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Corona-Quarantäne für Hauptstädter*innenLandesregierung sperrt Habeck aus

Schleswig-Holstein schickt Gäste aus Berlin und Berlin-Pendler*innen in Quarantäne. Grünen-Chef Robert Habeck bleibt deshalb seiner Heimat fern.

Schnell mal an den Strand? In Schleswig-Holstein nicht mehr alle aus Berlin möglich Foto: Bodo Marks/dpa

Hamburg taz | Jeder macht es anders. Seit in Berlin vier Bezirke die kritische Schwelle von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner*innen überschritten haben, muss bei der Einreise in Schleswig-Holstein jeder, der in diesen Berliner Bezirken wohnt oder arbeitet, erst einmal 14 Tage in Quarantäne. Die lässt sich nur auf mindestens fünf Tage verkürzen, wenn in dieser Zeit zwei negative Corona-Tests absolviert werden. „Es gibt aber kein Einreiseverbot nach Schleswig-Holstein für Personen aus Risikogebieten“, sagt Eugen Witte, Sprecher des Kieler Gesundheitsministeriums. Doch faktisch ist mit der Quarantäne-Regelung für viele Berliner*innen der Sylt- oder Ostsee-Urlaub passé.

Nicht ganz so weit geht Hamburg: Hier gibt es nur die Regelung, dass Touristen bei ihrer Ankunft in Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen oder auf Campingplätzen schriftlich bestätigen müssen, dass sie sich in den vergangenen 14 Tagen nicht in einem der Hotspot-Bezirke aufgehalten haben.

In Mecklenburg-Vorpommern gelten solche Einschränkungen nicht. Das Bundesland splittet Berlin nicht nach Bezirken auf. Und berlinweit liegt die Fallzahl bei gut 40 Infektionen je 100.000 Einwohner*innen pro Woche. Und auch Niedersachsen lässt wie Bremen – das selber kurz vor der 50er-Schwelle steht – alle Berliner*innen ins Land. Denn Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) hält die schleswig-holsteinische Quarantäne-Pflicht schlicht für „überzogen“ und auch Übernachtungsverbote wie in Hamburg für „nicht kontrollier- und umsetzbar“. Als „weder verhältnismäßig noch realistisch“ kritisiert auch der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit jede Reisebeschränkung innerhalb Deutschlands.

Besonders die strengen schleswig-holsteinischen Quarantäne-Regelungen, die auch für die Einwohner*innen anderer Corona-Hotspots wie Hamm und Remscheid gelten, lösen überparteiliche Kritik aus. „Ein Flickenteppich in Deutschland trägt nur zur Verwirrung bei und wird auch das Infektionsgeschehen kaum eindämmen“, klagte der Hamburger CDU-Landesvorsitzende Christoph Ploß im Gespräch mit dem Spiegel. Und auch Schleswig-Holsteins SPD-Fraktionschef Ralf Stegner „hält gar nichts“ von den „Alleingängen“ und der „Kleinstaaterei“ des Kieler Corona-Managements.

Fauxpas der Kieler Behörden

Dass dieses aus der Zeit des Zollvereins stammt, legt auch ein Fauxpas der Kieler Behörden nahe, die mit „Tempelhof“ und „Friedrichshain“ zwei Bezirke auf die Hotspot-Liste setzten, die es so seit fast 20 Jahren nicht mehr gibt. Nach zwei Bezirksfusionen gingen sie 2001 in den Neubezirken Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg auf.

Doch der Fehler bei der Bezirksbenennung ist nicht das größte Problem des Kieler Gesundheitsminsteriums. Es muss sich nicht nur von den niedersächsischen Nachbarn vorwerfen lassen, dass die Quarantäne-Verordnung nicht kontrollierbar ist, sondern darüber hinaus noch zahlreiche Ausnahmen kommunizieren, die für noch mehr Unklarheit und Kontrollbedarf sorgen. So gilt die Einreisereglung nicht für Lastwagen-und Zugmaschinen-Fahrer*innen, um, so Ministeriumssprecher Witte, „den Wirtschaftsverkehr nicht abzuwürgen“.

Extrawurst für viele Politiker*innen

Und auch viele Politiker*innen bekommen eine Extrawurst. Ausnahmen von den Quarantäne-Regeln gibt es etwa für Abgeordnete aus Brüssel, Berlin und Kiel sowie für Vertreter*innen der Landesregierung und deren Landesvertretung in Berlin. Die 26 Abgeordneten etwa, die das nördlichste Bundesland in den Bundestag schickt und die in der Regel jede Woche zwischen Wahlkreis und Berlin pendeln, dürfen das weiter tun.

Zur „Aufrechterhaltung der Staatsfunktion“ sind, so Witte, „alle Mitglieder der Bundesregierung und alle Abgeordneten des Bundestages“ von Quarantäne und Testpflicht befreit. Für Kubicki und Co gibt es also keine Grenze.

Robert Habeck ist verzichtbar

Das allerdings gilt nicht für Robert Habeck, der mit seiner Frau in der Nähe von Flensburg lebt und in der Bundesparteizentrale der Grünen im Corona-Hotspot-Bezirk Berlin-Mitte arbeitet. Da Habeck „nur“ Parteichef der Grünen ist, nicht aber im Parlament oder in der Regierung sitzt, ist er bei der „Aufrechterhaltung der Staatsfunktion“ verzichtbar. Die Folge: Der Grünen-Politiker hat sich erst mal jeden Heimaturlaub gestrichen, um nicht in Quarantäne zu müssen.

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3 Kommentare

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  • Hmm, das RKI definiert Risikogebiet nach klaren Kriterien. Warum ist ein solcherat definiertes außer-Deutsches Risikogebiet anders zu behandeln als ein entsprechendes inner-Deutsches?



    Oder umgekehrt?



    Risikogebiet ist Risikogebiet ob innerhalb des Zauns oder außerhalb des Zauns. Das Virus kennt keine Grenzen.

  • Wenn wir nicht alle dauernd irgendwohin müssten, um irgendwas für den Fortbestand des Kapitalismus(ses?) zu tun, also arbeiten, konsumieren, kurz erholen, ersatzbefriedigen, arbeiten, konsu..., dann könnten wir das Karussell eventuell etwas langsamer laufen lassen.

  • Andere finden es eben unangenehm, an ihre eigene Larifari-Einstellung beim Umgang mit der Pandemie erinnert zu werden. Sobald mal jemand ernst macht, jaulen alle auf, denn das reißt einen ja aus der so angenehmen gemeinsamen Verleugnung. Es bräuchte viel mehr solche Beispiele.

    Sich bei der Kritk an den Namen von Berliner Bezirken aufzuhängen, ist kindisch. Das geht ja am Kern der Sache vorbei. *Im Prinzip* hat Schleswig-Holstein nämlich nicht ganz unrecht. Ich wünschte, man würde überall bei der Pandemiebekämpfung ernst machen, und z.B. einsehen und eingestehen, daß Präsenzunterricht an Schulen momentan ebenfalls unverantwortlich ist.