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Corona und die SelbstständigenSozialstaat für die Mittelschicht

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die Coronamaßnahmen offenbaren die wirtschaftliche Verwundbarkeit vieler Selbstständiger. Das wirft mit Blick auf 2021 neue Gerechtigkeitsfragen auf.

Besonders im Kulturbereich sind Selbstständige mit einem faktischen Berufsverbot belegt Foto: Friedrich Stark/imago

W enn die Linkspartei einen staatlichen „Unternehmerlohn“ fordert, aus Steuermitteln, die auch ArbeitnehmerInnen aufbringen müssten, dann spürt man, dass sich etwas verändert hat bei den politischen Maßstäben. Der Unternehmer, der Selbstständige als schützenswertes Objekt, das ist neu. Wer stark ist und wer schwach, das ist in Zeiten der Coronapandemie nicht mehr so leicht zu bestimmen.

Die wirtschaftliche Verwundbarkeit von Selbstständigen, viele davon in der privaten Dienstleistung, zeigt sich wie nie zuvor. Selbstständige in Dienstleistungbranchen, besonders im Kulturbereich, sind durch den Teillockdown bis in den Januar hinein mit einem faktischen Berufsverbot belegt oder leiden indirekt unter den Kontaktbeschränkungen.

Der Staat will ausgleichen: Mehr als 30 Milliarden Euro an Steuermitteln wird es im November und im Dezember als sogenannte „Novemberhilfen“ der Bundesregierung für Unternehmen und Soloselbstständige geben. Damit sollen Umsatzausfälle kompensiert werden. Zum Vergleich: Die Kosten für Hartz-IV-Leistungen belaufen sich auf rund 34 Milliarden Euro. Im Jahr.

Die „Novemberhilfen“ sollen zum Jahresende auslaufen, und danach soll es die „Überbrückungshilfen“ geben, die sich aber wieder nur an den Fixkosten der Betriebe, nicht am Umsatzausfall, orientieren. Die Chancen stehen inzwischen schlecht für den „Unternehmerlohn“, den Linke und Grüne für den Lebensunterhalt gebeutelter Soloselbstständiger fordern.

Dass Selbstständige als Opfergruppe so deutlich in Erscheinung treten, ist eine Verschiebung auch in der soziokulturellen Schichtenbildung der Mittelschichtmilieus. Dort ordnete man den „Selbstständigenstatus“ nicht in eine Kategorie der Schwachen ein. Wer sein eigenes Unternehmen führt und die damit verbundene Bürokratie bewältigt, dem oder der schreibt man ein hohes Maß an Autonomie zu.

Die Gruppe der Selbstständigen und deren Einkommen war allerdings immer höchst heterogen. Es ist ein Unterschied, ob ich eine Arztpraxis führe, Betreiberin eines Kosmetikstudios, KneipenwirtIn oder Essensausfahrer bin. Corona verstärkt die Unterschiede. Es machen Geschichten von Bau- oder Software-UnternehmerInnen die Runde, denen es blendend geht in Coronazeiten, während der geschlossene Stamm­italiener oder die arbeitslos gewordene Fitnesstrainerin bemitleidet werden.

Lonely Wolf des Sozialstaats

Selbstständige eint aber eines: Sie hatten bisher eher wenig mit dem Sozialstaat zu tun. Der oder die Selbstständige ist der Lonely Wolf des Sozialstaats. Selbstständige zahlen nicht in die Sozialkassen ein und bekommen kein Kurzarbeitergeld, kein Arbeitslosengeld, keine gesetzliche Rente. Typisch für die Soziokultur der Selbstständigen sind die Klagen über die hohe Steuerlast, das Wissen über die Steuergestaltung, über die „Steuertricks“. Selbstständige bekommen ihre Bruttoeinnahmen erst einmal auf das Konto und müssen dann erst davon Steuern abführen und eine teure Krankenversicherung zahlen. Das schmerzt mehr, als wenn man als Angestellte auf dem Konto immer nur das Netto sieht.

Die neue Rolle der Selbstständigen als vulnerable Gruppe verstärkt die Labilität in den Mittelschichtmilieus. Diese Labilität hat ohnehin schon zugenommen, denn die Globalisierung vervielfältig die Maßstäbe. Gegenüber dem stündlichen Einkommen von Amazon-Chef Jeff Bezos (10 Millionen Euro) schafft es ein Wirtschaftsanwalt in Stuttgart mit Einfamilienhaus und ein paar Hunderttausend Euro im Depot, sich als irgendwie benachteiligt zu fühlen. Einerseits.

Andererseits aber ist die globale Armut durch die Fluchtmigration auch in deutschen Metropolen sichtbarer geworden. Wer Flüchtlingsheime von innen kennt, wähnt sich mit seiner bezahlbaren Balkonwohnung und einem Durchschnittseinkommen als GrundschullehrerIn schon an der wohlhabenden Weltspitze.

Wahlkampf 2021 wirft schon Schatten

Die labile Stimmung in den Mittelschichtmilieus stellt die Parteien im Bundestagswahlkampf 2021 vor Probleme. Was kann man wem abverlangen? Wirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU, hat Steuererhöhungen auf Vermögen und für Unternehmen in Coronazeiten gerade erst wieder abgelehnt. Es ist aber fahrlässig, wenn sich Parteien den Weg zu höheren Steuern und Abgaben verbauen. Genauso fahrlässig ist es, die Abgabenbereitschaft in den Mittelschichten zu unterminieren.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund wirft Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor, durch neue Gesetze die „Beitragstöpfe“ der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen zu „plündern“. Es bringt aber nichts, wenn man wie der Gewerkschaftsbund nur nach irgendwelchen imaginären Steuermitteln des Staats schreit, ohne deren Herkunft genauer zu spezifizieren.

Saskia Esken, SPD, fordert Abgaben nur von den „sehr, sehr hohen Vermögen“. Es würde aber nicht funktionieren und nicht genügen, einfach nur den „Superreichen“ in Deutschland viel Geld wegzunehmen, als säßen sie auf einem Geldberg wie Dagobert Duck, den man nur nach und nach abtragen müsste. Höhere Besitzsteuern sind angebracht, aber in großem Stil kann man nur umverteilen durch die Belastung von Vermögen und laufenden Einkommen bis in die Mittelschichten hinein. Das ist unpopulär.

Womöglich hat aber trotzdem im Wahlkampf 2021 eine Partei gute Chancen, die solche Verteilungsprozesse glaubwürdig moderiert und dabei weder Abstiegsängste befeuert noch falsche Versprechungen macht. Eine Partei, die einen Konsens herstellen kann über die Verteilung von Abgaben und Zumutungen, dabei auch mal unbequem und vielleicht deswegen glaubwürdig ist auch für die labilen Mittelschichtmilieus. Wie ehrlich und wie mutig die Parteien sein werden – das ist die spannende Frage für 2021.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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6 Kommentare

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  • 6G
    65522 (Profil gelöscht)

    Es müsste differenziert werden zwischen jenen die durch Arbeitsplatzverlust die Selbständigkeit als Strohhalm benutzt haben und jenen die seit Generationen zur bürgerlichen Mittelschicht gehören.



    Außerdem gibt es zu jeder Zeit Gewinner und Verlierer? Wie dieser Effekt umverteilt werden kann um gesellschaftliche Schieflagen zu verhindern und das Land am Laufen zu halten? Die Arbeitslosenstatistik scheint zu suggerieren, irgendwo muss es boomen, wobei Ärzte und Gesundheitspersonal und andere lebensnotwendige Dienste eher Kosten verursachen, binnenwirtschaftlich gesprochen.

  • Na dann moderiert sie mal schön – die einst beschworenen Geister

    Es ist so, wie es @Andreas J in seinem Kommentar sagt, dass die Solo-Selbstständigen oft am Minimum leben, war kein Geheimnis. Hat nur niemanden interessiert. Was droht da jetzt zusammenzukrachen? Soweit mir bekannt, soll der von Grünen und Linken geforderte Unternehmerlohn (den ich befürworten würde) eine befristete Hilfe bleiben. Er soll wie ich es sehe, den Solo-Selbstständigen helfen, Strukturen zu erhalten um ihre Arbeit später wieder aufzunehmen. So wie ich das als erstes Ziel aller Corona-Hilfen sehe.



    Wenn nicht ihrem Einkommen nach so doch nach ihrer Ausbildungen/Qualifikationen und ihren Arbeitstätigkeiten, dürften die meisten Solo-Selbständigen dem Mittelstand zuzurechnen sein. Nur eben nicht ihrem Status nach als nicht lohnabhängig Beschäftigte, mit denen der Sozialstaat zuerst in Verbindung gesehen wird. Der Mittelstand, in seinen Einkommensverhältnissen breit gespreizt, sah sich, wie wirtschaftlich und der Arbeitsplatzsicherheit nach auch tatsächlich gefährdet, begriff sich als „hart arbeitende Mitte. Und grenzte sich gegenüber den bei hoher Arbeitsplatzunsicherheit prekär Beschäftigten und den Erwerbslosen immer auch als „stark“ und „leistungsorientiert“ ab. Die Stimmen der Soloselbstständigen lassen sich so zusammenfassen: Wir sind nicht Hartz IV. Ihre Abwehr sozialer Deklassierung und Armut in der Grundsicherung ist richtig aus eben diesen beiden Gründen. Diese einerseits berechtigte panische Angst, ist aber zugleich Teil ihrer abwertenden Haltung der sozialen Gruppen „unter“ ihnen. Diesbezüglich befindet sich Politik jetzt in der Klemme. Die von der (Agenda-)Politik erzeugte Panik hier und der Abwertung dort, stellt Politik jetzt vor die Aufgabe, denjenigen, die aus der Mittelschicht in Hartz 4 fallen könnten, moderierend zu erklären, warum diese Grundsicherung „gut“ ist. Sie die „Öffnung“ der restriktiven Zugangsvoraussetzungen. Sollen sie die Geiser moderieren, die sie riefen.

  • Mal abgesehen von den noch immer vorhandenen Unsäglichkeiten in Punkto Steuerhinterziehung bzw. Steuerflucht, fehlende Abgaben auf Aktiengewinne, fehlende Besteuerung gewisser Riesenunternehmungen ect. ist die Abschaffung des Solidaritätszuschlages nicht mehr passend. Ich könnte mir vorstellen, dass die Bürger einverstanden wären, diesen Beschluss zu canceln. Ich gehöre dazu.



    Im Gegenzug sollte die Regierung aber auch mal (in der Nach-Corona-Zeit) die anderen Ungerechtigkeiten in Angriff nehmen.

  • Das die Soloselbständigen á lá "Ich-AG" oft am Minimum leben (allein schon die Krankenkassenbeiträge!!!!!!!) und kaum was für die Altersvorsorge zurücklegen können, war ja wohl kein Geheimnis. Hat nur niemanden in der Politik interessiert. Jetzt kracht vieles Zusammen.



    Übrigens war neulich in einem Artikel von ca. 30 Milliarden Euro Verlust jährlich an Steuergeldern, durch Steueroptimierung, -Vermeidung und Verrechnungstricks die Rede. Fast soviel wie Harz4 kostet. Die Soloselbstängdigen werden das wohl kaum machen. Genug Geld ist da. Nur der Wille es sich zu holen fehlt bei der Politik



    taz.de/Staroekonom...=steuervermeidung/

    • @Andreas J:

      Ja, eben. Leuten "in die Tasche zu greifen" sind Peanuts, der meiste Mehrwert wird heutzutage durch Verschieben von Verbindlichkeiten generiert. Da gilt es vorgreifend abzuschöpfen, da wird das wirklich große Geld am Fiskus vorbeijongliert. Das Märchen von den armen Milliardären beruht auf dem Grundfehler, natürliche und juristische Persönlichkeiten gleichzusetzen. Ich empfehle die immer noch aktuelle Dokumentation "The Corporation" von Mark Achbar und Jennifer Abbott.

  • Für einen solchen Artikel lese ich die Taz immer wieder gern. Dabei ist mir klar, als „das kleinste denkbare Lesersegmentteilchen“, gerade die Taz muss „divers“ sein. So will ich sie auch haben. Hier bin ich, n` alter Knochen (weiß, es geht so irgendwie männlich, der „cis-hetero“ an sich selbst nicht wahrnimmt, der sich dagegen verwehrt, alter weißer Mann genannt zu werden…), der Hartz 4 kennt mit Interesse an Themen wie eben diesen. Dort die vielen anderen, jüngeren, denen vieles unter denen Nägeln brennt und aufs schmerzlichste unter die Haut geht. Denen gegenüber offen zu bleiben, dafür gibt es auch für die Oldies Artikel in der Taz.

    >Die wirtschaftliche Verwundbarkeit von Selbstständigen, viele davon in der privaten Dienstleistung, zeigt sich wie nie zuvor. (…)Diese Labilität hat ohnehin schon zugenommen, denn die Globalisierung vervielfältig die Maßstäbe.<



    Folgende nicht als meckernde Kritik am Artikel zu verstehen. Ich stelle mal zur Diskussion: Gibt es vor dem Hintergrund der im Artikel erfolgten Zustandsanalyse dabei Tendenzen zur Herausbildung zweier Grundsicherungssysteme? H4-Plus – H4-Minus? Und würden damit Gerechtigkeitsfragen berührt. Mehr noch: Was sagt der Artikel über die Aufgabenerfüllung „Grundsicherung“ des jetzigen Hartz IV aus? Das spricht der Artikel nicht an. Die Zusammengefassten Stimmen der Solo-Selbstständigen, denen auf Zeit befristet erleichterter Zugang zur Grundsicherung geschaffen wurde, lauten für mich nämlich – und das wirklich nicht zu Unrecht – WR SIND NICHT HARTZ IV. Warum? Weil sie sehen, dass Hartz IV die Endstation sein könnte, aus der heraus sie ihre Profession nicht wieder aufnehmen könnten, wenn die Corona-Zeit vorbei ist. So aber das erklärte Ziel der Corona-Hilfen: Strukturen erhalten, Arbeit erhalten.

    Das muss doch auch für eine Grundsicherung gelten, die jetzt nur die laufende Resterampe in den prekäre Arbeit des Niedriglohnsektors ist. Es geht also ganz und gar nicht um eine Neiddebatte!