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DDR-Geschichte als TheaterstoffArchäologie des Aufbegehrens

Viele Theater nutzten 2024 Brigitte Reimanns Roman „Franziska Linkerhand“, um über Zweifel, Zwänge und Verbitterung in der DDR zu reflektieren.

Architektur und Städtebau werden zum Ausgangspunkt der Kritik in „Franziska Linkerhand“ im Gorki Theater Foto: Ute Langkafel MAIFOTO

Jubiläen erhöhen die Betriebstemperatur in Dramaturgieabteilungen. Es wird nicht gleich ein Südseeklima daraus. Aber immerhin geraten Stoffe in den Fokus, die sonst unbeachtet bleiben. Das Mauerfalljubiläum, verbunden mit dem Landtagswahlen-Triple in den östlichen Bundesländern, brachte Brigitte Reimann und ihren Roman über eine Architektin, die für Menschen bauen will, die aber von den „Sachzwängen“ der Plattenbauarchitekturmaschine überrollt wird, wieder in den Suchradar.

Am Berliner Gorki nahm Sebastian Baumgarten zu diesem Anlass gleich die gesamte Architekturmoderne unter spitze Finger. In Cottbus konzentrierte sich Johanna Wehner vor allem auf die soziale Komponente. An beiden Premierenabenden im Herbst bemängelten Besucher, dass die Texte oft seltsam aufgesagt wirkten und von der Intensität des eigenen Leseerlebnisses nicht allzu viel zu spüren war.

Einen ganz anderen Zugriff traute sich zum Jahresende das freie Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen im kleinen Berliner Theater Ballhaus Ost. In „Linke Hände“ stellte es der Romangestalt zwei echte Frauen an die Seite: die Erfurter Malerin, Performerin und Undergroundzentralgestalt Gabriele Stötzer und die Berliner Malerin, Performerin und Ex-Punkerin Cornelia Schleime.

Einschnüren und besetzen

Aus diesen Positionen ergab sich ein kraftvolles Dreieck. Glaubte etwa Linkerhand noch ans utopische Potenzial des sozialistischen Bauens, trotz aller Alltagsfrustrationen, so war schon Schleimes frühen Einschnürperformances der massive Frust über die Enge der DDR-Gesellschaft deutlich abzulesen. Stötzer wiederum, mit 23 Jahren aufgrund ihres Protestes gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns in den Knast gesteckt, entwickelte gerade aus dieser Knasterfahrung radikale feministische Positionen. Die mündeten nicht nur in heute legendären Performances und Videos, sondern auch in der sehr tatkräftigen Besetzung der Erfurter Stasizentrale.

Die echten Menschen Schleime und Stötzer waren radikaler und auch erfolgreicher als die Romanfigur. In Generationen gedacht sind sie so etwas wie Linkerhands Nichten. Ihre frühe Zeit fiel in die 1970er und 1980er, während der Roman in den 1960er Jahren angesiedelt ist.

Die Performerinnen Angela Braun und Tatiana Nekrasov tauchen in „Linke Hände“ nun in diese Leben ein. Sie zitieren szenisch Performances von Stötzer und Schleime, Linkerhand erscheint vor allem als vorgelesener Text. Was anfangs noch als frischer und unbefangener Zugriff erscheint, verflacht bei fortschreitender Dauer des Abends allerdings zu erschreckender Naivität.

Zwischenzeitliche Entschädigung bietet immerhin das Videoeinspiel eines Spontaninterviews mit Stötzer. Sie war offenbar bei der Premiere im Ballhaus zugegen und erzählte, warum sie sich gerade nicht freikaufen ließ, sondern um Selbstbehauptung im Osten rang.

Rosa Beton

An solchen Stellen wurde das Potenzial des Abends deutlich. Selbstbehauptung, verstanden als ein Nichtunterschreiten moralischer Standards, ist schließlich ein aktuelles Thema. Wolf Biermanns Song über das Nichtverbittern in bittren und das Nichtverhärten in harten Zeiten, mit dem der Abend beginnt, taugt ebenfalls perfekt für die Gegenwart. Und dass die Punkband Rosa Beton, gegründet 1983 im unscheinbaren Berlin-Hönow, ihre harten Riffs in „Linke Hände“ einstreut, verleiht dem Abend nicht nur Stuktur und Energie. Die alte Punkwut erscheint gerade jetzt als prima geeignete Ausdrucksform.

„Linke Hände“ ist rau und ungeputzt, wenn auch streckenweise nicht sehr reflektiert. Aber die unbedingte Lust am Leben, die gerade auch die Figur Franziska Linkerhand auszeichnet, findet in dieser Off-Produktion dann doch viel mehr Raum als auf den großen Bühnen.

Die freie Szene war in der Linkerhand-Aneignung auch vorher schneller und pfiffiger. Das Potsdamer Theater Poetenpack brachte ihre „Franziska Linkerhand“ 2023 heraus; da gab es das Doppeljubiläum vom Geburts- und Todesjahr Brigitte Reimanns (1933–1973). Inés Burdow legte ebenfalls 2023 an der Andere Welt Bühne in Strausberg ihre viel gerühmte Reimann-Hommage „Die Unvollendete“ neu auf. Seit 2008 gibt es die Oper „Linkerhand“ vom Komponisten Moritz Eggert – uraufgeführt in Hoyerswerda, dem Arbeitsort der Romangestalt, mit Inés Burdow in der Hauptrolle. Vielleicht trauen sich zum nächsten Jubiläum ein paar Operndramaturgieabteilungen an den Stoff? Dann bitte mit der Frische des Zugriffs der „Linken Hände“.

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