„Corona in der Welt“ – Myanmar: Fabrikchefs tauchen ab
Während der Coronapandemie protestieren in Myanmar Beschäftige der Textil- und Bekleidungsindustrie. Für die Schließung von Fabriken – und dagegen.
ArbeiterInnen protestieren dagegen, dass immer mehr Fabriken schließen. Laut der Vereinigung der Bekleidungsproduzenten (MGMA) arbeiten in diesem Sektor 500.000 Personen in 500 Fabriken, von denen 400 in Yangon sind.
Nach offiziellen Angaben sind bisher 100 Textil- und Bekleidungsfabriken von Schließungen und Entlassungen betroffen. Allein in der Industriezone Hlaing Thar Yar verloren von 150.000 Beschäftigten des Sektors schon 20.000 ihre Jobs. 24 Fabriken dort stellten die Produktion ein, bei 49 gab es Entlassungen.
Laut Regierung haben Arbeitslose weiter Zugang zu medizinischer Versorgung, abhängig von ihren vorherigen Beiträgen zur Sozialversicherung. Aber es gibt kein Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld, das schlicht nicht vorgesehen ist.
Ausbleibende Abfindungen und keine Garantien
Die Regierung verhandelte bereits im März mit Fabrikbesitzern über zeitweilige Schließungen, um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Dabei wurden auch Lohnersatzleistungen und Wege der Auszahlungen angesprochen.
Am 9. April erklärte die EU-Vertretung, dass ab 1. Mai 80.000 entlassene Textilarbeitskräfte umgerechnet 47 Euro drei Monate lang von der EU bekommen, die ja der Hauptabnehmer war. 8.000 weitere, die um Löhne geprellt wurden, sollen 80 Euro für jeweils drei Monate erhalten.
Die Regierung drängt die Bevölkerung, zu Hause zu bleiben und Zusammenkünfte zu vermeiden. Doch Tausende Arbeitskräfte haben schon gegen Entlassungen und gegen nicht gezahlte Abfindungen und fehlende Wiederanstellungsgarantien protestiert.
Seit 1. April protestieren auch 200 Beschäftigte der Amber Stone Bekleidungsfabrik in der Hlaing Thar Yar Zone für die Schließung ihrer Fabrik. Sie fürchten, sich am Arbeitsplatz anzustecken, fordern aber vollen Lohnausgleich. Dabei hat der Fabrikbesitzer noch nicht einmal die März-Gehälter gezahlt.
„Wir fordern unser Geld für März“, sagt die Arbeiterin Ma Nu Nu Aung. „Aber wir wollen nicht in einer Fabrik arbeiten, bei der wir nicht vor Ansteckung geschützt sind.“
Nach drei Monaten Fabrikschließung nur noch halber Lohn
Die Arbeiterinnen von Myanmar Muse Leather Goods und Myanmar Elegant Supreme Leather aus der Ywar Thar Gyi Industriezone in Yangon fordern eine Arbeitsplatzgarantie. Die beiden Fabriken mit zusammen 700 Arbeitskräften schließen für zunächst drei Monate. Danach zahlen sie drei Monate lang nur den halben Grundlohn (umgerechnet 3,10 Euro/Tag).
Nicht alle Entlassenen wurden entschädigt. „Wir fordern eine Jobgarantie bei Wiederaufnahme des Betriebs. Wir wurden ohne Entschädigung entlassen und fordern vom lokalen Arbeitsausschuss eine Lösung,“ sagt die Arbeiterin Ma War War Kaing.
Es gibt jetzt sogar Fabriken, bei denen die Arbeitnehmer überhaupt keine Ansprechpartner mehr haben, weil die Besitzer abgetaucht sind, wie bei Zu Xing Garment Co Ltd. und Myanmar Royal Apollo.
Dringend benötigte Überstanden fallen weg
Und bei den Fabriken, die noch arbeiten, gibt es weniger zu verdienen. Denn es gibt keine Überstunden mehr, auf die viele angewiesen sind und die den Verdienst um bis zu ein Drittel erhöhen können.
Im April ist stets das Wasserfest (Thingyan). Zur Monatsmitte gibt es normalerweise dann zehn Tage Urlaub. Doch dieses Jahr blockiert das die Regierung, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern.
Sie erstellt mit dem Verband der Industrie- und Handelskammern (UMFCCI) eine Liste von Unternehmen, die Kredite für Lohnzahlungen bekommen. Laut dem MGMA-Vorsitzenden sind auch Steuererleichterungen im Gespräch. Täglich schließen Fabriken, und die Unruhe wächst.
Aus dem Englischen Sven Hansen
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