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Corona-Folgen in FrankreichKonzerne notfalls verstaatlichen

Die französische Volkswirtschaft erlebt gerade wegen Corona die schlimmste Rezession seit 1945. Nun sind weitreichende Maßnahmen geplant.

Renault-Werk bei Paris Foto: Benoit Tessier/reuters

Paris taz | Wegen der dramatischen Folgen der Coronapandemie für die französische Wirtschaft denkt die Regierung in Paris über Verstaatlichungen von wichtigen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen nach. Infrage käme dazu neben den beiden Automobilherstellern PSA und Renault namentlich Air France.

Die französische Fluggesellschaft, an der der Staat mit 14,3 Prozent des Kapitals beteiligt ist, hat Umsatzeinbußen von fast 95 Prozent. Sie soll nun mit einer öffentlichen Finanzhilfe von 6 Milliarden über Wasser gehalten werden.

Wirtschaftsminister Bruno Le Maire hat dazu gesagt, der Staat werde „ohne zu zögern“ sämtliche Instrumente einsetzen – inklusive der Nationalisierung.

Die französische Volkswirtschaft ist wegen der Coronapandemie in die schlimmste Rezession seit 1945 gerutscht. Im ersten Quartal 2020 hat das Bruttoinlandsprodukt einen Rückgang um 6 Prozent verzeichnet. Und auch im zweiten Quartal dieses Jahres sind die Perspektiven alles andere als rosig. Inzwischen sind 5,4 Millionen Erwerbstätige, etwa jedeR vierte, in Kurzarbeit. Das wird die Arbeitslosenversicherung innerhalb von drei Monaten rund 20 Milliarden Euro kosten.

Die Erwerbstätigkeit ist in Frankreich viel stärker gesunken als in Deutschland. In der zweiten Hälfte des Monats März war die Aktivität um 32 Prozent geringer als im Vorjahr. Die Banque de France hat dafür nur einen Präzedenzfall in der neueren Geschichte: „Man muss bis in das von den Mai-Ereignissen [dem Generalstreik und der Jugendrevolte des „Mai 68“, Anm. der Redaktion] beeinflusste 2. Quartal des Jahres 1968 zurückblättern, um einen Quartalsrückgang derselben Größenordnung zu finden.“

Laut einer Schätzung des Statistischen Amtes Insee bedeuten zwei Wochen unter den derzeitigen Ausgangsbeschränkungen einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 1,5 Prozent pro Jahr. Um eine Welle von Konkursen zu verhindern oder wenigstens zu begrenzen, hat die Regierung 45 Milliarden Euro an Stützungsmaßnahmen für die Unternehmen bereitgestellt. Zudem will der Staat Kredite der Unternehmen bis zu einer Gesamtsumme von 300 Milliarden garantieren. Besondere Hilfe wird den Kleinstunternehmen versprochen.

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3 Kommentare

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  • 0G
    09617 (Profil gelöscht)

    Das Problem ist, dass die neoliberalen Regierungen von Sorkozy über Hollande bis Macron und gerade er als Hollandes Wirtschaftsminister, die Juwelen der französischen Industrie verschachert haben. Ausserdem hat Frankreich seit 1983, seit der liberalen Wende mit Premier Fabius unter Anleitung von Jacques Attali eine rigorose Desindustrialisierungspolitik betrieben, um die französische Wirtschaft in ein modernes Dienstleistungsunternehmen umzubauen. Wie würde da über die rückständige deutsche Wirtschaft gespottet, die am produzierenden Gewerbe festhielt. Für Europa die Banken, Versicherungen und Kapitalmarkt, England, das unter Thatcher seine Industrie kaputtgehauen hatte, war mit der City das Vorbild. Inzwischen schaut man wieder nach Deutschland und besinnt sich darauf, dass in einem Land mit starker Inlandsnachfrage eine lokal ausgerichtete Produktion vielleicht doch ganz sinnvoll wäre. Die schmerzliche Abhängigkeit von Importen bei Masken und Tests haben den Franzosen vor Augen geführt, dass ein Land, dass ganz vorne mitspielen will ohne Industrie nicht Auskommt. Dass der Staat dabei mitspielt, ist nicht unbedingt ein Nachteil, alle französischen Weltunternehmen waren mal Staatsbetriebe, die sehr gut liefen und auf dem Altar der wirtschaftsliberalen Ideologie geopfert wurden wie Alstom, Macrons grösster wirtschaftspolitischer Fehler.

  • Wenn man den Staat als Rettungsbetrieb für gescheiterte Unternehmen betrachtet, dann hat kein Unternehmer mehr ein Risiko. Müssen Unternehmen gerettet werden, die Faxgeräte herstellen oder Rollfilmkameras bauen? Firmen, ob groß oder klein, auch Banken, müssen pleitegehen können. Wir können natürlich die Lufthansa wieder verstaatlichen, aber ist das wirklich gut? Volkseigener Betrieb Lufthansa? Der Staat als Unternehmer fuktioniert nie.

  • Genau die Ausrichtung der franz. Wirtschaft die jetzt nachteilig ist in der Krise, wurde jahrzehntelang strategisch verfolgt und vom Staat unterstützt. Sorry, mein Mitleid ist begrenzt. War halt seit Jahrzehnten n mieser Job den man in Paris gemacht hat.



    Ausrichtung auf bestimmte Kernkompetenzen (nicht in der Breite aufgestellt), exportorientiert in die alten Kolonien, Weltmachtsphantasien (Atomwaffen, Flugzeugträger,...)... und natürlich der große Agrarsektor, der nur durch den EU Tropf überlebt.