Crime-Thriller „Caught Stealing“: Krimi statt Kosmos
Ein Barkeeper stolpert in die New Yorker Unterwelt: Der actionreiche Crime-Thriller „Caught Stealing“ ist ungewöhnlich für Regisseur Darren Aronofsky.

Es scheint fast schon eine ungeschriebene Regel zu sein, dass Darren Aronofsky immer dann die positivste Resonanz erzielt, wenn sich seine Werke nicht dem Metaphysischen widmen, sondern dem Weltlichen, dem Greifbaren, dem Konkreten. Dort, wo sich die Handlung schnell zusammenfassen lässt, ist das Echo des Feuilletons in der Regel am wohlwollendsten und die Wertschätzung bei Preisverleihungen am größten.
Besonders eindrucksvoll zeigte sich das bei „Black Swan“ (2010), einem Psychothriller um eine ehrgeizige Ballerina (Natalie Portman), die im Streben nach Perfektion allmählich den Bezug zur Realität verliert. Der Film erhielt nicht nur fünf Oscar-Nominierungen, sondern brachte dem US-amerikanischen Filmemacher auch seinen bislang einzigen Academy Award für die beste Regie ein.
Bereits zwei Jahre zuvor hatte Darren Aronofsky mit „The Wrestler“ (2008) eine ähnliche Wirkung erzielt. Das Sportdrama um einen gealterten Profikämpfer (Mickey Rourke), der zwischen ruinierter Gesundheit und gescheitertem Privatleben um die letzte Anerkennung seiner Karriere ringt, wurde in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet und gilt gemeinhin als der zugänglichste Film seines Werks.
Bislang zumindest, denn diesen Rang beansprucht nun „Caught Stealing“ für sich. Der neueste Film von Darren Aronofsky lässt sich aufgrund der zahlreichen, bewusst bizarren Wendungen zwar nicht ganz so einfach in wenigen Worten zusammenfassen, dafür aber umso leichter verschlagworten: ein rasanter Crime-Thriller, der spektakuläre Action mit aufwendig choreografierten Verfolgungsjagden und exzentrischen Figuren verbindet.
„Caught Stealing“ fügt sich so nahtlos in ein gegenwärtiges Kino ein, das angesichts der großpolitischen Gemengelage gern entweder direkt in abseitige Szenarien flüchtet oder – wie Ari Asters „Eddington“ und Julia Ducournaus „Alpha“ im diesjährigen Cannes-Programm – noch gut damit zu tun hat, die Disruptionen der vergangenen Jahre, der Corona-Pandemie und ihren gesellschaftlichen Verwerfungen, filmisch aufzuarbeiten.
Doch zu Darren Aronofsky, dessen Werk sonst vom Drang nach Schwere und existenziellen Erfahrungen geprägt ist, will diese Hinwendung zum scheinbar Leichten kaum passen. Der Filmemacher selbst sagte gegenüber Empire, er wollte etwas kreieren, das von „Freude und Abenteuer“ durchdrungen sei. Und tatsächlich trägt schon der Auftakt diese Atmosphäre in sich: In einer kleinen Kneipe, erfüllt von Gelächter, Stimmengewirr und dem Dröhnen der Jukebox, wird Austin Butler als trinkfester Barkeeper vorgestellt, souverän, lässig, mit schelmischer Gelassenheit.
Das Leben im New York der 1990er Jahre pulsiert zwischen klebriger Theke und flackerndem Neonlicht. Und Hank, so viel wird unmittelbar spürbar, ist einer von den Guten. Als eine Gruppe junger Touristen ausgelassen zu tanzen beginnt und ein grimmiger Stammgast sie unsanft hinauskomplimentieren will, löst er die Situation mit einem letzten Glas aufs Haus. Später, in den frühen Morgenstunden, als er die Bar in der Lower East Side zum Abschließen vorbereitet, erscheint am Fenster eine gut gelaunte Yvonne (Zoë Kravitz), mit der Hank eine lose Beziehung verbindet.
Um dieses urbane Idyll zu stören, braucht es allerdings kaum mehr als Matt Smith in seiner bislang wohl komischsten Rolle, als Punk-Nachbar mit Irokesenschnitt und starkem britischen Akzent. Überstürzt bricht er auf – angeblich, um in London seinen kranken Vater zu besuchen – und drückt Hank kurzerhand seine Katze, nebst Katzenklo, in die Hand.
Zunächst scheint das größte Problem darin zu liegen, dass das Tier ein notorischer Beißer ist. In Wahrheit aber ist Punk-Nachbar Russ in zwielichtige Geschäfte verstrickt, was dazu führt, dass bald nicht nur die schroffe Polizistin Roman (Regina King), sondern gleich noch ein ganzes Kuriositätenkabinett an skurrilen Gestalten der kriminellen Unterwelt bei Hank auf der Matte steht.
„Caught Stealing“ verlässt sich sehr auf den Charme ebenjener ausgefallenen Charaktere – und ihrem scharfen Kontrast zu Hank, der sich im weiteren Verlauf als verschrobener Baseball-Nerd vom Lande entpuppt und sich in regelmäßigen Telefonaten mit seiner Mutter über die Erfolge der „Giants“ austauscht.
Ein klassisches Underdog-Szenario also: Der Held, zudem gezeichnet von einer traumatischen Vergangenheit und verhängnisvollem Hang zum Alkohol, zugleich jedoch mit überraschenden Kampfqualitäten ausgestattet, muss es mit übermächtigen Gegnern aufnehmen.
Der Plot schwankt zwischen Abgrund und Komik
Und diese reichen von Schlägertrupps der russischen Mafia (Yuri Kolokolnikov, Nikita Kukushkin) bis zu einem nur als „die Hebräer“ bekannten Duo Shmully (Vincent D’Onofrio) und Lipa (Liev Schreiber). Das ist zwar stets im unauffälligen Familien-Van unterwegs, aber gefürchtet dafür, seinen Opfern die Augen zu entfernen.
Daraus erwächst ein Plotgeflecht, das eigentümlich im Ton schwankt: Mal blicken die Szenen in tragisch-ernste Abgründe, mal kippt das Geschehen in fast groteske Komik, gespeist aus überbordender Gewalt. Die Handlung trägt eine deutlich comicartige Handschrift – überzeichnet, grell, oft ins Karikatureske gleitend.
Das ergibt durchaus Sinn, bedenkt man, dass Drehbuchautor Charlie Huston, der hier seinen eigenen Roman adaptiert, zugleich als Comic-Autor tätig ist, unter anderem für Marvel, wo er etwa eine Reihe um „Wolverine“ verantwortete.
Man folgt dem Treiben überraschend gern – nicht zuletzt wegen einer für diesen Stoff unerwartet aufwendigen Inszenierung. Aus schummriger Beleuchtung, detailverliebter und authentisch heruntergekommen aussehender Ausstattung sowie der rohen Energie des Soundtracks, den die englische Post-Punk-Band Idles eigens eingespielt hat, entsteht ein atmosphärisch dichtes Porträt der New Yorker Lower East Side der 1990er Jahre.
„Caught Stealing“. Regie: Darren Aronofsky. Mit Austin Butler, Zoë Kravitz u. a.
USA 2025, 109 Min.
Hinzu kommt die virtuos komponierte Kameraarbeit von Darren Aronofskys langjährigem Weggefährten Matthew Libatique, der neben den für den Regisseur typischen häufigen Einsatz von Close-ups zu neuen Formen greift: rasante Fahrten durch die engen, schmutzigen Straßenschluchten des Viertels, die sich plötzlich zu weiten Blicken über die Dachlandschaften und die Skyline der Stadt öffnen.
Dennoch drängt sich schon während des Sehens der Eindruck auf, dass es sich bei „Caught Stealing“ um einen Film handelt, der einen kaum länger beschäftigt als die 107 Minuten, die er andauert. Darren Aronofskys neunter Spielfilm wirkt damit letztlich wie eine unterhaltsame Verschnaufpause, eine sehenswerte Stilübung innerhalb seines Werks – umso größer aber ist die Hoffnung, dass er mit seinem nächsten zu jener Ausdruckskraft zurückkehrt, die ihn unverwechselbar macht, zu den Autorenfilmen, die sich sehr wohl an das Überweltliche, das Entrückte, das Unaussprechliche heranwagen.
Wie „Mother!“ (2017), der in apokalyptischen Bildern die Schöpfungsgeschichte neu verhandelte und mit beeindruckendem Mut zur Überwältigung deutliche Kritik an der menschlichen Hybris, ihrer Zerstörungswut, übte. Filme wie vorher schon „The Fountain“ (2006), eine über drei Zeitebenen gespannte Meditation über Tod, Unsterblichkeit und die Sehnsucht nach Transzendenz, oder auch zuletzt „The Whale“ (2022), ein intimes Kammerspiel um einen vereinsamten Mann, das Empathie und Erlösung als Leitmotive beschwört, zeigen, worin Aronofskys eigentliche Stärke besteht.
Es sind Werke, die nicht selten spirituell aufgeladene und damit eher im Konflikt mit dem Zeitgeist stehende, ja zeitlose Geschichten erzählen, die an etwas zutiefst Menschliches, an Fragen von Schuld, Liebe und Vergänglichkeit rühren – und das auf eine so intuitive Weise, wie es vielleicht nur mit den Mitteln des Filmemachens möglich ist. Solche, die ihr Publikum verstören, manchmal spalten, aber niemals unberührt lassen – und gerade darin eine nachhaltige Wirkung entfalten, die „Caught Stealing“ vermissen lässt.
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