Corona in Schleswig-Holstein und Bayern: Ein Plan, da raus zu kommen?
In Bayern steigt der politische Druck, den Lockdown zu lockern. Schleswig Holsteins Regierung macht dafür gleich einen konkreten Vorschlag.
Sich die Haare schneiden lassen, auf Freiluftplätzen kicken, im Pflegeheim mehr Besuche bekommen, Kitas und Schulen langsam öffnen: Diese Lockerungen will das Land erlauben, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 sinkt. Bereits im Januar stellten Ministerpräsident Günther, Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) und Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) den Plan vor, der eine „Blaupause“ für andere Länder und die Bundesregierung sein soll.
„Unser Ziel ist eine bundesweite Regelung“, betonte Günther. Wichtig sei, keine festen Termine zu nennen, sondern sich stets am aktuellen Infektionsgeschehen zu orientieren. Aktuell liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in Schleswig-Holstein bei 62,5, damit wäre auch ein eingeschränkter Regelbetrieb in Kitas und Wechselunterricht in den Schulen bis zur sechsten Klasse möglich. Bleibt der Wert mehr als drei Wochen unter 100, sollen Schulen zum Präsenzunterricht zurückkehren. Regelbetrieb für Kitas und geöffnete Läden gebe es bei einem Wert unter 50.
Allerdings malen die aktuell niedrigen Zahlen – in einigen Landkreisen liegt der Inzidenzwert unter 20 – ein etwas zu rosiges Bild. Denn Mitte Januar wurde in Flensburg die britische B.1.1.7-Mutation nachgewiesen, inzwischen sind in zahlreichen Regionen des Landes Fälle aufgetreten, in denen die ansteckendere Virusmutation gefunden wurde.
„Auf einen eigenen Weg gut vorbereitet“
„Beunruhigend“, nannte das Eka von Kalben, Fraktionschefin der Grünen im Kieler Landtag, diese Entwicklung. Die aktuelle Situation müsse bei der Diskussion um die Stufenpläne eine Rolle spielen. „Der Stufenplan bedeutet nicht automatisch nur Lockerungen, sondern bei steigenden Zahlen auch wieder mögliche Schließungen“, so von Kalben zur taz. Sie erwarte, dass Ministerpräsident Günther sich für ein bundesweit abgestimmtes Vorgehen einsetzen werde – und rechnet damit, dass der Kieler Stufenplan „eine große Rolle bei den Beratungen spielen wird“.
Auch Christopher Vogt, FDP-Fraktionschef im Kieler Landtag, hofft auf ein gemeinsames Vorgehen. Sollte es aber „wider Erwarten keinen bundesweit abgestimmten Perspektivplan geben“, sei Schleswig-Holstein „auf einen eigenen Weg gut vorbereitet“, so Vogt zur taz.
Auch in Bayern wird der Ruf nach einem Einstieg in den Ausstieg aus dem Lockdown wieder lauter. Bei 74,7 lag die Sieben-Tage-Inzidenz am Dienstag in dem Bundesland – nur noch knapp über dem Bundeswert. 25 Landkreise und kreisfreie Städte konnten sogar Inzidenzwerte von weniger als 50 aufweisen. Im Landtag wurde das Thema am Dienstag diskutiert: „Perspektiven aus dem Lockdown aufzeigen“, lautete auf Antrag der FDP-Fraktion das Thema der Aktuellen Stunde.
Die Haltung von Markus Söder ist indes klar. Der Trend bei den Inzidenzzahlen mache zwar Hoffnung, sagte der Ministerpräsident, aber es sei leider noch nicht vorbei. „Feste Stufenpläne klingen verlockend, können aber rasch zu Enttäuschung führen.“ Allenfalls für Grundschulen und Kitas stellte er mit Blick auf die Ministerpräsidentenrunde neue Perspektiven in Aussicht. „Das Auf-Sicht-Fahren nervt“, hatte Söder schon am Sonntag in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ zugegeben. „Aber das Auf-Sicht-Fahren ist das Einzige, was wirklich hilft. Denn der Herausforderer, vor dem wir stehen, Corona, hält sich null an Termine, die wir setzen.“
Das Grummeln wird lauter
FDP-Fraktionschef Martin Hagen fordert dagegen ein regional differenziertes Vorgehen, will zunächst dort, wo die Infektionszahlen niedrig sind, Kitas, Grundschulen und Einzelhandel wieder öffnen. Vor allem aber dürfe die nächtliche Ausgangssperre nicht über das Wochenende hinaus verlängert werden. Andernfalls werde seine Partei dagegen klagen. Ein Stufenplan solle die Lockerungen entsprechend der Ansteckungszahlen regeln.
Nun ist die FDP in der Opposition, ihr Vorstoß überrascht nur bedingt. Aber auch bei Söders Koalitionspartner, den Freien Wählern, und sogar in den eigenen Reihen wird das Grummeln lauter. Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger plädiert schon lange für möglichst schnelle Lockerungen, aktuell sieht auch er den Zeitpunkt für ein Ende der Ausgangssperre gekommen. „Dann muss man aber auch die zusätzlich gewonnene Sicherheit für Öffnungen nutzen, um wieder Steuergelder zu erwirtschaften und den Menschen nicht mehr Freiheitseinschränkungen abzuverlangen als nötig“, sagte er im Interview mit der Augsburger Allgemeinen. Aiwanger will auch auf technische Systeme setzen, etwa auf Kameras zur Überwachung des Masketragens im Einzelhandel.
Aber auch Landtagspräsidentin Ilse Aigner fehlt die Perspektive. „Die Menschen brauchen eine Perspektive, ein Szenario, wie es nach dem langen Lockdown weitergeht“, sagte die CSU-Politikerin der Süddeutschen Zeitung. Die Regierung müsse „darlegen, welche Lockerungen bei bestimmten Inzidenzwerten möglich sind“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs