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Corona und die Fußball-EMSport als Zumutung

Andreas Rüttenauer
Kommentar von Andreas Rüttenauer

Die EM hat gezeigt: Der Fußball ist mächtiger als der Infektionsschutz. Auch die Olympischen Spiele in Tokio werden eine Risikoveranstaltung sein.

Virusparty: Auch am Sonntag werden wieder 65.000 Fans im Stadion von Wembley sein Foto: Catherine Ivill/ap

D ie Bilder, die uns diese Fußballeuropameisterschaft liefert, sind eine Zumutung. Auch diesen Sonntag werden wieder 65.000 Fans im Stadion von Wembley sein, wenn England gegen Italien um den Titel spielt. Die Bildregie, die im Auftrag der Europäischen Fußballunion Uefa darüber entscheidet, welche Szenen in unsere Wohnzimmer gesendet werden, wird immer wieder auch das Publikum zeigen. Wir werden sehen, wie die Menschen im Stadion bangen und wie sie sich herzen, wenn ein Tor gefallen ist. Es werden Bilder sein wie aus einer anderen Zeit, Bilder, die kaum auszuhalten sind.

Die Uefa wollte genau das. Sie wollte ein Turnier, das aussieht, als wäre da draußen nicht jenes Virus unterwegs, das die Welt seit anderthalb Jahren zu beherrschen versucht. Sie hat die Ausrichterstädte und -staaten erpresst und gegeneinander ausgespielt. Nur wer garantierte, Zu­schaue­r:in­nen zuzulassen, durfte Spiele ausrichten.

Der Fußball hat den Infektionsschutz geschlagen. Er war mächtiger. Die Folgen sind bereits messbar. Die Europäische Gesundheitsbehörde ECDC, die das Turnier beobachtet, hat mehr als 2.500 Menschen gezählt, deren Coronainfektionen mit dem Turniergeschehen zu tun hatten. Sie haben Fußball in Stadien oder auf Fanmeilen verfolgt, waren infiziert von Russland nach Finnland unterwegs oder von Wembley nach Schottland.

Kann es das wert gewesen sein? Oder hält man das starke Infektionsgeschehen, so wie in Großbritannien, trotzdem für beherrschbar? Wer kann das schon sagen? Bei jedem Eigentor dieser EM, bei jeder umstrittenen Szene, bei all der Freude über den Sport, der da getrieben wird, schwingen diese Fragen mit. Sie sind es, die den Sportkonsum derzeit zu einer Zumutung machen. Von Deutschland aus mit dem Finger auf England und die Uefa zu zeigen, so wie es Innen- und Sportminister Horst Seehofer jüngst getan hat, ist indes zu einfach.

Fußball beherrscht Politik

Der Fußball hat auch hierzulande die Politik fest im Griff. Da müssen wackere Ver­an­stal­te­r:in­nen von kleinen Kultur-Events unter freiem Himmel immer wieder neue Hygienekonzepte erstellen und markieren mit Kreidekreisen die Orte, an denen sich die Freun­d:in­nen der kleinen Kunst aufzuhalten haben. Währenddessen wird entschieden, dass zum Bundesliga­start im August wieder bis zu 25.000 Leute in die Stadien dürfen.

Und wenn die Uefa wirklich des Teufels ist, wofür ja nun wirklich einiges spricht, warum unterwirft sich Deutschland diesem Verband dann eigentlich und rollt ihm für die Fußball-EM 2024 gerade den roten Teppich aus? Die nächste Männer-EM im Fußball findet in Deutschland statt. Sie soll genau solche Bilder liefern, wie sie dieser Tage aus London gesendet werden.

Andere Bilder werden in drei Wochen von Tokio aus in die Welt geschickt. In Japan herrscht wieder Coronanotstand, und so blieb den Organisatoren und Verantwortlichen des Internationalen Olympischen Komitees nichts anderes übrig, als zu beschließen, keine Zu­schaue­r:in­nen zu den Wettbewerben zuzulassen. Die Anreise von Olympiafans aus dem Ausland hat man schon länger untersagt.

Alles gut also? Über 11.000 Sport­le­r:in­nen aus wirklich aller Damen und Herren Länder werden zu den Spielen anreisen. Dazu kommen Trainer, Funktionäre und jede Menge Berichterstatter und Techniker von Medienunternehmen. Eine Fußball-EM ist im Vergleich dazu ein Zwergenevent. Danach stehen die Paralympics an, zu denen noch einmal mehr als 4.000 Ath­le­t:in­nen erwartet werden. Nach Kontaktvermeidung sieht das nicht aus, auch wenn es Hygienekonzepte gibt.

Dass nach der Verschiebung der Spiele von 2020 in dieses Jahr nicht ernsthaft über eine Absage nachgedacht wird, liegt auch an der unheimlichen Macht des Sports. Will eine Stadt die Olympischen Spiele ausrichten, muss sie sich dem IOC unterwerfen, muss Milliarden investieren, um den Zuschlag zu bekommen. Dann sind es die Sportverbände, die den Regierenden die Regeln diktieren. Auch das ist eine Zumutung.

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Andreas Rüttenauer
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7 Kommentare

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  • Man sollte schwarz-weiß-Denken vermeiden und es nicht dem Fußball an sich anlasten, wenn z.B.

    * Finnland keine effektive Quarantäne für rückreisende Fans anordnet;

    * veraltete Corona-Tests (mal 24 Stunden, mal sogar 48 Stunden alt) den Zutritt steuern und schon gar keine PCR-Tests gemacht werden, oder

    * keine verbesserte Lüftung der Stadien angeordnet wird oder

    * da, wo es zwei Stadien zur Auswahl gibt, wie in München, die EM-Spiele in der stickigeren Arena statt im nur halb überdachten und weitaus besser durchlüfteten Olympiastadion stattfinden.

  • > Der Fußball hat den Infektionsschutz geschlagen. Er war mächtiger. Die Folgen sind bereits messbar.

    Kleine Zwischenmeldung aus UK:

    Da wurden jetzt zuletzt (10. Juli 2021) 32376 Infektionen am Tag gezählt. Das entspricht etwa der Zahl vom 19./20. Dezember 2020 in der dritten Welle. Wenn es so weiter geht, wird die Höchstzahl der dritten Welle schon in zwei Wochen überschritten werden - und alles spricht momentan dafür.

    www.worldometers.i...avirus/country/uk/

  • Da kann ich nur zustimmen. M. E. ist es eine Bankrotterklärung der Regierungen, den Infektionsschutz von der Uefa praktisch aushebeln zu lassen. Da stellt sich mir schon die Frage, ob Politiker*innen mittlerweile nicht längst komplett zu Marionetten finanzkräftiger Unternehmen respektive Institutionen geworden sind. Für das Vertrauen in die Politik, zugunsten der Gesellschaft zu agieren, ist das wohl nicht förderlich...



    Und ich vermute zudem einen direkten Zusammenhang zur derzeit nachlassenden Impfmotivation.

    • @HopeDrone:

      Wenn man das Verhalten von Angela Merkel bei der Dieselaffäre betrachtet, dann, ja, könnte man das denken.

      Auch beim Thema Klimaschutz - Angela Merkel war seit Mitte der 90er Jahre Umweltministerin und wurde regelmässig direkt von Professor Hans-Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam Instituts für Klimaforschung, informiert.

      Eine bessere und kompetentere Information ist kaum denkbar. Trotzdem hat keine CDU-Regierung auch nur ansatzweise das Nötige getan, im Gegenteil hat sich Merkel dagegen eingesetzt, durch EU-Regeln den Flottenverbrauch von CO2 in PKW wirksam zu beschränken.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Die Bilder, die uns diese Fußballeuropameisterschaft liefert, sind eine Zumutung. "

    So ist es. Mittlerweile hasse ich diesen Sport, weil zu viele Blödmänner, Neonazis und Hooligans ihren Frust rausschreien. "Du Jude" hört man des öfteren in den Stadien.

    Der ganze Profisport geht mir auf die Nerven. Erst Wintersport mit dem langweiligsten Bi-Athlon der Welt, dann folg stetig Fußball, dann Tour de Dope, dann Leichtathletik.



    Das hat Methode. So lässt sich eine Menge Profit einfahren und das dumme Volk brüllt seinen Zorn im Stadion raus. Brot und Spiele.



    Ihr geht mir sowas auf den Zeiger. Und dann die Engländer, die mit ihrer Öffnung trotz hoher Inzidenz ganz Europa gefährden.



    Wie wäre es mal mit Sanktionen????

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Zur Entspannung: Fussball - EM / WM bitte jeweils nur noch alle 8 Jahre.

    • 1G
      15833 (Profil gelöscht)
      @17900 (Profil gelöscht):

      Naja, man kann es auch übertreiben.



      Außerdem sind Brot und Spiele immer noch das wichtigste schlechthin ;-)