piwik no script img

Cristi Puiu auf der BerlinaleFragen nach Gewalt und Frieden

Diskussion im Herrenhaus, irgendwann hören die Diener nicht mehr auf das Klingeln. „Malmkrog“ von Cristi Puiu eröffnet die neue Sektion Encounters.

Der gepflegte Ort von Diskurs und später Revolte in „Malmkrog“ von Cristi Puiu Foto: Mandragora

Gleich der Eröffnungsfilm der neugeschaffenen Berlinale-Sektion Encounters erfüllt ihren Anspruch „ästhetisch und strukturell wagemutige Arbeiten von unabhängigen, innovativen Filmschaffenden“ zu zeigen, auf spektakuläre Weise. Dass Cristi Puius „Malmkrog“ in Berlin präsentiert wird und nicht in Cannes, wo die letzten Filme des rumänischen Regisseurs debütierten, darf man durchaus als Coup der neuen Leitung um Carlo Chatrian verstehen. Gilt Cristi Puiu seit seinem Durchbruch „Der Tod des Herrn Lazares­cu“ doch als einer der wichtigsten Regisseure, nicht nur des rumänischen Kinos, das in den letzten gut 15 Jahren enorme interna­tio­nale Reputation erlangte, sondern ganz allgemein des Weltkinos. Ein Status, den er mit „Malmkrog“ nur bestätigt.

Was Cristi Puiu in den 200 Minuten seines Kammerspiels anstrebt, ist nicht weniger als eine Auseinandersetzung mit dem Werk und den Ideen des russischen Philosophen Wladimir Solowjow. Dessen Hauptwerk „Drei Gespräche über Krieg, Fortschritt und das Ende der Weltgeschichte mit Einschluss einer kurzen Erzählung vom Antichrist“ ist die Basis des Films, der um Fragen der Moral, um Krieg und Frieden, den Kampf zwischen Gut und Böse und schließlich den Antichrist kreist.

Schon vor sieben Jahren hatte sich Puiu mit diesem Stoff beschäftigt. Für „Trois exercices d’interprétation“ organisierte er als Vorstudie zu dem langgeplanten Projekt, das nun als „Malmkrog“ vollendet wurde, einen Workshop. Schauspieler interpretierten So­low­jows Text in unterschiedlichen Settings, damals in der Gegenwart, während Puiu den Stoff nun ans Ende des 19. Jahrhundert verlegt, ungefähr in seine Entstehungszeit.

Europa im Mikrokosmos

Ein einsam gelegenes Herrenhaus in Siebenbürgen ist einziger Schauplatz, hier empfängt der Adelige Nicolai seine Gäste, die exemplarische Positionen vertreten. ­Ingrida etwa, eine Nachfahrin des Fürstengeschlechts der Rurikiden, verteidigt den Krieg als notwendige, noble Tätigkeit, die essenzieller Teil des menschlichen Wesens ist. Die jüngere Olga dagegen ist Pazifistin, argumentiert mit Bezug auf biblische Texte und meint, dass nur ein konsequentes Hinhalten der anderen Wange zum Frieden führen wird.

Malmkrog

„Malmkrog“ auf der Berlinale: 22. 2., 19.45 Uhr, Cubix 6; 23. 2., 18.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; 29. 2., 12.30 Uhr, CinemaxX 7

Edouard ist Positivist und davon überzeugt, dass die Geschichte sich unweigerlich zum Guten entwickelt. Madeleine schließlich nimmt eine vermittelnde Position ein, hält die Konversation am Leben, beruhigt die Gemüter, was in dieser dis­tin­guierten Atmosphäre bedeutet, jedes kleinste Unbill im Keim zu ersticken.

In sechs Kapiteln lässt Puiu sein Quintett diskutieren, in anfangs noch minutenlangen Einstellungen, die später einem klassischeren Schnittrhythmus weichen. Gesprochen wird vor allem Französisch, die damalige Lingua franca. Doch immer wieder sind auch russische, englische, deutsche und rumänische Passagen zu hören, ist von Reisen nach Königsberg und Monte Carlo, Verbindungen zwischen Moskau und dem Westen die Rede, was die kleine Gesellschaft wie den Mikrokosmos eines vereinten Europas erscheinen lässt.

Die Vorstellung davon, und ob es eine fortschrittliche Idee sei, wird auch bei Solowjow diskutiert. Damals wie heute hat die Idee Anhänger und Gegner und deutet, wie so viele andere Aspekte, die erstaunliche Aktualität der Vorlage an. Auch heute befindet sich Europa am Scheideweg, stehen gerade die ehemaligen Sowjet­re­pu­bli­ken vor der Frage, in welche Richtung sie sich orientieren, ob sie sich dem Westen oder doch dem Osten zuwenden sollen. Und dabei drohen sie, ebenso wie die Eliten im Westen, den einfachen Bürger zu vergessen.

Häppchen reichen, Wein nachschenken

Der ist in „Malmkrog“ stets präsent und bleibt dennoch fast immer im Hintergrund: Ganz bewusst inszeniert Puiu die zahlreiche Dienerschaft, die sich möglichst unauffällig um die adeligen Herrschaften bemühen, Häppchen reichen, Wein nachschenken, Tee servieren. Eines der sechs Kapitel ist nach dem Chefbutler István benannt, bezeichnenderweise der einzige ungarische Name, in einem Ort, der sich damals am Rande des Kaiserreichs Ungarn befand.

Die Frage nach Gewalt und Frieden, nach Leben und Tod, die die Herrschaften auf so theo­re­tische, abstrakte Weise diskutieren, bricht nach gut zwei Stunden auf radikale Weise durch und mag als Hinweis verstanden werden, wie brüchig die Zivilisation ist. Wenn die Bediensteten nicht mehr auf das Klingeln der Herrschaften hören, dann liegt so viel im Argen, dass auch der dis­tin­guierteste Adelige ahnt, dass die ­Revolution nicht mehr aufzuhalten ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!