Covid-Behandlung in Peru und Bolivien: Nicht genug Sauerstoff
Wegen eines Monopols ist in Peru der Sauerstoff knapp. In Bolivien ist er Druckmittel für Regierungsgegner*innen.
Denn viele spekulieren mit dem knappen Gut. Luis Barsallo musste die Polizei rufen, um Streit mit Spekulanten zu schlichten, die seinen Sauerstoff teuer weiterverkaufen wollten. Seitdem schieben 15 Soldaten bei ihm Wache. Selbst kauft Barsallo seine Ware im Ausland. Wo genau, will er nicht sagen.
Seit Mitte März hält das Coronavirus Peru fest im Griff. Fast genauso lange ist bekannt, dass das Land ein Sauerstoffproblem hat. Ende April hatte die staatliche Ombudsstelle vor Sauerstoffmangel gewarnt und der Regierung geraten, Preiskontrollen einzuführen. Doch der Mangel hält bis heute an. Mediziner*innen halten ihn mitverantwortlich dafür, dass in Peru besonders viele jüngere Menschen ohne Vorerkrankungen an Covid-19 sterben. Eine rechtzeitige Gabe von Sauerstoff könnte einen schweren Verlauf der Krankheit in vielen Fällen verhindern.
Grund für den Mangel ist nicht nur die hohe Zahl der Infizierten, sondern eine technische Vorschrift und das Sauerstoffkartell von zwei internationalen Firmen. 2010 legte das Gesundheitsministerium fest, dass nur 99-prozentiger Sauerstoff in Krankenhäusern verwendet werden darf. In Nachbarländern reicht ein Sauerstoffgehalt von 93 Prozent. Viele kleinere Sauerstofffirmen mussten schließen, da sie diese Norm nicht erfüllen konnten.
Heute beliefert die deutsch-amerikanische Linde-Group mit ihrem Teilunternehmen Praxair 80 Prozent der Krankenhäuser. Vor sieben Jahren verhängte die peruanische Kartellbehörde ein Bußgeld von umgerechnet 5 Millionen Euro gegen Linde-Praxair und die Konkurrenzfirma Airproducts wegen illegaler Preisabsprachen. In der Pandemie zeigt sich: Der Riese liefert nicht ausreichend. Obwohl die Regierung die 99-Prozent-Norm für medizinische Sauerstoff wegen Covid-19 ausgesetzt und die medizinische Verwendung von Sauerstoff zur Priorität erklärt hat.
„Ein Menschenleben zählt nichts hier in Peru. Und internationale Konzerne bereichern sich an der Pandemie“, kritisiert Kardinal Pedro Barreto öffentlich. Seine Diözese Huancayo ist vom Coronavirus schwer getroffen. Dabei wäre die Lösung für den mangelnden Sauerstoff so nahe, sagt Barreto: Im 120 Kilometer entfernten La Oroya stehen zwei industrielle Sauerstoffanlagen in einer stillgelegten Metallschmelze. Die Anlagen seien dieselben wie für medizinischen Sauerstoff, sagt Ingenieur Arturo Berastain, Sprecher einer Ingenieurs- und Ärztegruppe aus Huancayo. Nur die Abfüllung für medizinische Zwecke unterliege speziellen Auflagen.
Besitzerin der Anlagen in La Oroya ist die Linde-Group. Deren peruanischer Geschäftsführer Julio Caceres hält eine Wiederinstandsetzung innerhalb kurzer Zeit allerdings für unmöglich. Zu veraltet sei die Technologie, zu lange seien die Anlagen schon außer Betrieb, sagte er der Tageszeitung Gestion.
Während Kardinal Barreto einen Konzern für den Mangel verantwortlich macht, benutzen Demonstrierende im 1.700 Kilometer entfernten Bolivien den Sauerstoffmangel als politisches Druckmittel. Anhänger*innen der MAS-Partei von Evo Morales und somit Gegner*innen der umstrittenen Übergangspräsidentin Jeanine Áñez blockieren seit einer Woche wichtige Straßen. Die Demonstrierenden fordern, dass die erneut verschobenen Präsidentschaftswahlen wie geplant am 6. September stattfinden. Das oberste Wahlgericht hatte den Termin wegen der Pandemie erneut auf den 18. Oktober verschoben.
Nach eigenen Angaben haben die Demonstrierenden 6 Millionen Menschen von Benzin und Lebensmitteln, aber auch von Sauerstoff abgeschnitten – was laut Staatsanwaltschaft bereits mindestens 23 Covid-19-Kranke das Leben gekostet hat.
Das Verteidigungsministerium hat seit einer Woche eine Luftbrücke für Sauerstoff eingerichtet. Diese reiche aber nicht aus, um den Westen des Landes damit zu versorgen, sagte Verteidigungsminister Fernando López der Zeitung El Deber. „Wir bitten die Menschen, die blockieren, dass sie sich ein Herz fassen. Wir retten Leben, das ist nicht politisch, das hat mit Nächstenliebe und Liebe für die Bolivianer zu tun.“
Die Staatsanwaltschaft von La Paz sprach am Montag Haftbefehle aus gegen den Chef des Dachverbands der Gewerkschaften COB sowie den Ex-Präsidenten Evo Morales, den Präsidentschaftskandidaten der MAS-Partei Luis Arce, der die Umfragen anführt, und seinen Vize David Choquehuanca wegen des Todes von Menschen als Folge der blockierten Sauerstofftransporte. Außerdem wurden Haftbefehle erteilt gegen fünf Menschen, die die Durchfahrt von Krankenwagen blockierten. Die Regierung des Landes hat angedroht, die Blockaden mit Gewalt aufzulösen. Im November 2019 waren bei ähnlichen Aktionen zwei Dutzend Menschen gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken