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Coronalob an die MehrheitVerstörend gelassene Freundlichkeit

Ambros Waibel
Kommentar von Ambros Waibel

Im Ausnahmezustand der Pandemie wird viel geredet über Nörgler und Trittbrettfahrer. Dabei machen die Menschen in Deutschland das gerade richtig gut.

Die Gelassenheit, mit der Menschen den Corona-Maßnahmen begegnen, verdient Zuspruch und Dankbarkeit Foto: Lewis Joly/dpa

N iemand übersteht eine Pandemie unbeschadet – selbst die Superreichen in ihren abgeschotteten Enklaven müssen sich Fragen gefallen lassen, die bislang auf wissenschaftliche oder aktivistische Zirkel begrenzt blieben: Was ist eigentlich euer Beitrag in der globalen Krise? Wie rechtfertigt ihr euren Egoismus, in einer Zeit, da die normalen Leute selbstverständlich den Laden am Laufen halten?

Täglich schlagen sie jetzt ein, die ganz privaten Nachrichten: eine Freundin im Pflegeheim, die nicht weiß, wann sie wieder einen Menschen umarmen darf; Familien in Isolation, die Kinder getrennt von ihren Freundinnen und in Sorge um die kranke Mutter; und dann, ja, auch die Toten, unsere Toten.

Davon schweigen die Menschen morgens und abends in der U-Bahn, auf dem Weg zu Schule und Arbeit. Die Kids kabbeln sich kaum, die Erwachsenen maulen wenig, wäre ja auch schwierig: Sie sind die 99 Prozent, die Maske tragen. Der „so verwegene Menschenschlag“, wie Goethe die Berliner Bevölkerung gar nicht abwertend betitelte – er ist jetzt verwegen im Aushalten, in einer oft schon verstörend gelassenen Freundlichkeit.

Kindische Panik, menschenfeindliche Asozialität, organisierte Verächtlichkeit – sie scheinen derzeit als Laster der Provinz in die Stadt zu strömen. Dabei sind die meisten Menschen überall in Deutschland gleich abgestoßen von den Trittbrettfahrern des pandemischen Ausnahmezustands. Es ist nicht die oft verschlafene und sozial unausgewogene Krisenpolitik, die dem Leben in diesem traurigen November einen – hoffentlich – unwiederholbaren Glanz verleiht: Es sind die Leute.

Scheiße sagt man nicht, aber zu Hause haben wir eine Ausnahmeregelung für die Tochter eingeführt: „Corona ist Scheiße.“ Das singen wir auch mal im Chor und es geht uns besser. Und dann denken wir an unsere Risikopatienten, die niemand haben, mit dem sie im Chor fluchen können.

Heute Morgen wollte ich an einer Engstelle mit dem Rad schon demütig anhalten, um die entgegenkommende Powerradlerin vorbeizulassen, da nickte sie mir ermunternd zu, ich fuhr los, nuschelte Danke durch die Maske, sie nuschelte etwas zurück – das nett klang! Da dachte ich: Hoffentlich ist die Sache bald vorbei. Ich will mein motziges Berlin wiederhaben

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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5 Kommentare

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  • Ja wie? “ Scheiße sagt man nicht, aber zu Hause haben wir eine Ausnahmeregelung für die Tochter eingeführt: „Corona ist Scheiße.“ Das singen wir auch mal im Chor und es geht uns besser.…“ Dat find ich ja jut!

    Aber der Einstieg? & ditte in Berlin?!!



    & hück noch! Soll ich das glauben?!



    Nö. Nich - né!



    Lange vor unserer Zeit - als der Gröfaz noch in der Reichskanzlei mit seinen Hofschranzen sein Unwesen trieb - ließ es sich Frau Dr.rer.oek. mahnend angelegen sein - ihr Bübchen - ein begnadet rotzlöffeliger tomatenblonder Lockenstrieß - ähnlich zu belehren zu suchen - über dieses mittels - klar&trotz Kinderfrau in Charlottenburg - Dahlem oder weiß der Geier wo aufgeschnappte - inkriminierte Wort!



    & Däh!



    “Ach Mama - ob du nun Häufchen Aa oder Scheiße sagst - stinken tut‘s ja doch!“



    Klar - daß diese (&viele andere seiner) kindliche entwaffnende Weisheit meines viel älteren berliner Cousins - Aufnahme in den Zitatenschatz en famillie fand. Versteht sich von selbst!



    (Aber Waibels Ambros - Na Servus - & der soll dem Vernehmen nach - auch mal in Mbg/Lahn studiert haben?!



    Nich to glöben. Also die Germanistikstudis - die sich einst gern in unsere Verfassungsseminare verliefen - waren echt was lockerer drauf. Merkwürdig. Aber mach was.

  • Unausgewogene Krisenpolitik? Besser ein Regelungschaos, das nicht mehr verständlich, geschweige denn umsetzbar ist. Die Weihnachtseinkäufe soll man natürlich machen, weil der Umsatz notwendig ist. Aber im privaten Umfeld zuhause soll man die Kontakte auf eine Person beschränken? Die Politik tastet immer noch nur herum und belegt die Bürger mit Maßnahmen, ohne zu wissen, wo die kritischen Infektionsherde sind! Es herrscht Hilflosigkeit ud unsere Politik traut sich nicht das zuzugeben!

    • @Gerdi Franke:

      Die Politik muß zur Zeit komplexe Entscheidungen auf sehr unvollstäniger Datenbasis treffen. Ausweislich der Todes und Infektionszahlen macht sie das - im europäischen Kontext betrachtet - gut! Die meisten Bürger ziehen disziplinert und leise fluchend mit. Von dieser kollektiven Leistung darf ruhig berichtet werden.

  • Ja, ja, wo bleibt das Positive, Herr Tucholsky?

    • @Adam Weishaupt:

      Sach mal so: post WK II - wurde ein gewisser Erich Kästner gefragt:



      “Und wo bleibt das Negative - Herr Kästner?!“ …servíce - 🤫 -

      unterm—— & btw -



      Der aber hatte zuvor mal Tucho - als den kleenen dicken Berliner - beschrieben.



      Der den Hitler mit der Schreibmaschine aufhalten wollte.