt Hoffnung: „Tritt er zurück?“ – „Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin“, sagt Niebel gerade und deutet eine Verneigung an, „wenn Sie nicht kürzlich in China gewesen wären, ich wäre vielleicht nie darauf gekommen.“

Merkel hebt einen Mundwinkel. „Dabei ist es ganz einfach.“ Merkel hebt beide Mundwinkel. „Man muss nur drauf kommen.“ Merkel lächelt. „Die Gesellschaft ist wie ein Huhn“, hebt Niebel neu an. Merkels Lächeln erstirbt.

„Es gibt das gute Stück, das Filet, das in der Mitte, das alle haben wollen, und es gibt die Stücke, die hier und heute keiner mehr will – den Kopf, den Hals, die Füße. Aber was ist eine Gesellschaft ohne Kopf? Oder ohne Füße, auf denen sie stehen kann?“ Der Entwicklungsminister holt Luft. „In China dagegen mag man es mit den Menschenrechten nicht so genau nehmen. Aber sie wissen dort, ausgerechnet im Reich der Mitte, dass sich aus gekochten Hühnerhälsen etwas Leckeres zaubern lässt. Und auch Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben das erfahren!“

Merkel nickt, gequält von der Erinnerung an ein Bankett in der Verbotenen Stadt. Niebel fährt fort: „Darum sage ich: Deutschland braucht Hälse und Füße. Und Köpfe natürlich. Auch die von Hühnern. Erst recht von Hühnern. Darum sage ich als Entwicklungsminister der Bundesrepublik: Von heute an muss deutsches Essen neu gekocht werden! Von heute an wird kein einziger Kameruner, Liberianer oder Angolaner mehr an unseren Hühnerresten nagen.“

Niebel greift unters Rednerpult und entfaltet ein Transparent: „Wer Brust isst, kriegt die Keule!“ Er ruft: „Schluss mit dem Billigfleischexport nach Afrika! Schluss mit der mörderischen Agrarpolitik der EU!! Schluss mit dem Kapitalismus, denn Kapitalismus führt zum Faschismus!!!“ Im Saal entsteht Tumult, einzelne Abgeordnete verlassen den Raum, nur die Fraktion der Linken und der ernährungspolitische Sprecher der FDP, Hans-Michael Goldmann, applaudieren geschlossen. Niebel skandiert: „Hü-Hü-Hühnerklein ist für deutsche Kinder fein!!!“

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt ruft vergeblich zur Ordnung. Niebel brüllt in die Menge: „Schmeißt auf Bürokraten Eierhandgranaten!!“ Dann gelingt es der FDP-Fraktion, ihren tobenden Minister zu überwältigen. Die Kanzlerin bittet die Koalitionäre umgehend zu einer internen Besprechung.

Zwei Stunden später tritt Regierungssprecher Steffen Seibert vor die Presse. Der Entwicklungsminister sei nun wieder „auf dem Teppich der Realität“, erklärt Seibert, habe aber „ein gewichtiges Thema angesprochen“. Wenn es so sei, dass deutsche Hühnerfleischexporte afrikanische Kleinbauern in die Armut trieben, müsse man „darüber nachdenken, ob man diesen Konflikt zwischen Teller und Teller auflösen kann“. Dabei müsse man zu „innovativen Lösungen“ kommen, etwa in der Tierforschung. „Wenn es gelingt, ein Schaf zu klonen, wird man ja wohl auch Hühner ohne Extremitäten züchten können“, so Seibert.

Bis es so weit sei, werde die Bundesregierung aber mit gutem Beispiel vorangehen. Die Kanzlerin habe bereits angeregt, eine chinesische Spezialität auf den Speiseplan der Bundestagskantine aufzunehmen: „Fünffach duftende Hühnerfüße.“

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