Corona-Zahlen in Berlin: Für Resignation keine Zeit
Die Coronafallzahlen in Berlin explodieren. Jetzt muss jeder selbst mithelfen, die Pandemie einzudämmen. Ein Wochenkommentar.
Seit einer Woche ist die Hauptstadt offiziell Risikogebiet. Das überschattet nicht nur die Herbstferien, was gewiss zu verschmerzen ist. Es verursacht auch ein Unbehagen, das in gewisser Weise dem aus dem Frühjahr in nichts nachsteht. Ein Unbehagen, das befeuert wird durch Bilder und Nachrichten aus Neukölln, wo die Infektionszahlen höher liegen als überall sonst in Deutschland. Und wo die Verantwortlichen in Gesundheitsamt und Bezirksamt verzweifelt versuchen, „wieder vor die Lage zu kommen“ und gleichzeitig bezweifeln, dass das überhaupt noch möglich ist.
Die Labore schaffen es auch nicht mehr, Zehntausende von Coronatests zeitgerecht auszuwerten, die Kapazitäten sind nicht nur ausgeschöpft, sondern überschritten. Ist es diese Woche, von der wir später sagen werden, da ist die Lage gekippt?
Manches spricht dafür. Der Umstand zum Beispiel, dass die Fallzahlen, auf die wir alle schauen und die die Politik zum Handeln veranlassen – siehe Sperrstunde, Beherbergungsverbot, erweiterte Maskenpflicht –, im Grunde schon ein Hinterherlaufen hinter dem Infektionsgeschehen sind. Die Fallzahlen umfassen ja nur die, die bereits wissen, dass sie infiziert sind (und häufig quasi schon nicht mehr infektiös sind).
Das Dilemma der Politik: Ist die Lage bereits ernst, sind zwar Maßnahmen in der Bevölkerung durchsetzbar, aber kommen eigentlich zu spät, laufen den Entwicklungen hinterher. Setzt die Politik dagegen Maßnahmen vorausschauend ein, wird ihre Wirksamkeit zugleich unbeweisbar sein. Das macht sie so schwer durchsetzbar, so angreifbar für Kritiker*innen.
Drosten: „Aktiver Teilnahmemodus“
Zeit für Resignation bleibt dennoch nicht. Es ist nicht so, dass der aktuelle Umgang mit Infektionen – Fallermittlung und Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter – alleiniges Maß aller Dinge ist. Tatsächlich ist sie, das machten die stark betroffenen Bezirke in dieser Woche deutlich, nur bis zu einem gewissen Grad überhaupt umsetzbar. Danach bleibt der Bevölkerung nicht die Hilflosigkeit, sondern etwas, was der Charité-Virologe Christian Drosten „Umschalten in einen aktiven Teilnahmemodus“ nennt.
Man könnte auch sagen: Mehr Selbstverantwortung ist gefragt. Die ist schon jetzt erforderlich, wenn Testergebnisse erst Tage später kommen und das Gesundheitsamt mit dem Abtelefonieren der Kontakte nicht mehr hinterherkommt. Sie ist auch erforderlich vor dem Hintergrund, dass laut Gesundheitsämtern bei über der Hälfte der Infizierten keine Infektionsquelle mehr festgestellt werden kann. Man solle am besten selbst abends aufschreiben, wo man am Tag gewesen ist, hat Drosten als Ratschlag gegeben.
Und vielleicht ist es nach dieser Woche tatsächlich Zeit, nicht nur auf Maßnahmen der Politik zu warten, um diese dann im Zweifel bescheuert zu finden und sich als nicht obrigkeitshörig abzugrenzen – sondern sich selbst als aktives Teilchen des Infektionsgeschehens zu begreifen. Das ist eine Form von Aktivität, die auch dem Unbehagen etwas entgegensetzen kann.
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