DIE CDU GREIFT FISCHERS STAATSVERSTÄNDNIS AN – UND HAT DAS GLEICHE: Konservative Anarchisten
Der CDU genügt es nicht, dass Fischer sich nur von den Mitteln, nicht aber von den Zielen seiner Vergangenheit distanziert. Sie ist der Sache nach im Recht: Die junge Generation hätte ihre Kräfte in die Reform des Staates setzen müssen, statt sie in dem aussichtslosen (und auch nicht ernst gemeinten) Versuch zu verströmen, ihn zu stürzen.
Aber: Wenn sich die CDU über Staatsfeindlichkeit aufregt, so sitzt sie im Glashaus. Denn es gibt Methoden, den Staat zu schwächen, die viel wirkungsvoller sind als die simple, mit Steinen auf Polizisten zu werfen. Man braucht sich nur von dem Begriff des Allgemeinwohls zu lösen; man braucht nur auf Liberalisierung und Privatisierung zu setzen; man braucht nur eine Ideologie aufzubauen, die Selbstregulierung behauptet, wo blinde Kräfte sinnlos walten – und man hat den Staat viel erfolgreicher unterminiert, als es die militanten Revoluzzer der Vergangenheit je vermocht hätten.
Man muss nicht „Alle Macht dem Volke!“ schreien, um dem Staat seine Potenzen zu entreißen; die Maxime „Alle Macht der Wirtschaft!“ tut es auch. Die so genannten Konservativen sind Anarchisten, die das abendländische Staatsverständnis ruinieren. Zusammen mit den brav gewordenen Linken, die sich einen unreflektierten Staatsdefätismus erhalten haben, ziehen sie denselben Karren.
Wenn man heute mit einem Konservativen spricht, kann man sich nur wundern: Er vertritt genau den Standpunkt, den wir Linken – nach dem Abschied von den staatssozialistischen Vorstellungen – in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre einnahmen: Small is beautiful, alles Gute kommt von unten, Gemeinschaft statt Gesellschaft.
Heute fahren rechts und links auf Ideologien ab, in denen das Wort „Staat“ ganz klein geschrieben wird. Diskurstheorie, Systemtheorie, Kommunitarismus – im Ergebnis alles dasselbe: Der Staat ist dem Geschiebe der Pressuregroups ausgeliefert. Er ist zu schwach, um auch nur die Hochgeschwindigkeit auf der Autobahn oder die Verfütterung von Tiermehl zu verbieten. Warum also hat die CDU etwas gegen Joschka Fischers alte Staatsfeindlichkeit einzuwenden? SIBYLLE TÖNNIES
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