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Coronavirus-Mutante aus SüdafrikaDas Wichtigste zu Omikron

Mit Sorge schauen Wissenschaftler auf die neue Coronavirus-Variante. Doch wie gefährlich ist sie? Und was bedeutet die Mutante für die Impfungen?

Eine Mutante legt den Flugverkehr lahm: gestrandete Passagiere am Flughafen Johannesburg Foto: Sumaya Hisham/reuters

Was ist das Besondere an der neuen Coronavirus-Variante Omikron?

Die erste Zahl, die den Experten im Angesicht von Omikron einigermaßen den Atem verschlagen hat, lautet 50. So viele Mutationen haben sich im Erbgut dieser Variante im Vergleich zum Ursprungsvirus angesammelt, jede dieser Mutationen könnte dem Virus theoretisch einen Vorteil verschaffen.

Die zweite beunruhigende Zahl lautet 30: Von den insgesamt 50 Mutationen betreffen allein 30 das sogenannte Spike-Protein, zu Deutsch Stacheleiweiß. So heißt eine Oberflächenstruktur des Virus, mit der es an Zellen andockt, um sie zu infizieren. Das Stacheleiweiß ist zugleich das Merkmal des Virus, gegen das mit den meisten zugelassenen Impfstoffen geimpft wird, dazu gehören auch die mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna. Delta und Alpha hatten im Vergleich zum Ursprungsvirus lediglich 9 beziehungsweise 8 Veränderungen in diesem Merkmal.

Die dritte Zahl, die aufhorchen lässt, lautet 10: Das ist die Zahl der Mutationen von Omikron, die einen besonders wichtigen Teil des Spike-Proteins betreffen. Auf Fachchinesisch heißt er „Rezeptorbindungsdomäne“, er ist sozusagen der Schlüssel, mit dem das Virus die Tür zur Zelle aufschließt. Durch die Mutationen könnte dieser Schlüssel noch besser passen als bisher.

Und wie gefährlich ist die neue Mutante nun?

Das wird erst in einigen Wochen deutlicher werden, wenn die Fülle von Veränderungen in Omikron untersucht ist und Daten zu seiner Verbreitungsdynamik vorliegen. Einige der 50 Mutationen von Omikron sind den Forschern allerdings von anderen Mutanten vertraut, man hat also bereits eine Ahnung davon, was sie bewirken könnten. Die Mutation N501Y etwa kennt man unter anderem von der Alphavariante. Studien haben gezeigt, dass diese Veränderung im Stachelprotein wahrscheinlich die Infektiosität erhöht. Allerdings hat Omikron nicht nur diese eine Mutation, sondern eben sehr, sehr viele – was zählt, ist die Summe ihrer Effekte.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich alle diese Mutationen als Vorteil für das Virus und seine Verbreitung erweisen, ist dabei sehr gering. Eher muss man davon ausgehen, dass unter den 30 Veränderungen im Stacheleiweiß auch solche sind, die dem Virus das Eindringen in menschliche Zellen oder die Vermehrung dort erschweren. Das alles muss wissenschaftlich untersucht werden.

Was bedeutet das Auftauchen von Omikron für die Impfungen?

Erst einmal nichts. Selbst wenn die neue Variante sogenannte Immune Escapes enthält, also Mutationen, die dem Immunsystem von Geimpften und Genesenen die Erkennung und Abwehr des Erregers erschweren, verlieren die Impfstoffe deshalb nicht ihre Wirkung. Das ist auch bei Delta nicht der Fall, obwohl der Schutz vor Ansteckungen etwas abgeschwächt ist. Der Schutz vor schwerer Krankheit aber, der von einem anderen Teil der körpereigenen Abwehr vermittelt wird, sollte auch gegen Omikron Bestand haben.

Weiß man, wo und wie Omikron entstanden ist?

Entdeckt wurde Omikron in Südafrika – und dort scheint es schon eine Weile zu zirkulieren. Das bedeutet allerdings nicht, dass die neue Variante auch dort entstanden ist. Sie könnte auch von außen eingeschleppt worden sein und sich unter günstigen Bedingungen besonders gut verbreitet haben. Möglich, dass es in der südafrikanischen Provinz Gauteng so war.

Nur rund ein Viertel der Bevölkerung in Südafrika ist geimpft, und falls die neue Mutante tatsächlich sehr leicht übertragbar ist, könnte sie sich dort einfach rascher verbreitet haben, als es in einer Bevölkerung mit hoher Impfquote der Fall gewesen wäre. Entsprechend wäre auch die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass man die Variante in Stichproben entdeckt. Was Experten zudem vermuten, ist, dass sich die Variante in einem einzigen Patienten entwickelte, dessen Körper die Infektion aufgrund einer Immunschwäche über lange Zeit nicht bewältigte. In solchen Dauerinfizierten hat das Virus sehr viel Zeit, Mutationen anzuhäufen.

Strategien, um das Coronvirus einzudämmen: PCR-Tests am Flughafen in Johannesburg Foto: Sumaya Hisham/reuters

Wie verbreitet ist die Variante jetzt schon und wie kann man sie finden?

In Deutschland waren bis Sonntagnachmittag drei Fälle einer Omikron-Infektion bestätigt, alle drei Personen waren zuletzt aus Südafrika zurückgekehrt. Über die Verbreitung sagt das noch wenig aus, zumal nicht von jedem Infizierten Virusproben sequenziert werden können. Aber Omikron gibt den Variantenfahndern eine kleine Hilfestellung: In der PCR erzeugt die Mutante in einem der drei getesteten Gene einen sogenannten Drop-out, ein unklares Ergebnis. Auf diese Weise wird es möglich sein, im Rahmen der PCR schon Verdachtsfälle herauszusieben und diese dann genauer zu untersuchen. Auch das wird noch einige Tage dauern.

Sind die Flugbeschränkungen jetzt hilfreich?

In einer perfekten Welt würden neue Varianten durch rigoroses Sequenzieren so frühzeitig am Ort ihrer Entstehung entdeckt werden, dass man sie durch Reisebeschränkungen vielleicht noch an einer Verbreitung hindern könnte. Da ein halbwegs engmaschiges Netz der genetischen Überwachung von Viren aber nur in sehr wenigen Ländern existiert, Deutschland gehört nicht dazu, muss man davon ausgehen, dass neue Varianten mit besorgniserregenden Merkmalen erst entdeckt werden, wenn sie sich bereits verbreitet haben. Reisebeschränkungen, wie sie jetzt von vielen Ländern eingeführt werden, können die Verbreitung dann nicht mehr stoppen.

Was kann man überhaupt gegen Omikron ausrichten?

An den Mitteln und Maßnahmen, das Virus zu stoppen, hat sich auch durch diese Variante nichts geändert. Das Wichtigste ist, sich impfen und gegebenenfalls boostern zu lassen, um sich und andere zu schützen. Steigt die Inzidenz, können zeitig eingeführte Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen und strenge Hygieneregeln samt Maskenpflicht den Erreger völlig unabhängig von der Variante ausbremsen – am besten schon lange bevor die Situation eskaliert.

Je niedriger die Quote der Geimpften und je schwächer die Effektivität des Impfstoffs, etwa weil die meisten zweiten Dosen schon sechs Monate zurückliegen, desto größer wird dabei die Bedeutung der nicht pharmazeutischen Maßnahmen, sprich: Veranstaltungsverbote, Beschränkung privater Kontakte, vorübergehende Schließung von Lokalen und anderen Begegnungsstätten.

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4 Kommentare

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  • @KathrinZinkant:

    Hier zwei Berichte zu Erkrankungen bei Kindern:

    www.washingtonpost...urth-wave-vaccine/

    www.thenationalnew...african-epicentre/

    Washington Post:

    > South Africa has recorded a sharp increase in coronavirus cases, including among children under 2 years old, a top epidemiologist said Monday

    > According to the City of Tshwane Metropolitan Municipality, which includes the heavily affected Gauteng Province, between Nov. 14 and 28, the age group with the highest total number of hospital admissions for covid were those under the age of 2.

    The National News, UAE:

    > Children aged 2 and under make up the highest percentage of Covid-19 patients admitted to hospital in Gauteng, the South African epicentre of the outbreak.

    > There were about 455 admissions from November 11 to 28 in the Gauteng city of Tshwane, where eight people have died, Dr Jassat said during a televised government media briefing on Monday.



    >



    > In Tshwane, which has recorded the highest increases in admissions, there has been “a very sharp increase”, particularly in the past 10 days, she said.



    > “But in this early resurgence in Tshwane, we are seeing most admissions in the 0-2 age group.



    > She said “very high proportions” of young children were being admitted — more than 70 per cent of cases in the 4-and-under age group.

    > Almost 30 per cent of children aged 4 or under had “severe disease”. The percentage of those admitted with severe disease was slightly higher for the five-to-nine age group, at more than 30 per cent. It was slightly less for the age 10-19 group at about 27 per cent.

    Sollten sich obige Berichte bestätigen, so gäbe es bei der Omikron-Variante nicht nut bei jüngeren Menschen in den Zwanzigern und Dreißigern, sondern auch bei kleinen Kindern bis 2 Jahren ein bestürzend hohes Erkrankungsrisiko.

    • @jox:

      Auch Bloomberg:

      www.bloomberg.com/...-omicron-epicenter

      > "Toddlers Make Up 10% of Hospital Cases in Omicron Epicenter"

      > Children under the age of 2 account for about 10% of total hospital admissions in the omicron epicenter Tshwane in South Africa, according to the National Institute for Communicable Diseases.

      > During the delta-driven third wave, hospital admission for those under the age of 19 jumped 43%, and the country has since opened up vaccinations to adolescents between 12 and 17 years.



      >



      > “It does however appear that in this early part of this wave a higher proportion of children are being admitted than they were in the past,” Jaffat said.

  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Das ist wohl ein gut recherchierter und gut strukturierter Artikel zu Omikron. Nur der direkte Bezug zwischen Omikron und Wirksamkeit der Impfstoffe ist pure Spekulation.



    "Was bedeutet das Auftauchen von Weihnachtskeksen für die Impfungen? Erst einmal nichts", hätte genauso gut gepasst und ein Masernimpfstoff verliert während einer Grippewelle auch nicht seine Wirkung.



    Die Wirksamkeit einer Grippeimpfung beispielsweise wird wegen Mutationen jedes Jahr zum Glücksspiel und wie dieses im Fall von SarsCov-2 ausgeht, werden wir in den nächsten Wochen und Monaten sehen.

  • Vielen Dank! Dies ist der beste Artikel, den ich bislang zu diesem Thema - abgesehen von wissenschaftlichen Publikationen, deren Aufschlüsselung der einzelnen Genveränderungen ich mangels ausreichender Hintergrundkenntnisse nicht einordnen kann - im Netz gefunden habe.