DIE DEUTSCHE NAHOST-POLITIK KANN NICHT EWIG „NEUTRAL“ SEIN: Spiegel hat nur ein bisschen Recht
Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, macht es sich leicht: Er forderte die Bundesregierung auf, „an der Seite Israels zu stehen“. Ein Israel, das Spiegel in seiner Existenz bedroht sieht. Palästinensische „Terrorgruppen“ würden allein die politische Tagesordnung bestimmen. Und es sei Arafats Verantwortung, „Sicherheit und Ordnung“ wieder herzustellen. Implizit ist Spiegels Botschaft: Arafat hat sich für den Krieg entschieden. Ergo: Nur wer sich hinter Israel stellt, ist für den Frieden. Dieser Schluss aber ist falsch.
Natürlich ist es verabscheuungswürdig, wenn sich ein junger Palästinenser in die Luft sprengt und 15 Unschuldige mit in den Tod reißt. Oder, wie gestern, in einem Café eine Bombe hochgeht. Doch dass sich palästinensische Extremisten zu solchen Morden hinreißen lassen, sollte nicht den klaren Blick versperren.
So unterschlägt Spiegel, dass auch die israelische Regierung täglich Gewalt anwendet – als Militärmacht in Palästina. Gleichzeitig webt er an dem Mythos, dass Israel sich selbst verteidige. Tatsächlich verteidigt es jedoch unrechtmäßig besetzte Gebiete. Spiegels Forderung ist international einmalig: Die Bundesregierung soll sich auf die Seite einer Besatzungsmacht stellen.
Recht hat Spiegel nur mit seiner Aufforderung, Stellung zu beziehen. Die Bundesregierung muss ihre onkelhaft arrogante und pseudoneutrale Haltung zum Nahostkonflikt ändern: „Solange der Friedensprozess lief, waren uns beide Seiten gleichermaßen sympathisch. Nun, wo beide Seiten gegen den Friedensprozess verstoßen, sind sie uns auch gleichermaßen unsympathisch“, erklärte kürzlich der Außenamts-Staatsminister Ludger Volmer. Als ob es im Nahen Osten um Sympathiepunkte aus Deutschland ginge.
Wer, wie die Bundesregierung, immer beide Seiten unterstützen will, der kann keinen Konflikt beenden helfen und beraubt sich jeder Möglichkeit, eine Lösung zu gestalten. Die Regierungen in Frankreich und Großbritannien haben das begriffen. Dort werden die ungesetzlichen Tötungen mutmaßlicher palästinensischer Terroristen durch die israelische Armee ungeschönt als „Mord“ und „Staatsterrorismus“ bezeichnet. Eben dafür wurde Jürgen Möllemann vergangene Woche noch von der Bundesregierung scharf angegriffen. Er verlasse den „Konsens der deutschen Außenpolitik“, sagte Volmer über Möllemann. Doch dieser Konsens ist nicht einmal europäischer Konsens. YASSIN MUSHARBASH
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