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Corona in RumänienTödliche Zwangsbehandlung

Insider enthüllen skandalöse Zustande auf Intensivstationen in Rumänien. Covid-Patienten werden sediert und gefesselt.

In Rumänien werden Covid-Patientin sediert Foto: Andreea Campeanu/getty

Berlin taz | „Auch ich habe Menschen getötet.“ Unter dieser Schlagzeile veröffentlichte die Publikation „Turnul Sfatului“ aus der rumänischen Stadt Sibiu (Hermannstadt) den Bericht eines medizinischen Mitarbeiters über unhaltbare Zustände im Kreiskrankenhaus. Darin schildert der Mann, dessen Identität der Zeitung bekannt ist, die Lage auf der Intensivstation, wo an Covid-19 erkrankte Patienten behandelt werden. Allen Coronapatienten, berichtet „Herr S“, würde man Beruhigungsmittel verabreichen und sie an ihre Betten fesseln.

Insbesondere Menschen mit Nebenerkrankungen – wie Diabetes – seien infolge der kontraindizierten Ruhigstellung verstorben. Die Begründung der verantwortlichen Ärzte, die internierten Personen müsse man ruhigstellen und fesseln, denn nur so hindere man sie daran, die Sauerstoffmasken und Kanülen zu entfernen, bezeichnete „Herr S“ als abwegig.

Seine Aussagen belegte er mit mehreren Fotos. Einige wurden inzwischen veröffentlicht. Wie viele Menschen gestorben sind, weil sie unsachgemäß behandelt und an die Betten gefesselt wurden, ermittelt die Staatsanwaltschaft.

In einer Stellungnahme des Kreiskrankenhauses, die das Nachrichtenportal Hotnews zitiert, heißt es, die Vorwürfe seien unbegründet. Seit Ausbruch der Coronapandemie habe man auf der Intensivstation 570 Patienten behandelt, 152 seien nach dem Abklingen der Krankheit auf andere Stationen verlegt worden. Insgesamt 397 seien verstorben. Zurzeit befänden sich 21 schwer erkrankte Covid-19-Patienten auf der Intensivstation. Die Enthüllungen des Mitarbeiters werden als „Verallgemeinerungen“ zurückgewiesen. Das Krankenhauspersonal habe seine professionellen Pflichten verantwortungsvoll erfüllt.

Sedativa verabreicht

Ähnliches berichtete in einer Talkshow des Boulevardsenders Antena3 auch der Kardiologe Benedek Imre aus Târgu-Mureş. Seinem mittlerweile an Covid-19 verstorbenen Bruder István wurden auf der Intensivstation des Kreiskrankenhauses aus Târgu-Mureş gegen seinen Willen Sedativa verabreicht. Entsprechende Filmaufnahmen, so Benedek, würden den Behörden zur Verfügung gestellt. Nach den Enthüllungen aus Sibiu tauchten auch aus anderen rumänischen Großstädten Berichte über Zwangsbehandlungen von Coronapatienten auf Intensivstationen auf.

Auf das Thema Zwangsbehandlungen angesprochen erklärten mehrerer Ver­tre­te­r*in­nen und Lei­te­r*in­nen von Krankenhäusern gegenüber dem Sender Radio Free Europe, die Verabreichung von Sedativa an Patienten, die an Beatmungsapparaten angeschlossen sind, gehöre zur „normalen Behandlungspraxis“ und sei kein Verstoß gegen bestehende Vorschriften.

Seit dem Ausbruch der Pandemie haben sich in Rumänien 845.352 Personen mit dem Covidvirus angesteckt, 774.277 haben die Infektion überstanden. 21.252 sind an oder im Zusammenhang mit Covid gestorben. In den vergangenen Tagen verzeichnete Rumänien erneut einen Anstieg der Infektionen. Laut Mediafax, wurden am Mittwoch 5.236 neue Fälle gemeldet.

Auf den Intensivstationen befinden sich derzeit 1.171 Patienten. Die Großstadt Timişoara (Temeswar) wurde unter Quarantäne gestellt, die nächtlichen Ausgangssperren wurden landesweit verschärft.

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1 Kommentar

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  • Wenn eine Fixierung von einem Gericht bestätigt wird, und täglich neu entschieden und dann wieder neu bestätigt wird, sachgemäß fixiert wird, dann kann eine Fixierung Leben retten. Als Krankenpfleger kann ich sagen, dass auch eine Sedierung im Einverständnis mit dem Patienten eine Stresserholung bewirken kann. Wenn der Patient nicht "verhandlungsfähig" ist, z.B. wenn er verwirrt, im Delir oder bewußtlos oder im agitierten psychischen Ausnahmezustand ist, dann kann man per Patientenverfügung klären, was zu tun ist oder mit den Angehörigen sprechen. Aber manchmal muss alles sehr schnell gehen, dann muss man auch im lebensgefährlichen Notfall ohne Rücksprache sedieren. Eine Fixierung kann sehr wohl den Patienten schützen, vor ungewollten Selbstverletzungen (Herausreissen der Infusionsschläuche oder des Intubationstubus oder der Maske oder der Sauerstoffzufuhr. Würde man die Fixierung in einem solchen Fall nicht durchführen, kann sich der Zustand des Patienten schnell lebensbedrohlich verschlechtern, mit der Gefahr irreversibler Schäden.



    Alles was gegen den erklärten Willen des Patienten geschieht, ist eine Straftat -so in Deutschland. Die Regelungen für Rumänien wären nun zu eruieren und zu klären, gerade im Hinblick auf Sedativa und was routinemäßiges Arbeiten und einem Chefarzt bedeutet. Das leistet der Beitrag leider nicht.