Coronakrise in Deutschland: Söder will Katastrophenfall ausrufen
Angesichts weiter steigender Infektionszahlen verschärft Bayern die Coronamaßnahmen. Das erwägt auch Sachsen. Niedersachsen will lockern.
Das ist zwar weniger als am Vortag, doch weil an Wochenenden weniger getestet wird, fallen die Zahlen sonntags generell niedriger aus. Entscheidend ist der Vergleich zur Vorwoche, und da lag die Zahl der neuen Ansteckungsfälle mit 14.600 gemeldeten Neuinfektionen um rund 3.160 niedriger als an diesem Sonntag. Die Zahl der Todesfälle stieg um weitere 255 auf 18.772.
Was vor allem Sorge bereitet: Der sogenannte Sieben-Tage-R-Wert betrug laut RKI-Lagebericht vom Samstag 1,10. Das ist der höchste Wert seit Beginn des Teil-Shutdowns am 1. November und bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 110 weitere Menschen anstecken. Nur wenn dieser Wert für längere Zeit unter 1 liegt, flaut das Infektionsgeschehen ab. Doch stattdessen steigt die Infektionskurve derzeit exponentiell. „Der sogenannte Lockdown light war einen Versuch wert, aber das hat nicht gereicht“, resümiert die Göttinger Physikerin Viola Priesemann.
Allerdings gibt es zwischen den Bundesländern große Unterschiede. Abgesehen von Bayern gingen die Inzidenzwerte in allen westdeutschen Ländern plus Mecklenburg-Vorpommern im November deutlich zurück. In den im Frühjahr besonders betroffenen Bundesländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen verringerten sich die Werte um 9,3 bzw. 13,1 Prozent, in Niedersachsen um 21,1 Prozent und in den beiden Stadtstaaten Bremen und Hamburg gar um 43,9 und 48,2 Prozent.
Im Norden niedrige Fallzahlen
Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein liegen mit ihrer Inzidenz sogar knapp unter 50 Fällen über sieben Tage je 100.000 Einwohner – dem Wert, den Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für die Gesundheitsämter als beherrschbar definierte.
Mit einer Inzidenz von 72 erwägt Niedersachsens Landesregierung bereits, den aktuellen Teillockdown „mit einem Stufenplan ähnlich wie im vergangenen Frühjahr“ zu beenden. „So wie ich mir das für den Zeitraum bis März vorstelle, sollten wir Schritt für Schritt Lockerungen ermöglichen, wenn die Infektionszahlen unter eine 7-Tages-Inzidenz von 35 sinken“, kündigte Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) in Hannover an.
In Bayern und den meisten ostdeutschen Bundesländern gehen die Infektionskurven hingegen weiter kräftig nach oben. Die höchste Rate an Neuinfektionen verzeichnet Sachsen. Der Inzidenzwert des Freistaats ist am Sonntag knapp über die Marke von 300 geklettert, ein Plus von 45 Prozent seit Anfang November. In den Landkreisen Sächsische-Schweiz-Osterzgebirge und Bautzen überstieg die Inzidenz gar die Marke von 500. Höher liegt dieser Wert nur im bayerischen Regen.
Hieß es Anfang November noch, die Nähe zu Tschechien habe zu den hohen Zahlen in Sachsen und Bayern geführt, taugt diese Erklärung nun nicht mehr. In Tschechien sinken die Infektionszahlen seit Wochen. Und Thüringen und Sachsen-Anhalt verzeichnen mit 60 und 80 Prozent gar die höchsten Anstiege binnen eines Monats, obwohl beide Bundesländer keine Außengrenzen haben. In Berlin sind die Zahlen zuletzt zwar nicht mehr ganz so drastisch gestiegen, mit einer 7-Tage-Inzidenz von 185 verharren sie allerdings weiterhin auf hohem Niveau.
Bayerische Landesregierung verschärft Maßnahmen
Am Sonntag rief die bayerische Landesregierung angesichts der hohen Inzidenzen den Katastrophenfall für das Bundesland aus. Dies erweitert ihren Handlungsspielraum und ermöglicht eine einheitliche Kommandostruktur. Die Lage sei ernst, begründete Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach einer Sondersitzung des Kabinetts den Schritt. Der „sanfte Lockdown“ habe zwar eine Wirkung gezeigt, das exponentielle Wachstum jedoch nur gebremst.
Wie in Baden-Württemberg hat die bayerische Landesregierung deswegen eine nächtliche Ausgangssperre für alle Städte und Kreise mit einer Inzidenz von mehr als 200 Corona-Neuinfektionen beschlossen. Außerdem verbietet sie den Konsum von Alkohol unter freiem Himmel. Söder bat darum, die eigene Wohnung oder das eigene Haus „nur aus triftigem Grund“ zu verlassen. Er kippte auch die geplanten Lockerungen über Silvester.
Derweil wächst der Druck auf die Bundesregierung, bald genaue Regeln für die geplanten Coronamassenimpfungen vorzulegen. „Die Rangfolge der Bevölkerungsgruppen, die als Erstes das Angebot erhalten, ist leider noch nicht bekannt“, kritisierte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Bekannt ist nur, dass Risikogruppen sowie Beschäftigte im Gesundheitsdienst und in zentralen Bereichen wie der Polizei beim Coronaschutz durch Impfung besonders im Blick sein sollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren