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Coronalage in ThüringenTod auf der Warteliste

In Thüringer Kliniken werden coronabedingt Operationen verschoben. Ärz­t*in­nen warnen: Die Versorgung von Nicht-Covid-Patient*innen sei gefährdet.

Hannover am 25. November: Ein Coronapatient aus Thüringen wird nach Niedersachsen geflogen Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Leipzig taz | Nicht nur in Sachsen und Bayern sind die Krankenhäuser am Limit, auch in Thüringens Kliniken verschärft sich die Situation. Nach Einschätzungen von Michael Bauer, dem Intensivkoordinator des Landes und Chef der Intensivmedizin am Uniklinikum Jena, sei die Versorgung von Nicht-Covid-Patient*innen gefährdet.

Wegen der vielen Co­ro­na­pa­ti­en­t*in­nen auf Intensivstationen müssen planbare Eingriffe wie Tumor- oder Herzklappen-Operationen aufgeschoben werden. „Für diese Pa­ti­en­t*in­nen bedeutet das unter Umständen eine wesentlich schlechtere Prognose oder sogar den Tod“, so Bauer. Manche seien bereits auf der Warteliste gestorben. Das nähmen die Ungeimpften in Kauf, die zahlreiche Intensivbetten belegten.

Es sei unerträglich, dass Erkrankte zurzeit nicht „konsequent und ohne Einschränkung Zugang zur besten Therapie“ hätten, sagt Bauer. Vor allem in den Hochinzidenzgebieten in Südthüringen sei die Lage bedrohlich. Hier liegen die Inzidenzen zum Teil bei über 1.500 Fällen innerhalb einer Woche pro 100.000 Personen.

Raimondo Laubinger ist Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin und leitet die Intensivstation des Zentralklinikums Suhl. Er sagt: Das Krankenhaus habe das OP-Programm zwar deutlich heruntergefahren, um das OP-Personal auf der Intensivstation einzusetzen – von 12 Operationssälen würden nur noch fünf genutzt. „Es werden aber nur aufschiebbare Operationen wie zum Beispiel Augeneingriffe oder der Einsatz von Hüft- oder Knieprothesen verschoben“, sagt der Mediziner. Menschen mit bedrohlichen Erkrankung wie Blutungen oder Krebs würden weiterhin operiert. „Alle Notfälle werden versorgt.“

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Dennoch, betont Laubinger, sei die Lage ernst. Suhl liegt im Süden Thüringens und ist umgeben von stark betroffenen Landkreisen wie Hildburghausen und Gotha. Die Intensivstation, die über zehn Betten für Nicht-Covid-Patient*innen und zwölf Betten für Covid-Patient*innen verfügt, sei fast immer ausgelastet. „Wir sind für die umliegenden Häuser, die deutlich kleiner sind und teilweise nur sechs Intensivbetten haben, der erste Anlaufpunkt“, sagt der Arzt. Zwei seiner Corona-Patient*innen mussten bereits nach Norddeutschland verlegt werden.

Auf der Intensivstation der Uniklinik Jena, die Michael Bauer leitet, seien seit Wochen keine Betten mehr frei, erzählt der Intensivkoordinator. Wenn eine schwerverletzte Person eingeliefert werde, die eine intensivmedizinische Behandlung benötige, dann müssten Bauer und sein Team den Patienten mit dem besten Gesundheitszustand von der Intensiv- auf eine Normalstation verlegen. Dessen Bett bekomme dann der neue Patient. „Wir jonglieren mit den Betten.“

Weil es an Pfle­ge­r*in­nen fehle, seien inzwischen auch Medizinstudierende und Sol­da­t*in­nen der Bundeswehr auf der Intensivstation der Uniklinik Jena im Einsatz. Viele Pflegekräfte hätten im Laufe der Pandemie aufgrund der Arbeitsbelastung die Station gewechselt oder gekündigt, manche hätten die Stunden reduziert und arbeiteten nur noch Teilzeit, andere seien krankgeschrieben. „Wir sind alle ausgebrannt, da nehme ich mich nicht raus“, sagt Bauer.

Es sei unheimlich schwierig, Pfle­ge­r*in­nen anderer Stationen dazu zu motivieren, auf der Intensivstation auszuhelfen. „Das ist mörderisch, das ist ein Knochenjob“, sagt der Arzt. „Wir müssen uns täglich motivieren, unvoreingenommen und professionell auf die ungeimpften Pa­ti­en­t*in­nen einzugehen. Hier wird niemand diskreditiert, nur weil er nicht geimpft ist.“

Darüber hinaus sei es schwer, Rehaplätze für Pa­ti­en­t*in­nen zu finden, die einen schweren Coronaverlauf überlebt haben. Viele Pa­ti­en­t*in­nen lägen wochen-, teilweise sogar monatelang auf der Intensivstation und müssten beatmet werden. Nach einer solchen Behandlung gingen die Pa­ti­en­t*in­nen nicht gesund nach Hause, sagt Bauer, sie bräuchten eine Reha. Manche Rehakliniken im angrenzenden Sachsen behandelten jedoch auch akut erkrankte Coronapatient*innen, um die Krankenhäuser zu entlasten. Daher fehlten Rehaplätze.

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In Thüringen lagen am Montag 229 Corona-Erkrankte auf der Intensivstation. Damit sind rund 32 Prozent der verfügbaren Intensivbetten mit Covid-19-Patient*innen belegt, nur in Sachsen liegt dieser Wert noch höher.

Intensivmediziner Bauer geht fest davon aus, dass in Thüringen bis Jahresende zwischen 250 bis 300 Co­ro­na­pa­ti­en­t*in­nen auf den Intensivstationen liegen werden. Dann wären knapp 50 Prozent der Intensivbetten mit Corona-Erkrankten belegt. Zuletzt mussten erste Co­ro­na­pa­ti­en­t*in­nen aus Thüringen über das Kleeblatt-System in andere Bundesländer verlegt werden. Zu solchen Verlegungen werde es in den kommenden Wochen häufiger kommen, sagt Bauer.

Thüringen ist das Bundesland mit der zweithöchsten Sieben-Tage-Inzidenz Deutschlands, der Wert lag hier am Dienstag bei 1.023, nur in Sachsen ist die Lage noch schlechter. Beim Impfen liegt Thüringen mit 63,2 Prozent vollständig Geimpfter auf dem drittletzten Platz, hinter Brandenburg und Sachsen.

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12 Kommentare

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  • Ohne jetzt zu hinterfragen ob jeder der Fett ist und/oder raucht bei der aktuellen Konstellation wirklich was an der Situation ändern kann werfe ich mal in den Ring, dass es bei Impfunwilligen auch und besonders um die Gesundheit anderer geht.

    Aber man muss den Faden dann auch zu Ende spinnen:



    Hat ein Nichtorganspender Anspruch auf eine Organspende ?



    Ein Nichtblutspender Anspruch auf Spenderblut ?



    Ein Nichterwerbstätiger Anspruch auf überhaupt was ?

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Ich verstehe die Rechtliche Notwendigkeit der Verschiebung nicht.

    Wenn eine Operation überlebensnotwendig bzw. nicht aufschiebbar ist, dann ist sie nicht aufschiebbar. Dann kann man eben nicht jede normale Intensivstation zu Covid-Behandlungsstationen umfunktionieren.

    • @83191 (Profil gelöscht):

      Aufschiebbar oder nicht aufschiebbar: das ist leider nur in der Theorie eine klare Sache. Praktisch erfordert das eine Prognose, die überaus komplexe Krankheitsgeschehen einordnen muss. Die intensivpflichtigen Coronapatienten zeigen häufig ein aktuell hochdramatisches Krankheitsbild, das sofortiges Eingreifen erfordert, will man nicht den Tod binnen Tagen oder gar Stunden riskieren. Schwere auch lebensbedrohliche Erkrankungen haben diese unmittelbare Gefährdung oft nicht.



      Da Mediziner aber "nur" Mediziner sind und keine Hellseher kann die getroffene Einschätzung falsch sein.



      Das ist sicher furchtbar. Vermeidbar ist es nicht.

    • @83191 (Profil gelöscht):

      That's triage. So sieht da saus.

      Monatelang haben sich die in der beobachtbaren Realität verhafteten Menschen den Mund fusselig geredet, dass exakt so etwas passieren würde, falls Merkel und Spahn und die Covidioten von CDU/CSU und später dann FDP den Arsch nicht hochkriegen, und die Freiheit sich einen Glühwein hinter die Binde zu kippen oder dem Weihnachtskommerz zu frönen weiter höher gewertet wird als das elementare Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

      Es hat nichts genutzt.

      Und jetzt müssen eben Stationen zu Covid-Stationen umgebaut werden, mit allen Folgen, weil man nicht *heute* einem Covid-Patienten die Behandlung verweigern kann, nur weil andere behandlungsbedürftige Menschen *morgen* einen Platz brauchen.

      • 8G
        83191 (Profil gelöscht)
        @Ajuga:

        So einfach ist es mit dem Umbau leider nicht. Hier geht es nicht um „morgen“, der Umbau ist etwas aufwendiger und dauert schon mal ne Woche. Letztlich folgt das Krankenhaus der erwartbaren Anzahl an Patienten. Als ob man es berechnen könnte ;-) (wir sind uns denke ich einig in den genannten Punkten)

        Allerdings, so traurig es ist, ohne eine massive Sterblichkeit der Impfverweigerer wird ein Umdenken nicht möglich sein. Erst wenn in jeder Familie jemand fehlt, kommen diese Leute dazu ihre Haltung zu überdenken.

        Sofern sie sich nicht gleich das nächste Argument zurecht bauen (Krankheit gibts nicht -> Impfstoff ist Gift -> Krankheit ist harmlos -> Pflegekräfte Mangel liegt an den Regierenden -> mehr Geld wäre da wenn nicht Millionen Flüchtlinge etc.)

  • Ich empfinde es auch als zutiefst unethisch, dass nun so viele Intensivbetten für COVID-Patienten reserviert werden und andere dringende Fälle auf die nächsten Monate verschoben werden. Man sollte mit der normalen Planung der dringenden Operationen fortfahren und die dann noch freibleibenden Betten können Coronapatienten gegeben werden.

    • @K2BBQ:

      Auf Grundlage welcher "Ethik" sollten denn Ungeimpfte benachteiligt behandelt werden? Oder anders gefragt: Hat der langjährige Raucher mit 20kg Übergewicht, der zu faul ist, seine Angewohnheiten zu ändern, ein größeres Anrecht auf einen Intensivpflegeplatz als der Ungeimpfte, der sich nicht impfen lässt, weil dieser Angst vor gesundheitlichen Schäden durch die Impfung hat?

      Zum Glück entscheiden unsere Mediziner im Notfall (Triage) nach medizinischen Gesichtspunkten und lassen die gesellschaftliche und politische Stimmungslage außerhalb des Krankenhauses.

      • @Jaku:

        Da fallen mir spontan 2 Argumente ein.



        1. Der Raucher mit 20 kg Übergewicht ist keine Gefahr für andere. Ungeimpfte sind das schon, zumindest sind sie unsolidarisch und nehmen schwere Erkrankungen und den Tot von Mitmenschen ganz bewusst in Kauf.



        2. Angst vor gesundheitlichen Schäden durch Impfung? Ich denke, die Tatsachen belegen, dass das Risiko einer schweren Coronaerkrankung bedeutend höher ist als mögliche Impfschäden. Selbst die Wahrscheinlichkeit daran zu sterben ist ungleich höher.

        Natürlich werden unsere Mediziner nach medizinischen Gesichtspunkten entscheiden. Es gibt aber nicht nur übergewichtige Raucher. Was ist mit schweren Unfällen, Krebserkrankungen und anderen medizinischen Notfällen, wo eine Behandlung nicht aufgeschoben werden kann. Diesen Menschen werden doch die Intensivpflegeplätze streitig gemacht. Wie hier im Notfall (Triage) entschieden wird, möchte ich mal sehen.



        Also ich würde nicht darauf vertrauen, dass ich als ungeimpfter Coronapatient den Zuschlag bekomme.

        • @Günther Eichholz:

          1. Wenn der Raucher zuhause vor seinen Kindern raucht, dann gefährdet er sehr wohl mit seinem Handeln andere. Außerdem liegen die Kosten für die Gesellschaft durch Raucher pro Jahr zwischen 40 und 80 Milliarden Euro.

          Um es mit hypothetischen Beispielen nicht zu weit zu treiben: K2BBQ hat die Impfung als Kriterium gefordert, nach denen Menschen bevorzugt oder benachteiligt behandelt werden sollen. Ich möchte aufzeigen, dass es andere Gruppen von Menschen gibt, die durch ihr Verhalten ebenfalls andere gefährden und/oder der Geselschaft schaden, die dann ebenfalls eine andere Behandlung verdient hätten. Mein Standpunkt ist hier, das wir unser solidarisches Gesundheitssystem beibehalten sollten, dass die Menschen gleich behandelt.

          2. Ja, Angst vor gesundheitlichen Schäden durch Impfung. Auch wenn Angst irrational ist, kann sie existieren.

          Ein Beispiel: Tatsachen belegen, dass Fliegen das sicherste Verkehrsmittel ist. Trotzdem wird jemand mit Flugangst Angst vorm Fliegen haben. Dies ist ein sehr passender Vergleich in Bezug auf die Impfung. Ein Flugzeugabsturz ist sehr selten, kann aber passieren und einen das Leben kosten. Wer statt dessen mit dem Auto fährt, fühlt sich sicherer, ist aber objektiv einem höheren Risiko ausgesetzt. Ähnlich wird es einem Teil der Ungeimpften sein, die Angst vor einer schweren Nebenwirkung (Flugzeugabsturz) haben. Objektiv ist die Wahrscheinlichkeit sehr selten, wird aber als sehr bedrohlich wahrgenommen. Statt dessen bleibt man lieber Ungeimpft (fährt Auto), weil man sich so sicherer fühlt.

          Dieses Beispiel soll keine Rechtfertigung sein, sondern dabei helfen, die Entscheidungen unserer Mitmenschen besser verstehen zu können.

      • @Jaku:

        Ihre Annahme – Raucher = faul, Ungeimpfte = (nur) ängstlich – als richtig unterstellt, passt der Vergleich dennoch nicht :



        Das Problem folgt aus der schieren Zahl der Kranken und allen sich hieraus ergebenden Folgen. Die Wiederholung der sattsam beschriebenen und bebilderten Dramen ist sicher entbehrlich. Würden Raucher Nichtraucher anstecken und in vergleichbarem Ausmaß die Kliniken fluten, Mediziner und Pflegende bis zur völligen Erschöpfung belasten, das gesellschaftliche Leben nullen und ganze Volkswirtschaften ins Straucheln bringen – ja, tatsächlich, warum sollte man sie anders behandeln als Ungeimpfte….

      • @Jaku:

        *Die* Frage ist (wegen des Rauchverbots in der Gastronomie etc) ganz einfach mit "ja" zu beantworten, weil diejenigen die privatissime ihre Gesundheit ruinieren, kein Ansteckungsrisiko darstellen, also auf einer ganz normalen Nicht-Isolier-Station behandelt werden können.

        Aber natürlich ist auch jede Triageentscheidung eine ad-hoc-Entscheidung, die *nur* die *aktuell* vorliegende Situation berücksichtigen darf und kann.

        In der Konsequenz läuft das also weiterhin darauf hinaus, dass ungeimpfte Covid-Patient*innen grundsätzlich schlechtere Chancen auf ein Intensivbett oder auch nur einen normalen Krankenhausplatz haben, weil ihre Prognose eben ungünstiger zu sein tendiert. In der Praxis entscheidet aber der Zufall, "medizinische Gesichtspunkte" schließt eben auch die aktuell verfügbaren Kapazitäten mit ein. Solange noch freie Kapazitäten da sind, werden ungeimpfte Covid-Intensivpatient*innen nicht benachteiligt; da sie aber im Durchsvhnitt überproportional viele Ressourcen (pro Fall 4-5 Pflegekräfte über 2-3 Wochen) beanspruchen, werden sie in einer *direkten* Konkurrenzsituation sterben müssen.

        Geht halt nicht anders. Das Leben ist kein Wunschkonzert und auch kein Ponyhof. Wenn man sich beschweren will, dann bitte bei der FDP, der AfD, der Basis, dem Kreationisten- und Evangelikalenflügel der Union, und ihren Gefolgsleuten. Deren Realitätsverweigerung hat uns das eingebrockt.

      • @Jaku:

        moralische urteile sind in der medizinischen praxis sicherlich fehl am platz, aber zu den objektiven kriterien für die erfolgsaussichten einer behandlung gehört ja durchaus auch der impfstatus einer person