Corona in Pflegeeinrichtungen: Landkreis zeigt Pflegeheim an
In einer Seniorenresidenz in Wildeshausen sind mehr als die Hälfte der Bewohner infiziert. Der Betreiber soll Auflagen nicht eingehalten haben.
Eigentlich sah es so aus, als würden sie einigermaßen glimpflich davon kommen: Die Wildeshauser Seniorenresidenz Atrium am Wall hatte in der vergangenen Woche zwar katastrophale Zahlen von mit dem Covid-19-Virus Infizierten gemeldet, aber auch überwiegend milde Krankheitsverläufe. Während in einem Wolfsburger Pflegeheim für Demente mittlerweile 29 Menschen gestorben sind, blieb es hier bei zwei Todesfällen.
Dass der Virus auch in Wildeshausen tobte, war am 28. März aufgefallen, nachdem ein Bewohner aus der Kurzzeitpflege ins Krankenhaus gekommen und dort gestorben war. Er war mit Covid-19 infiziert. Das Gesundheitsamt des Landkreises Oldenburg veranlasste sofort umfassende Tests in der Residenz. Das Ergebnis: 23 von 51 Bewohner:innen und 18 von 41 Pflegekräften trugen den Virus in sich.
Das private Pflegeheim der Almavita-Gruppe sollte daraufhin die beiden Kohorten aus Infizierten und Nicht-Infizierten trennen: Infizierte Pflegekräfte sollten künftig für die Versorgung der infizierten Bewohner:innen eingesetzt werden. Auch das ist üblich, so lange die Pfleger:innen fit sind und keine Symptome zeigen. Anders ließe sich der Personalbedarf überhaupt nicht mehr decken.
Außerdem gilt für alle – unabhängig von ihrem Testergebnis – eine strenge, mindestens zweiwöchige Quarantäne. Bewohner:innen müssen in ihren Zimmern bleiben, Pflegekräfte in der häuslichen Quarantäne. Ausgenommen sind nur Arbeitswege und Dienstzeiten.
Irgendwas läuft schief
Eine zweite Testreihe am vergangenen Mittwoch ergab, dass die Zahl der Infizierten noch einmal gestiegen war. Zwölf Bewohner:innen und sieben Mitarbeiter:innen, deren Tests vorher negativ waren, sind jetzt ebenfalls infiziert. Das kann an der Inkubationszeit liegen – möglicherweise war die Ansteckung beim ersten Test einfach noch zu frisch und der Virus ließ sich deshalb noch nicht nachweisen. Es könnte aber auch ein Zeichen dafür sein, dass die angeordneten Maßnahmen nicht greifen oder nicht konsequent umgesetzt werden.
Nach außen hin gibt sich das Heim kooperativ und einsichtig, doch hinter der Fassade läuft irgendetwas schief. Am Mittwoch, 2. April, wird der Heimleiter freigestellt. Gleichzeitig entscheidet der Krisenstab im Gesundheitsamt, die 15 negativ getesteten Bewohner:innen zu evakuieren. Ein Bus und ein paar Krankenwagen bringen sie in das neue Gästehaus des Berufsförderungswerkes Weser-Ems in Bookholzberg.
Am nächsten Tag wird bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Oldenburg und die Polizei Delmenhorst Ermittlungen aufgenommen haben. Geschäftsführer Thomas Münch entschuldigt sich öffentlich für die weiteren Infektionsfälle, sagt aber, die vom Gesundheitsamt angeordneten Maßnahmen seien umgesetzt worden.
Gesundheitsamt und Kreis sehen das anders. Eine Begehung habe mehrere Verstöße gegen die Auflagen ergeben – welche genau, teilen sie nicht mit. Das sei ja jetzt Gegenstand der Ermittlungen, sagt Kreissprecher Oliver Galeotti.
Oliver Galeotti, Sprecher des Landkreises Oldenburg
Der Kreiszeitung sagten Angehörige, der Heimleiter sei noch am Wochenende ohne Schutzmaske in die Zimmer von Bewohner:innen gegangen, darunter auch das eines Schwerkranken. Andere berichten von einem infizierten Bewohner, der weiter durch die Gänge gelaufen sei. Aber auch bei der Evakuierung soll nicht alles glatt gelaufen sein: Als überstürzt und chaotisch wird der Transport in einer lokalen Facebook-Gruppe beschrieben. Einige Bewohner hätten die Masken abgenommen um sich im Bus besser unterhalten zu können.
Der Kreis räumt in einer Pressemitteilung vom Montag zwar ein, dass nicht alles in der Eile glatt gelaufen sei, teilt aber gleichzeitig mit, er habe nun Strafanzeige gegen die Einrichtung erstattet. Die Geschäftsleitung versuche, mit abenteuerlichen Darstellungen in den sozialen Medien die Öffentlichkeit abzulenken.
Hang zur Esoterik
Danach will sich der sonst nicht gerade medienscheue Geschäftsführer Thomas Münch plötzlich lieber nicht mehr äußern. Die Frage, ob die Einrichtung nun nicht willens oder nicht in der Lage war, die Anweisungen des Gesundheitsamtes umzusetzen, lässt sich daher nicht weiter beleuchten.
Möglicherweise war dem Amt auch der Hang zur Esoterik bei Almavita suspekt: Auf der Webseite der Unternehmensgruppe steht, man setze dort kolloidales Silberwasser zur Desinfektion ein.
Für den Ort und die Bewohner:innen der Einrichtung ist es jedenfalls noch nicht überstanden: Am Samstag mussten zwei der Evakuierten ins Heim zurück geschafft werden. Ein Nach-Test am Freitag hatte ergeben, dass auch sie infiziert sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“