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Corona-Tests an SymptomlosenDas große Test-Theater

Seit dieser Woche bezahlen die Krankenkassen die Corona-Abstriche bei allen. Doch was das für Bremen heißt, ist unklar.

Tritratrullala, Coronatest ist wieder da. Foto: Slavomír Kube/CTK/dpa

BREMEN taz | Coronatests an Symptomlosen werden seit Dienstag von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt – rückwirkend bis zum 14. Mai. Zuvor wurden die Kosten nur übernommen, wenn ein begründeter Verdacht bestand, dass jemand tatsächlich krank ist.

Was das für Bremen bedeutet, war am gestrigen Mittwoch noch offen. Der Sprecher der Bremer Gesundheitssenatorin kündigte an, dass im Laufe der nächsten zwei Wochen eine Teststrategie veröffentlicht werden solle, die noch in Abstimmung sei.

Bisher hatte Bremen die Kosten übernommen, wenn das Gesundheitsamt bei Corona-Ausbrüchen in Heimen und Kliniken Untersuchungen von symptomlosen Kontaktpersonen Infizierter angeordnet hatte – diese Kosten bekommt die Stadtgemeinde jetzt offenbar erstattet.

Unklar ist hingegen der Umgang mit Tests, die nur „empfohlen“, nicht aber angeordnet werden. Das betrifft vor allem Quarantänefälle in Schulen.

Wer testet Schüler*innen?

Seit vier Wochen steht auf der Homepage der Bildungssenatorin: „Alle Schüler*innen der betroffenen Klassengruppe, die bis zwei Tage vor Symptombeginn in der Gruppe zusammen waren, gelten als Kontakte mit erhöhtem Infektionsrisiko und müssen ab sofort für 14 Tage in häusliche Isolierung.“ Und weiter: „Sie sollten um den siebten Tag nach Kontakt einen Test durchführen lassen über den Hausarzt/ den Kinderarzt.“

Doch die niedergelassenen Ärzt*innen mussten bisher den Eltern sagen, dass sie ohne Symp­tome die Kosten in Höhe von 150 Euro für die Tests selbst tragen müssen. Denn das Gesundheitsamt hatte klargestellt, es handle sich nur um „eine Empfehlung“ und keine „behördliche Weisung“.

Das hatte die Amtsleitung auf Nachfrage dem Hausärzteverband mitgeteilt, der die Antwort auf seine Homepage gestellt hat. „Die Testung am siebten Tag ist somit eine Option, dies in Würdigung des zunehmenden politischen / öffentlichen Drucks hin zu ‚mehr Testungen‘. Es bleibt Ihnen somit unbenommen, selbst über eine Testung zu entscheiden.“

Hans-Michael Mühlenfeld, der Vorsitzende des Verbands, in dem rund 300 von 400 Bremer Hausärzt*innen Mitglied sind, ärgert sich über diese Verlagerung der Verantwortung auf die Ärzt*innen. „Das ist eine unmögliche Situation“, sagt er. So müssten er und seine Kolleg*innen den Leuten entweder eine Rechnung stellen – oder so lange nachfragen, ob nicht jemand doch ein bisschen Halskratzen habe, bis dieser mit „ja“ antwortete – dann gilt die Person als Verdachtsfall und die Kasse zahlt.

Eltern sind verängstigt

Dasselbe sagt Torsten Spranger, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte im Land Bremen. „Eltern werden derzeit unnötig hin und her geschickt und sind teils verängstigt.“

Für Eltern besonders abschreckend sei es, wenn sie hören, dass sie den Abstrich nicht beim Kinderarzt oder der Kinderärztin durchführen lassen können, sondern in eine der Corona-Ambulanzen gehen müssen, sagt Spranger. Denn in diesen Ambulanzen melden sich überproportional viele tatsächlich Infizierte. Daher würden wohl die meisten Kolleg*innen die Kinder selbst testen.

Seit dieser Woche, so hat es der Bundesgesundheitsminister am Dienstag verkündet, sollen also Kinder- und Hausärzt*innen bei Symptomlosen ganz regulär einen Abstrich auf Kassenkosten machen können. Doch das gilt bisher nur in der Theorie. In der Praxis seien die Ärzt*innen nach wie vor an die Richtlinien gebunden, nach denen nur begründete Verdachtsfälle getestet werden sollen, sagt Torsten Spranger, Sprecher der Bremer Kinderärzte.*

Derzeit nur „Empfehlungen“ vom Gesundheitsamt

Für Verwirrung sorgt zudem, dass noch offen ist, in welchen Fällen die niedergelassenen Ärzt*innen an die beiden zentralen Anlaufstellen für Coronatests überweisen sollen, die genau gleich heißen, aber unterschiedliche Zielgruppen haben.

In der seit März von der städtischen Krankenhausgesellschaft Geno betriebenen „Corona-Ambulanz“ in den Messehallen sollen Tests durchgeführt werden, „die durch das Gesundheitsamt veranlasst werden (Schulen, Kitas, Betriebe etc.)“, schreibt der Sprecher der Gesundheitssenatorin der taz. Wobei es ja derzeit keine durch das Gesundheitsamt veranlassten Tests von Schüler*innen gibt – lediglich eine Empfehlung.

Seit zehn Tagen und damit drei Monate nach Beginn der gefährlichsten Phase der Pandemie gibt es in der Vahr eine zweite „Corona-Ambulanz“, betrieben von der kassenärztlichen Vereinigung. Diese soll der Entlastung der niedergelassenen Ärzt*innen dienen, die dorthin überweisen können, wenn sie entweder durch eine Untersuchung oder einen telefonischen Kontakt einen Hinweis auf eine Infektion haben.

Lücke im System

Sie war bisher ausschließlich zuständig für den Test von Menschen mit Symptomen – aber auch nur für den Test. Das Ergebnis teilt diese Corona-Ambulanz wiederum den überweisenden Ärzt*innen mit, die auch für die weitere Behandlung zuständig sind.

Der Hausärzteverband ist über diese Lösung nicht glücklich. „Die Verantwortung für den Patienten ist nicht geregelt“, fürchtet deren Vorsitzender Hans-Michael Mühlenfeld, „da bleiben Lücken im System“. Zum einen würden dort Patient*innen vorstellig, ohne dass die Ambulanz diese erwartet habe, etwa weil ein Fax verloren gegangen sei.

Zum anderen würde eine besonders gefährdete Gruppe nicht versorgt werden können: diejenigen, die bereits zu krank sind, um in die Ambulanz oder zum Arzt zu fahren, aber auch noch nicht krankenhausreif. „Gerade die müssen wir besonders im Blick haben und den Test dann eben bei einem Hausbesuch machen.“

Nun gibt es eine dritte Struktur, die einen Teil dieser Patient*innen auffängt. Der Hausärzteverband hat bereits Ende März die so genannten gemeinsamen Infekt-Untersuchungs-Stellen (Gius) aufgebaut, derzeit gibt es davon laut Mühlenfeld fünf – in regulären Arztpraxen, die dafür eigene Sprechzeiten eingerichtet haben.

Diese wurden in einer Zeit gegründet, in der es so gut wie keine Schutzausrüstung gab und Ärzt*innen ohne einfache Gesichtsmasken untersuchen mussten. 50 Praxen – von 400 – haben sich hier zusammengeschlossen, sie schicken ihre Patient*innen dorthin zur Untersuchung beziehungsweise zum Abstrich, wenn sie ihn nicht selbst machen können oder wollen. Auch Hausbesuche sollen diese Gius machen, sagt Mühlenfeld. Wie sonst auch jeder Arzt und jede Ärztin. „Das ist unsere Verantwortung“, sagt er.

* Dieser Satz wurde nach Redaktionsschluss der gedruckten Ausgabe hinzugefügt.

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