Corona-Hilfen für Krisenländer: EU-Milliarden aus dem Hut gezaubert
Mit ihrem 500-Milliarden-Euro-Plan haben Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron die Blockade in der EU beendet. Doch eine Einigung fehlt.
Ist das nun der Plan für den Wiederaufbau der EU nach Corona? Oder kommt da noch mehr? Selbst der Chefsprecher von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen tat sich am Dienstag in Brüssel schwer, den Vorstoß von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron einzuordnen. Auch das Europaparlament hat noch Fragen – und einige EU-Länder gehen bereits auf Distanz.
Merkel und Macron hatten am Montag überraschend einen gemeinsamen Plan aus dem Hut gezaubert, der den wochen-langen politischen Lockdown beenden soll. Unter dem sperrigen Titel „Einrichtung eines ehrgeizigen Fonds zur wirtschaftlichen Erholung auf EU-Ebene für Solidarität und Wachstum“ fordern sie, 500 Milliarden Euro für den Wiederaufbau nach der Coronakrise bereitzustellen.
Das Geld soll mithilfe von Anleihekäufen auf dem Finanzmarkt eingesammelt werden – und zwar „im Namen der EU“. Das ist ein Tabubruch für Merkel, die EU-Schulden bisher strikt abgelehnt hatte. Für Überraschung sorgt auch die Ankündigung, die EU-Hilfen sollten als Zuschüsse an krisengeschüttelte Länder verteilt werden – und nicht als rückzahlbare Kredite. Auch das war umstritten.
Merkel hat offenbar einige Zugeständnisse gemacht, doch auch Macron musste Kröten schlucken. So wird es keine „Coronabonds“ geben. Die EU-Staaten haften nicht gesamtschuldnerisch, sondern nur für die (begrenzten) Garantien, die sie dem EU-Budget zur Verfügung stellen sollen. Zudem wird die Auszahlung der Hilfen an Reformen gebunden. Es gehe um „Resilienz, Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit“, heißt es in dem Papier.
Nicht das letzte Wort
All dies gehe in die richtige Richtung, erklärte die EU-Kommission. Von der Leyen sei vorab in die Pläne von Merkel und Macron eingeweiht gewesen und werde sie bei der Vorstellung ihres eigenen Entwurfs am 27. Mai berücksichtigen. Allerdings werde es kein „Copy and Paste“ geben, betonte Chefsprecher Eric Mamer. Der deutsch-französische Plan sei nicht das letzte Wort.
Aus Brüsseler Sicht ist er nur der erste Aufschlag, um die bedrohlich festgefahrenen Fronten zu lockern. Seit dem gescheiterten Budgetgipfel im Februar und einem verunglückten Videogipfel im April herrschte eisiges Schweigen in der EU. Merkel hatte sich auf die Seite der Nordeuropäer geschlagen, die für strikte Budgetdisziplin plädieren und EU-Schulden ablehnen. Macron hingegen hatte, gemeinsam mit Italien, Spanien und sechs weiteren EU-Ländern, einen schuldenfinanzierten „Recovery Fund“ gefordert. Um die Blockade zu lösen, haben die Staats- und Regierungschefs schließlich die Kommission beauftragt, einen für alle akzeptablen Vorschlag auszuarbeiten. Doch auch von der Leyen tat sich schwer. Sie musste ihren Entwurf mehrfach verschieben – und wurde nun von Merkel und Macron auf der Zielgeraden überholt.
Das sei aber nicht schlimm, beteuert ihr Chefsprecher Mamer. Von der Leyen sei immer für Vorschläge offen, auch andere EU-Staaten könnten sich noch einbringen. Die Nordeuropäer ließen sich nicht lange bitten – und machten unmissverständlich klar, dass sie herzlich wenig von den deutsch-französischen Vorschlägen halten.
„Unsere Position bleibt unverändert“, erklärte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz nach Gesprächen mit den Regierungschefs der Niederlande, Dänemarks und Schwedens. Die „Nordländer“ lehnen EU-Schulden ab und stemmen sich auch gegen den Vorschlag, hilfsbedürftigen Staaten nicht rückzahlbare Zuschüsse oder Transfers zu gewähren. Man sei bereit, mit Darlehen zu helfen, sagte Kurz.
Eher verhaltenes Lob
Positiv wurde der deutsch-französische Plan dagegen in Spanien und Italien aufgenommen. Eher verhaltenes Lob kam aus dem EU-Parlament. „Es ist ein Stück weit mehr Solidarität als bisher gezeigt wurde“, sagte Vizepräsidentin Katarina Barley. Doch geht er vielen Abgeordneten nicht weit genug. Sie fordern bis zu 2 Billionen Euro für den Wiederaufbau und drohen mit einem Veto, falls ihre Wünsche nicht berücksichtigt werden.
Merkel und Macron werden also noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Denn am Ende muss nicht nur das Europaparlament zustimmen, auch die 27 nationalen Parlamente müssen grünes Licht geben. Im Bundestag könnte dies noch Probleme geben. Kleiner Trost für Merkel: Wenn sich die Debatte bis in den Sommer hinzieht, wird sie den EU-Vorsitz inne haben. Deutschland übernimmt am 1. Juli von Kroatien – und kann dem Aufbauplan so seinen Stempel aufdrücken.
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