Corona-Vorbereitungen in Norddeutschland: Luft nach oben
Hamburg zeigt sich mit Blick auf die zunehmende Zahl der Covid-19-Patient*innen entspannt. Andere Länder im Norden strukturieren ihre Kliniken um.
Die Öffentlichkeit wisse derzeit nicht, was der genaue Stand der Vorbereitungen und Kapazitäten in den einzelnen Häusern sei. „Auch wir Beschäftigte wissen zu wenig“, sagte Sophie Pieske, in der Krankenhausbewegung aktive Krankenpflegerin.
Bund und Länder haben am Dienstag mit einem Notfallplan beschlossen, die Anzahl von Intensivbetten zu verdoppeln. Auch das Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf arbeitet nach eigenen Angaben daran, die „intensivmedizinischen Ressourcen“ aufzustocken. Um welche Anzahl genau, bleibt aber genauso unklar, wie die zusätzlichen Kapazitäten in den Hamburger Asklepios-Kliniken. Auf Anfrage der taz teilt ein Asklepios-Sprecher lediglich mit, man habe die Möglichkeit, Beatmungskapazitäten auszubauen und weitere Intensivbetten bereitzustellen.
Aus der Gesundheitsbehörde heißt es, man sei „vielschichtig“ um Unterstützung für das Gesundheitswesen bemüht. Das betreffe die Gewinnung von Personal und die Beschaffung von Schutzkleidung und Geräten.
Zusätzliche Betten für Patient*innen mit leichterem Verlauf schafft Hamburg derzeit noch nicht. Der Notfallplan von Bund und Ländern sieht vor, dass Hotels, Hallen oder Reha-Einrichtungen dafür umgebaut werden. „Für derartige Maßnahmen sieht die Behörde aktuell entsprechend noch keine Veranlassung“, sagt ein Sprecher der Gesundheitsbehörde. „Bisher gibt es in Hamburg nur wenige stationäre krankenhausbehandlungsbedürftige Fälle.“
Schleswig-Holstein schafft Betten
Andere Nordländer sind schon weiter. Schleswig-Holstein verfolgt ein Maßnahmenpaket, das sich nach Angaben des Sozialministeriums an dem Plan von Bund und Ländern orientiert. „Das Konzept verfolgt den Ansatz einer Trennung der Patientenströme soweit wie möglich“, heißt es. Die Kliniken hätten sich in Versorgungsstrukturen organisiert, wonach bestimmte Häuser vorrangig Covid-19-Patient*innen versorgen sollen, andere wiederum die Grund- und Regelversorgung übernehmen.
Per Erlass wurden stationären Einrichtungen Vorsorge- und Reha-Maßnahmen sowie die Aufnahme neuer Patient*innen verboten. Die dadurch gewonnen Kapazitäten – das Ministerium spricht von 1.000 Betten in Rehakliniken – sollen im Bedarfsfall für die Aufnahme von Patient*innen dienen, die nicht an Covid-19 erkrankt sind, aber aus anderen Kliniken verlegt werden, um dort wiederum Kapazitäten für die Behandlung von Covid-19-Patient*innen zu schaffen. Außerdem würden weitere Betten geschaffen, beispielsweise einer kürzlich geschlossenen Klinik in Wedel.
Die Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein hat außerdem Pflegefachpersonen aufgerufen, sich für einen freiwilligen Einsatz registrieren zu lassen. Gesucht werden ausgebildete Pfleger*innen „die momentan nicht in diesem Beruf arbeiten, aber in der Krise helfen wollen.“ Es handle sich um eine Vorsichtsmaßnahme, erst mal würde noch kein Einsatz vermittelt, sondern nur Daten wie Qualifikation und Berufserfahrung gesammelt. „Wir kommen auf alle Freiwilligen zu, wenn es die Situation erfordert“, sagt die Präsidentin der Pflegeberufekammer, Patricia Drube.
Dem medizinischen Personal wird eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung einer hohen Belastung durch viele Patient*innen mit schwerem Verlauf zukommen. Die Menschen in den zusätzlichen Betten müssen versorgt, die neu hinzukommenden Beatmungsgeräte bedient werden.
Sophie Pieske, Hamburger Krankenhausbewegung
„Wenn wir die Entwicklungen der Vergangenheit angucken, wo Betten wegen Personalmangels gesperrt wurden, und wir das auf eine Krisensituation übertragen, dann erkennt man, dass das Personal der Flaschenhals bei der Bewältigung sein wird“, sagt Tino Schaft, Sprecher der Pflegekammer Niedersachsen.
Tatsächlich fehlten auch schon vor der Corona-Pandemie Intensivpflegekräfte. Betten mussten für die Versorgung gesperrt werden, wenn die Personaluntergrenzen unterschritten wurden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Grenzen, die die genaue Anzahl von Pflegekräften auf pflegeintensiven Stationen vorschreiben, schon Anfang März ausgesetzt.
Klar ist aber auch, dass nicht jede nun für Krisenzeiten akquirierte Person eine Intensivpflegekraft ersetzen kann. „Bis eine Pflegekraft auf einer Intensivstationen voll einsatzfähig ist, dauert es Monate bis Jahre“, sagt Ulrike Mewing, Vorstandsmitglied der niedersächsischen Pflegekammer.
Die Kammer prüfe derzeit, Crashkurse anzubieten für Pflegekräfte, die aushelfen könnten. „Das heißt nicht, dass Leute Intensivpatienten alleine versorgen sollen“, sagt sie. „Es geht nur darum, dass sie nicht vollkommen überfordert wären auf der Intensivstation, dass sie sich sicher fühlen und einschätzen können: Welcher Alarm ist wichtig? Wann muss ich handeln?“ Mewing glaubt aber, dass es konkrete Anreize braucht, damit Pflegekräfte, die den Beruf gewechselt haben, zurückkommen. „Ein Lächeln und ein Dankeschön reichen nicht“, sagt sie.
In Bremen sollen Infizierte im Krankenhaus arbeiten
Wie prekär die Personallage werden könnte, macht ein internes Schreiben der Spitze des Bremer Klinikverbunds Gesundheit Nord (Geno) an die Mitarbeiter*innen deutlich, über das der Weser Kurier berichtet. Demnach könnten Mitarbeiter*innen, die mit Corona infiziert sind, durchaus weiter arbeiten, wenn sie keine Symptome hätten. Das sei zwar nicht angestrebt, jedoch könnten im Verlauf der Pandemie Situationen entstehen, in denen jede helfende Hand gebraucht werde, sagte Geno-Sprecherin Karen Matiszick der Zeitung.
Um zusätzliches Personal einsetzen zu können, hat die Geno nach eigenen Angaben Verwaltungsmitarbeiter*innen mit entsprechender Qualifikation gebeten, sich zu melden. Lehrkräfte aus den Aus- und Weiterbildungsschulen seien auch bereit, im Bedarfsfall in den Kliniken mitzuarbeiten.
Wegen des ohnehin schon herrschenden Personalmangels sei es nötig, konsequent auf planbare Operationen zu verzichten, sagte Sophie Pieske von der Hamburger Krankenhausbewegung am Dienstag. Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU) hatte das schon vor einer Woche von den Geschäftsführer*innen der Kliniken gefordert, um Kapazitäten für Covid-19-Patient*innen bereitzuhalten.
Spahn versprach, dass die dadurch entstehenden wirtschaftlichen Folgen für die Krankenhäuser ausgeglichen würden. Außerdem sollten die Kliniken Boni für jedes zusätzlich vorgehaltene Intensivbett bekommen. Die Frage, wie hoch diese Zahlungen genau seien und wann die Kliniken damit rechnen könnten, ließ sein Ministerium bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Trotz dieser bleibenden Unsicherheit hat Niedersachsen am Mittwoch eine Verordnung angekündigt, wonach die Krankenhäuser planbare Eingriffe verschieben müssen. Ein entsprechender Erlass gilt bereits in Schleswig-Holstein. Die Bremer Gesundheitsbehörde hat mit den Krankenhäusern vereinbart, zu prüfen, inwieweit Absagen von Eingriffen Betten-, Material- und Personalkapazitäten schaffen kann. Die Geno verschiebt nach eigenen Angaben bereits nicht dringende Operationen.
Aus der Hamburger Gesundheitsbehörde heißt es, man habe den Kliniken „empfohlen“, auf planbare Eingriffe zu verzichten. Noch am Dienstag berichtete Sophie Pieske von der Krankenhausbewegung: „Wir erleben, dass trotz des Appells elektive OPs fast unvermindert weiter gehen.“ Das deckt sich mit Medienberichten, in denen Mitarbeiter*innen aus Hamburger Kliniken schildern, dass weiter operiert wird.
Deniz Celik, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion, forderte deshalb, dass Hamburg aufschiebbare Eingriffe und Behandlungen in den Hamburger Krankenhäusern verbietet. Auch in den Häusern, die nicht an der Notfallversorgung teilnehmen, müssten in der aktuellen Situation Kapazitäten bereit stehen.
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