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DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig„Ich bin froh, dass es die Ultras gibt“

Der neue DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig fordert Vereine, Fans und Polizei auf, ihre Machtspielchen zu beenden. Er fühlt sich im Stadion sicher.

Gegenseitige Vorwürfe: Viele Fans lehnen das Sicherheitskonzept ab Bild: dpa
Interview von Christoph Ruf

taz: Herr Rettig, manche Politiker stellen Ihre Amtszeit unter ein Leitmotiv. Haben Sie auch eines?

Andreas Rettig: Nur gemeinsam geht’s. Das gilt sowohl für das Miteinander von DFL und DFB als auch für unser Verhältnis zu den Fans.

Zuletzt war die Debatte um die Sicherheit in den Stadien allerdings reichlich verfahren.

Das Problem ist, dass jeder seinen Ausschnitt wahrnimmt und meist auch legitime Interessen hat. Die große Kunst wird es sein, dass alle aus der Vogelperspektive auf die Probleme draufschauen.

Zumal viele Fans bestreiten, dass es überhaupt ein Sicherheitsproblem gibt. Der Internet-Aufruf „ich fühl’ mich sicher“ wurde zigtausendfach unterschrieben.

Den hätte ich auch unterschrieben! Was uns wirklich Kummer bereitet, betrifft ja auch nur einen kleinen Teil der Zuschauer. Das gilt auch für die umstrittensten Maßnahmen wie die Kontrollen in separaten Zelten: Selbst beim Spiel Bayern München gegen Frankfurt, bei dem die Kontrollen so hohe Wellen geschlagen haben, wurden maximal 30 Leute untersucht. Und keiner von denen musste sich auf die Unterhose ausziehen. Ich sage aber auch: Von allen Seiten wurde nicht so kommuniziert, wie das im Sinne einer Deeskalation hilfreich ist.

Bild: dpa
Im Interview: 

ANDREAS RETTIG, 49, ist seit dem 1. Januar 2013 Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Zuvor war er als Manager beim SC Freiburg (1998–2002), beim 1. FC Köln (2002–2005) und dem FC Augsburg (2006–2011) tätig.

Und danach haben Vereine, Fans und Polizei ihre Sicht der Dinge ventiliert. Schuld waren die jeweils anderen.

Das ist die selektive Wahrnehmung, die wir aufbrechen müssen. Die Fan-Vertreter haben damals nur über die Zeltkontrollen geklagt. Der Veranstalter hat vor allem hervorgehoben, dass er dank der verschärften Sicherheitsmaßnahmen Messer, Schlagringe und andere Waffen entdeckt habe – und dabei verschwiegen, dass die Waffen nicht in den Zelten gefunden wurden. Das eigentliche Thema, dass nämlich bei einem Fußballspiel mehr als ein Dutzend Messer gefunden wurden, ging dabei völlig unter.

Ein Glück, mag mancher sagen, Otto Normalverbraucher glaubt ja schon ohne konkreten Anlass, dass Stadien lebensgefährliche Orte sind.

Stimmt, die öffentliche Wahrnehmung hat zurzeit wenig mit der Realität zu tun.

Wie erklären Sie sich das?

Nehmen Sie den Platzsturm in Düsseldorf. Da gingen Bilder um die Welt, die als Symbol für Gewalt gewertet wurden. Dabei gab es gar keine Gewalttaten. Das war ein Ausdruck von Freude, auch wenn Platzstürme und der Gebrauch von Pyrotechnik natürlich grundsätzlich zu verurteilen sind. Ich habe allerdings auch den Eindruck, dass zuletzt viele über Sicherheit geredet haben, die mit dem Schirm in die VIP-Loge eskortiert werden.

Wieder so eine selektive Wahrnehmung.

Unbedingt. Heute herrscht Druck in den Familien. Die Lehrer resignieren zunehmend. Weder Polizei noch Schiedsrichter werden als Autorität wahrgenommen, die Kirchen schon gar nicht. Zudem gibt es eine große Politikverdrossenheit. Ich glaube, die Bedeutung der Ultras rührt auch daher, dass sie eine Anlaufstelle sind – in Zeiten, in denen vieles erodiert. In dieser Gruppe hält man zusammen und geht durch dick und dünn. Also verrät man seine Kumpels auch nicht.

Klingt nach Ganovenehre.

So meine ich das aber nicht. Ich bin sogar froh, dass es die Ultras gibt – solange sie sich an den gesetzlichen Rahmen halten. Was mich allerdings stört: Ich kann nicht aus meinem Engagement ableiten, dass ich mich überhöhen darf, und anderen absprechen, echte Fans zu sein.

Ein echtes Problem hatte die DFL mit dem Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“, das die Fankurven bundesweit ablehnten. Dabei steht darin nichts Bahnbrechendes. Ziemlich viel Ärger für ein Papier, das offenbar vor allem die Politik besänftigen sollte.

Ich kann nicht bestreiten, dass es auch politischen Druck gab, aber wir haben den an den entsprechenden Stellen durchaus zurückgewiesen. Politiker sollten sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren und den Fußball den Fachleuten überlassen.

Die Schärfe kam also nicht zuletzt durch mediale Überzeichnungen und den Druck der Politik zustande?

Stimmt.

Warum dann also das Papier?

Weil es viel Positives beinhaltet, denken Sie an die Qualifizierung der Ordnungsdienste. Die richtig neuen Dinge sind ja die positiven, alles andere war schon vorher möglich. Ich glaube, das Papier hatte bei den Protesten eher eine Stellvertreterfunktion. Ich habe aber den Eindruck, dass sich in der Winterpause alle Beteiligten ein wenig beruhigt haben und dass wir uns jetzt besonnener unterhalten können. Alle Seiten sollten jetzt die Machtspielchen beenden.

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17 Kommentare

 / 
  • K
    KokoPelli

    Je länger das Thema geht, desto weniger Verständnis habe ich für beide Seiten:

    -Der Sicherheitsgedanke ist maßlos überzogen. Ich lasse mir doch nicht erzählen,dass Stehplätze gefährlicher sind (Vor 40Jahren standen die Leute noch bis auf 2m am Spielfeld ohne Zaun)als Sitzplätze. Ich will mir auch nicht weiter von irgendwelchen autoritätsbedürftigen Polizisten oder Ordnern den Stadionbesuch vermiesen lassen, nur weil die mal wieder Willkür walten lassen. Mit der MAcht zu entscheiden,ob jemand rein darf oder nicht, sind Leute in diesen Berufsfeldern auffallend oft vor lauter Geilheit über ihre Besserstellung nicht mehr zu retten.

    Außerdem brauche ich keine Rundumbewachung: 1Polizist und 2Ordner auf 15Fans braucht auch sonst keiner.

     

    Was ich aber auch gar nicht verstehe, sind Leute, die den Fußball für irgendwelche schwachsinnigen Aktionen "missbrauchen". Also ich gucke gerne und viel Fußball- aber um des FußballWillens.

    Da muss ich nicht mit dem Rücken zum Tor stehen, spielstandunabhängig meine Lieder singen, in einem schwarzen Kaputzenpulli rumrennen oder mit dem 90minütigen Dauergewedel von Fahnen den interessierten und eigenen FußballZuschauern die Sicht behindern. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wie man als Fan freiwillig eine Halbzeit dem Spiel fernbleibt (oder auch nur 12:12). Mein Interesse an dem Spiel ist dafür jedenfalls zu hoch.

     

    Wer kein Bock auf TotalKontrolle oder die spielfernen Aktionen von Ultras keine Lust haben und bestmöglich das Spiel genießen wollen, dem kann ich den Familienblock und sichtbehinderte Plätze empfehlen. Da ist zwar nicht alles gut,aber so lässt sich einigermaßen schön Fußball gucken. Ansonsten gibt es auch im deutschen Profifußball feine Anlaufstellen zum Fußball gucken.Regensburg,Bochum,usw.

  • V
    @VIP

    Hab den Link zum Artikel nicht in der Hand aber wenn du etwas Recherche betreiben würdest hättest in nem Artikel von vor wenigen Tagen lesen können, dass sich Andreas Retting auch schon eben um sich ein richtiges Bild zu machen unter Normale Fans und Ultras im Stadion und auf Anreisewegen (zB Ubahn) gemischt hat.

    Zum Thema mit dem Bengalo: Wemn diese Geschichte wirklich stimmt, was ich bezweifle, dann solltest du dich ja jedes Jahr an Silvester, wenn unkontrolliert Feuerwerkskörper durch die Gegend fliegen, im Keller verbarrikadieren und das tust du ja denke ich auch nicht.

    LG ein regelmäßiger Stadionbesucher und Auswärtsfahrer ;-)

  • L
    Lars

    @@Lars:

     

    Mein Kommentar begann ja auch mit dem Satz:

     

    "Und politisierte Fans und Fangruppen?"

     

    Der folgende "in einigen Vereinen und Ultra-Gruppierungen" war vielleicht mißverständlich in sofern, als das er sich eher auf die Probleme, die diese Gruppen im Umfeld haben, beziehen sollte, als auf Probleme mit "rechten" innerhalb der Gruppen. Also Gewaltandrohung von bekannten Straftätern mit nationalistischem Hintergrund, so etwas ...

     

    Leider gibts ja aber parallel auch noch - ähnlich wie beim schwarzen Block und den autonomen Nationalisten - hie und da die Übernahme von Symboliken und die Unterwanderung von traditionell linken Strukturen, das hatte ich aber eher nicht gemeint. Rechte Fangruppen grenzen sich da ja ebenso traditionell besonders durch Kreative Namensfindung mit schmissigen Abkürzungsmöglichkeiten ab.

     

    Ich finde nur, diese Themen sollten vollumfänglich diskutiert werden, das wäre zumindest auch den (wenigen) Ultras die ich so persönlich kenne definitiv lieber als "können wir uns nicht einfach alle lieb haben".

     

    Ich hoffe ich konnte das Mißverständnis aufklären...

  • S
    Stadiot

    @Axel: Guter Beitrag.

    Wie wäre es denn, wenn wir Silvester die Knallerei verbieten. Ich würde mal schätzen da wird in einer Nacht mehr Gefahr und Zerstörung verbreitet als an allen Ligaspielen einer Saison.

    Aber auch dort wird medial immer auf einer Randgruppe herumgehackt, vorzugsweise arabisch-türkische Jugendliche in Neukölln. Dabei ging es im beschaulichen Prenzlauer Berg auch heftigst zu Sache.

    Kann aber auch an den Hundertschaften gelegen haben die dort aufmarschiert sind. Parallelen? Fragezeichen?

  • V
    V.I.P

    Du gehst doch gar nicht ins Stadion, also hör auf irgendeinen Mist zusammenzufantasieren.

     

     

    Das stimmt: seit mir bei einem Stadionbesuch mit meinen Söhnen ein Bengalo aus dem Oberrang vor die Füsse gefallen ist, gehe ich nicht mehr ins Stadion.

    Sollen sich doch die Unbelehrbaren ohne mich und mit Unterstützung solcher Typen wie du einer bist "austoben"...

    Ich werde keinen Cent mehr für ein "Live"-Erlebnis der Ultras ausgeben!

  • L
    @Lars

    Ultras sind in der Regel politisch links.

    Ja man hat vor kurzem von Rechten Braunschweiger Ultras und Rechten auf der Dortmunder Südtribüne gelesen, die aber nicht die Ultras repräsentieren. Das wars aber schon. Bevor du hier ein neues Fass aufmachst und behauptest Ultras wären Rechts, solltest du dich besser informieren.

  • SH
    Sepp Herberger

    Wenn es eine Wirtschaftskrise in Europa gäbe, müßte man diese ganzen Millionäre an Putin verscheuern und die Welt retten.

  • WM
    Wenn man keine Ahnung hat...

    ...einfach mal die Schnauze halten!

     

    @V.I.P.

     

    Du gehst doch gar nicht ins Stadion, also hör auf irgendeinen Mist zusammenzufantasieren.

     

    Niemand muss im Stadion Angst haben, wer aber - aus welchen Gründen auch immer - gegen alle Vernunft auf seine "Angst" besteht damit er willkürliche Repressionen gegen seine Mitmenschen fordern kann, der sollte doch besser zu Hause bleiben.

  • S
    Sepp

    Man sollte die Machenschaften der auf Demos bekannten Krawallstifter aka private Bullen nicht unterschätzen

  • O
    Ott-one

    Das wäre doch mal eine Überlegung wert.

    TISCHFUSSBALL, bis alle begriffen haben, es geht nur um SPORTWETTKAMPF, nicht um KAMPF in den Stadien.

  • N
    NonameFan

    Wenn das hier nicht nur Gerede war und er sich gegen die sturen Anti-Fan-DFL/DFB Leute durchsetzen kann, kann einiges draus werden.

    Ich bin gespannt...

  • L
    Lars

    Und politisierte Fans und Fangruppen?

     

    Sollte das nicht auch ein Thema sein, vor allem im Zusammenhang mit Gewalttaten in und ums Stadion?

     

    In einigen Vereinen und Ultra-Gruppierungen gibt's da massive Probleme - vor allem durch und mit der Ignoranz des Themas durch den Mainstream - ist ja auch bequemer, sich nicht die Frage zu stellen warum der Nebenmensch den Arm so komisch hebt, statt einzusehen, das mensch wohl lieber nicht daneben gestanden hätte.

     

    Ein Zusammenhang zwischen Eskalation im Stadion und Politik sollte auf jeden Fall hergestellt werden, denn wunschgemäß ist ja der demokratische Bürger eben politisch. Die Standardfloskel "Im Stadion möchte ich unpolitisch Spaß haben" falsifiziert und entlarvt sich damit selbst.

  • A
    axel

    Zur Doppelmoral der Medien hinsichtlich Pyrotechnik findet der/die Interessierte in der Rheinischen Post einen guten Kommentar:

     

    http://www.rp-online.de/sport/wintersport/vierschanzentournee/bemerkenswerte-doppelmoral-1.3124580

  • V
    V.I.P

    Na Herr Rettig, in der VIP-Loge mit Parkplatz in der Stadiongarage, abgeschirmt von Secuirity, fällt das sicher auch nicht schwer, sich im Stadion sicher zu fühlen.

    Fussballmillionarios wie Sie solten mal von Ihrer Empore herabsteigen und sich dauerhaft ins "gemeine Volk" mischen. Vielleicht geht Ihnen dann mal ein "Leuchtfeuer" auf?

    Mir wird übel bei Ihrer Sprücheklopferei!

  • K
    kristoff

    Beim Spiel Bayern München ggn Eintracht Frankfurt haben sich nur 30 Leute kontrollieren lassen, viele andere haben sich bei der Wahl zwischen Vollkontrolle oder Karte verfallen lassen und draußen bleiben fürs zweitere entschieden.

  • E
    EF-EF-EF

    „Ich bin froh, dass es die Ultras gibt“ .... dann ist ja abzuwarten welche Rolle die DFL / der DFB den Jungs und Mädels in kommenden Gesprächen zukommen lässt. Für Scheindebatten ist man definitiv nicht mehr bereit in den Dialog zu treten - das sollten alle Verantwortlichen mittlerweile begriffen haben.

  • Z
    zensiert

    hört sich nicht schlecht an, finde ich...