piwik no script img

Corona-Streit zwischen Bund und LändernMerkels Machtwort

Der Dissens ist nicht länger zu kaschieren. Immer mehr MinisterpräsidentInnen wollen weiter lockern und setzen sich vom Corona-Kurs der Kanzlerin ab.

Propagiert einen „Paradigmenwechsel“ ab Juni: Sachsens Sozialministerin Petra Köpping Foto: Robert Michael/dpa

BERLIN taz | Nach zuletzt nur noch mäßig aufrechterhaltener Geschlossenheit bei den Maßnahmen gegen die Coronapandemie sind die Absetzbewegungen der Länder gegenüber dem Bund nicht länger zu ignorieren. Am Montag ist bekannt geworden, dass die Sitzung des sogenannten Corona-Kabinetts vertagt werden musste. Der Grund: erheblicher Gesprächsbedarf. Die in Vorbereitung auf das Treffen von Kanzleramtschef Helge Braun ausgearbeitete Beschlussvorlage für die Runde der Staatskanzleichefs der Länder war durch das Vorpreschen einzelner Landesregierungen bereits vor Beginn überholt.

Kurz zuvor hatte Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) erklärt, ihre CDU-geführte Regierung plane einen „Paradigmenwechsel“ ab 6. Juni. Bis zum Tag davor gelten die bisherigen Allgemeinverfügungen. In etwa dasselbe hatte Thüringens Ministerpräsident bereits am Wochenende gesagt. Sein rot-rot-grünes Kabinett wird sich an diesem Dienstag zum Thema Coronabeschränkungen besprechen müssen.

In der Regierungspressekonferenz am Montagmittag versuchte Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert zunächst einmal, die Angelegenheit herunterzuspielen. Die zu besprechenden Themen seien einfach noch nicht „entscheidungsreif“ und seien deshalb nun für die reguläre Kabinettssitzung an diesem Mittwoch vorgesehen. Und nein, die Thüringer Volte habe mit der Absage nichts zu tun. Ob und wann es nach Pfingsten ein weiteres Treffen der Kanzlerin mit den RegierungschefInnen der Länder geben werde, ließ er offen.

Doch der Hinweis auf die zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewordene Beschlussvorlage des Kanzleramts offenbarte die Brisanz des Vorgangs. Danach soll der Mindestabstand von anderthalb Metern weiter eingehalten werden müssen. „Diese Maßnahme wird ergänzt durch eine Maskenpflicht in bestimmten öffentlichen Bereichen“, heißt es weiter. Und: „Angesichts der niedrigen Infektionszahlen soll der Aufenthalt im öffentlichen Raum jedoch ab dem 6. Juni nur noch dort durch verbindliche An­ordnung beschränkt werden, wo die re­gionale Dynamik im In­fektionsgeschehen dies erfordert.“

Corona-Machtwort von ungewohnter Klarheit

Merkels Sprecher stellte klar: „Die Kanzlerin ist dafür, dass es zu den zentralen Verhaltensregeln auch weiterhin verbindliche Anordnungen geben soll – und nicht bloß Gebote. Also Allgemeinverfügungen, in denen das Einhalten des Mindestabstands, der Kontakteinschränkungen, der Hygieneregeln durchsetzbar geregelt ist.“ Ein Corona-Machtwort von ungewohnter Klarheit. „Sowohl mutig als auch wachsam sein“ – das sei die Richtschnur des Handelns, unterstreicht der Regierungssprecher.

Schon vor knapp dreieinhalb Wochen hatte sich die Kanzlerin bei Themen wie Gastronomie und Fußball den MinisterpräsidentInnen geschlagen geben müssen. Seinerzeit konnte sie dies noch als Entscheidung zugunsten des Föderalismus und als Vertrauensbeweis in verantwortliches Handeln der Länder verkaufen. Wenn allerdings, wie jetzt geschehen, Ministerpräsidenten knapp vor dem Treffen mit der Regierungschefin einseitig anders lautende Entscheidungen in Aussicht stellen, ist der Dissens nicht länger zu kaschieren. Am Mittwoch dieser Woche werden sich nun die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder unterhalten.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprang am Nachmittag der Kanzlerin zur Seite und erinnerte die Ministerpräsidenten an ihre Verantwortung. „Es darf in keinem Fall der Eindruck entstehen, die Pandemie wäre schon vorbei.“ Derzeit gebe es bundesweit große Unterschiede im Infektionsgeschehen. „Wo es zu regionalen Ausbrüchen kommt, sehen wir eine schnelle Virusverbreitung.

Die Bundesländer sind verantwortlich, dort sofort einzugreifen.“ Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) mahnte in der Rheinischen Post: „Die niedrigen Infektionszahlen und das insgesamt günstige Infektionsgeschehen sind Ergebnis unseres bisherigen erfolgreichen Kurses und dürfen nicht gefährdet werden.“ Und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) rief Bund und Länder zur Beibehaltung gemeinsamer Coronaregeln auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Die sollen lieber die Schulen und Kitas so weit wie irgend möglich wieder öffnen, um Eltern zu entlasten, anstatt allgemeine Lockerungen in Aussicht zu stellen! Das ist viel dringender.

    Was passiert denn, wenn die jetzt angedachten Lockerungen zu einem Wiederaufflammen der Pandemie führen? Dann müssen Familien durch die anschließende Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen noch viel länger leiden.

  • Ich verstehe die Aufregung nicht. Es ist doch schon vor Wochen festgestellt worden, dass bei uns den Föderalismus gibt (bewußt und gewollt).



    Also gibt es lokale Unterschiede und entsprechend unterschiedliche Entscheidungen.



    Der Bund hat da nichts zu sagen! Das erleben wir seit Jahren in der Schulpolitik, doch jetzt stört uns das.

    Scheinbar haben viele doch gern immer den einen Bestimmer!

  • Nur jemand der Macht hat kann auch ein ein Machtwort erteilen. Für den Infektionsschutz sind ausschließlich die Länder zuständig. Frau Merkel kann in dieser Frage allenfalls moderieren.

  • Ramelow ist der neue Laschet und der neue Lindner. Wozu auch immer... Wetten, dass Laschet zeitgleich mitzieht? Für Experimente ist Laschets Ego immer zu haben, auch wenn es auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung geht. So was kann sich Laschet nicht bieten lassen. Da ist einer schneller mit Lockerungen als Laschet, das geht garnicht!

  • Merkel sagte in ihrem letzten Podcast zum Grundgesetz, dass es nicht in Gefahr ist. Insbesondere weist sie auf den ersten Artikel hin, die Würde des Menschen sei unantastbar und dies wäre mit den Maßnahmen sichergestellt worden.



    Viele Argumente hab ich Merkel aus ihrer Sicht abkaufen können, auch wenn ich anderer Meinung war. Nun aber die Maßnahmen als Menschenwürdig zu bezeichnen ist blanker Hohn.



    Wo bleibt die Würde der Kinder, die über Wochen aus dem öffentlichen Leben verbannt wurden und nirgendwo mehr erlaubt waren?



    Wo bleibt die Würde der entmündigten Senioren, die sich auf Nachbarschaftshilfe einzulassen haben, ob sie wollen oder nicht. Die Würde der Senioren, die in Altenheimen in ihren Zimmern ohne Besuch und Kontakte eingesperrt sind? Was ist mit der Würde der Sterbenden? Die alleine sterben mussten, ohne Begleitung. Die Seelsorger in der sensibelsten Zeit ihres Lebens nur maskiert sehen durften. Hat Merkel wohl mal mit einem Seelsorger gesprochen und ihn gefragt, wie die Sterbebegleitung so lief in den letzten Wochen?



    Wo ist die Würde der trauernden Wittwe am Grab, die nicht einmal von ihren Kindern in den Arm genommen werden durfte?



    Und die Würde der tausenden Patienten, die auf medizinische Behandlung verzichten müssen? Die Würde derer, die ihrem Vermieter gegenüber treten mussten und sich dort bloßstellen ob ihrer Zahlungsunfähigkeit.



    Die Würde der Straßenkinder, die auf Betreuung von Streetworkern verzichten mussten?



    Die der Gebärenden, die trotz der schlimmen Lage und Unterversorgung in der Geburtshilfe nun auch noch auf die Begleitung durch einen Vertrauten verzichten müssen.

    Es mag viel als eventuelles Ziel akzeptiert werden. Aber dass sie davon spricht, die Würde erhalten zu haben ist wohl das frechste, was sie derzeit hätte sagen können.

  • Zitat: "Schon vor knapp dreieinhalb Wochen hatte sich die Kanzlerin bei Themen wie Gastronomie und Fußball den MinisterpräsidentInnen geschlagen geben müssen. "

    Dreieinhalb Wochen später wissen wir auch, wer richtig lag. Wenn man die Zahlen beobachtet, kann man leicht erkennen, dass sie weiter zurückgegangen sind, entgegen den Warnungen von Lauterbach und Co. Wir können den Ministerpräsidenten dankbar sein, dass sie den Pfad der Übervorsichtigkeit verlassen haben - denn wir sehen, dass Lockerungen möglich sind, ohne dass die Zahlen wieder ansteigen.

    • @Dr. McSchreck:

      Genau, das sehen wir JETZT.

      Ich bin - wie viele andere vermutlich auch auch erstaunt, darüber, dass die Zahlen gegen die Öffnungen so resistent sind.

      Ich finde "Dankbarkeit" aber nicht angemessen, denn gerade Laschet (und Co) machen das aus politischen Eigeninteresse wegen Wahlen und nicht aus höherer Einsicht.



      Die (und wir) haben bisher einfach Glück gehabt.

      • @Sonntagssegler:

        ich finde nicht, dass wir Glück hatten. Die Zahlen gingen seit Ende März zurück, wie man bei deren kontinuierlicher Beobachtung erkennen konnte. Dazu hat die Heinsberg-Studie Indizien geliefert, wo die Ansteckungsgefahr höher ist und wo gering.



        Auf Grundlage dieser Fakten war es wichtig und richtig, die weniger gefährlichen Orte zu öffnen - und so geht es ja auch weiter.



        Wenn Laschet daraus politisch Profit schlägt (den ich gar nicht mochte), soll mir das Recht sein, bei Lindner erst Recht. Sie hätten ja auch umgekehrt den Nachteil gehabt, wenn sie unrecht gehabt hätten.

        In meinen alten Beiträgen habe ich genau diese Position auch schon vertreten, vielleicht hatte ich auch "Glück" - ich meine aber, dass ich einfach Zahlen lesen kann.

  • Und schon wieder eine Politikerin, die, wie z.B auch die Berliner Gesundheitssenatorin Kalayci, vor einiger Zeit Armin Laschet - der nur den Mund bedeckte und mögliches Virus unbekümmert über die Nase in die Luft blies - und viele andere noch immer nicht begriffen hat, wie man eine Maske richtig trägt: Falten nach unten, damit sich keine Taschen bilden, in denen sich alles Mögliche ansammeln kann. Sitz auf der Nasenwurzel, nicht auf der Nasenspitze, Gummi adjustieren, damit seitlich keine Lücken klaffen und die Maske z.B. beim Sprechen nicht ständig verrutscht, so dass sie angefasst und wieder in Position gebracht werden muss.

    Mich nerven die Masken auch, aber wenn ich sie schon tragen muss informiere ich mich, wie man das richtig macht und halte mich auch daran.



    Da werden von der Politik strafbewehrte Massnahmen verfügt, deren Sinn sie selbst nicht verstanden zu haben scheinen. Sie können die Masken getrost weglassen, wie Trump und Bolsonaro und etliche Verschwörungmythen verbreitende Idioten das schon immer tun, denn so macht das Tragen keinerlei Sinn und dient nur der Optik.