Corona-Infektionen in Peking: Stadtteil abgeriegelt
Steht Chinas Hauptstadt vor einer zweiten Infektionswelle? Die nächsten Tage entscheiden, ob die Neuinfektionen lokal eingedämmt werden können.
Was der Gastronom mit „streng“ meint, lässt sich nur einen Steinwurf entfernt beim Jingkelong-Supermarkt beobachten: Mehrere Mitarbeiterinnen in roten Westen ermahnen die Kundschaft vorm Eingang mit einem Megafon, ihre Gesichtsmasken aufzuziehen und einen QR-Code zu scannen. Und selbst in den Wohnsiedlungen der Stadt achten die Wachmänner der Nachbarschaftskomitees wieder penibel darauf, niemanden Einlass zu gewähren, der nicht seine Handynummer und Ausweisdaten niederschreibt.
Fast zwei Monate lang blieb Peking ohne Neuinfektion. Nun jedoch haben die Gesundheitsbehörden der 21-Millionen-Einwohner-Metropole allein in den letzten zwei Tagen 46 Covid-19-Fälle bestätigt. Was in vielen Ländern weltweit wohl ein Erfolg wäre, löst in der Volksrepublik China die Angst vor einer zweiten Coronavirus-Welle aus.
Ein Rückblick: Der neue Infektionsstrang geht auf den Xinfadi-Markt im südwestlichen Fengtai-Bezirk zurück; den größten Umschlagplatz für Landwirtschaftsprodukte in ganz Asien, der auf einer Fläche von 157 Fußballfeldern jeden Tag bis zu 80 Prozent des Nahrungsbedarfs Pekings deckt. Seit am Donnerstag und Freitag mindestens zwei von drei Infizierten nachweislich den Markt besucht hatten, wurde dieser in der Nacht auf Samstag geschlossen. Auf sozialen Medien sind Videos zu sehen, auf denen mehrere Hundert Polizisten in dem Viertel ausschwärmen, um die anliegenden Wohnsiedlungen abzusperren.
Die Behörden haben Tausende Proben ausgewertet und bereits am Samstag 40 Spuren des Virus gefunden, darunter auch auf einem Schneidebrett, das zum Filetieren importierten Lachses verwendet wurde. Wenige Stunden später nahmen mehrere große Supermarktketten sämtliche Lachsprodukte aus ihrem Sortiment. Gleichzeitig werden die Inspektionen der Märkte erhöht, der für Montag geplante Unterrichtsbeginn Pekinger Grundschulen erneut auf unbestimmte Zeit verschoben und der Wiederbetrieb von Fernbussen ebenfalls storniert. Zudem sollen rund 10.000 Mitarbeiter des Xinfadi-Marktes getestet werden sowie jeder Kunde, der den Markt in den letzten zwei Wochen besucht hat.
Angst vor einem zweiten Lockdown
Die drastischen Maßnahmen belegen, wie riesig die Fallhöhe für ein Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern und einem gleichzeitig nur rudimentär entwickeltem Gesundheitssystem ist: Die Behörden hatten zwar nach einem radikalen Lockdown im Februar das Virus weitgehend unterdrückt, jedoch auch den größten Wirtschaftseinbruch in einem ersten Jahresquartal seit über 30 Jahren herbeigeführt. Während sich die Industrieproduktion nun mittlerweile wieder normalisiert hat, kämpft die Regierung vor allem mit Investitionspaketen darum, den Arbeitsmarkt im Niedriglohnsektor für die Millionen Arbeitsmigranten aus den Provinzen zu stabilisieren. Ein zweiter Lockdown hätte zweifelsohne katastrophale Folgen für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Für solche Szenarien sei es „noch zu früh“, der Ausbruch sei schließlich „nur auf einen Stadtteil Pekings beschränkt“, sagt Jörg Wuttke, Leiter der europäischen Handelskammer in Peking. Die neuen Infektionen bezeichnet der Wirtschaftslobbyist als „zu erwarten“.
Ähnlich lautet auch der Tenor der chinesischen Staatsmedien, die zwar zur Wachsamkeit mahnen, aber Panik für unbegründet halten. Die parteitreue Global Times verweist etwa auf Südkorea, das bereits Erfahrungen mit einem erneuten Aufflammen des Virus gemacht habe und die erhöhten Infektionszahlen auch wieder unter Kontrolle bringen konnte. Auf der privaten News-Plattform Toutiao Xinwen war hingegen Besorgniserregendes zu lesen: dass nämlich einer der Infizierten bereits am 4. Juni über Symptome klagte. Wie lange also die Viren möglicherweise unentdeckt wüteten, ist noch unklar.
Ebenso, ob es sich um eine Mutation des Virus handelt: Zuletzt beschrieben chinesische Ärzte, dass Infizierte in den nordöstlichen Provinzen entlang der Grenze zu Russland den Erreger wohl länger in sich tragen als bisher dokumentiert. Zudem würde die Zeit, bis sie erste Symptome zeigen, länger andauern.
Ein anekdotischer Überblick belegt die gestiegene Angst in China: Angestellte von Unternehmen in Peking haben bereits die Anweisung bekommen, ihre Geschäftsreisen in die Provinzen zu stornieren. Selbst im benachbarten Tianjin werden Pekinger Geschäftsleute derzeit aus Hotels geschmissen – schlicht aus Angst, dass sie infiziert seien. Auch in der Provinz Yunnan – 3.000 Kilometer von Peking entfernt – werden Reisende aus Peking bereits von der lokalen Gesundheitsbehörde dazu aufgefordert, sich auf das Virus testen zu lassen. „Jetzt kann ich verstehen, wie sich damals die Leute aus Wuhan gefühlt haben müssen“, meint eine Bekannte.
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