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Corona-Fall in Obdachlosen-UnterkunftIsoliert mit Hunderten

In Hamburgs größter Obdachlosen-Notunterkunft gab es einen Corona-Fall. Nun dürfen rund 300 Obdachlose die Unterkunft nicht mehr verlassen.

Isolation in der Obdachlosen-Unterkunft Friesenstraße: So gelangt die Schmutzwäsche nach draußen Foto: dpa

Hamburg taz | Auf der Ottenser Hauptstraße in Hamburg sitzt Jens. Er ist obdachlos und kann, wie er sagt, ziemlich entspannt sein angesichts des Corona­virus. Er schläft schon lange nicht mehr in Unterkünften, sondern im Freien. „Und jetzt gerade bin ich darüber auch ganz froh“, sagt er. Er hat von dem Corona-Erkrankten in der Obdachlosen-Unterkunft in der Friesenstraße gehört. „Mit Hunderten auf engstem Raum schlafen will ich jetzt wirklich nicht“, sagt Jens. Die seien dort nun auch zwei Wochen eingesperrt, erzählt er. „Da ist es draußen­ doch angenehmer.“

In der Winternotunterkunft in der Friesenstraße hat es am Wochenende den ersten positiven Test auf das Coronavirus gegeben. Das teilte die Sozialbehörde­ mit. Es ist Hamburgs größte Unterkunft für Obdachlose in den Wintermonaten. Weil möglicherweise der Erreger in der Einrichtung verbreitet wurde, hat das Gesundheitsamt alle dort untergebrachten­ Personen in häusliche Isolation gesetzt. 14 Tage müssen die rund 300 Obdachlosen,­ die sich am Wochenende in der Friesenstraße aufhielten, dort bleiben.

So soll eine Übertragung auf Personen außerhalb der Unterkunft ausgeschlossen werden. Innerhalb der Unterkunft kann nicht ausgeschlossen werden, dass es Übertragungen gab. Wer keine Symptome zeigt, wird wie üblich in den Mehrbettzimmern der Unterkunft untergebracht. „Personen mit Symptomen werden dem üblichen Verfahren gemäß getestet“, sagt Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde. Bisher gab es noch keinen weiteren Verdacht. Sollte es weitere Fälle geben, sollen Erkrankte innerhalb der Einrichtung isoliert werden. „Zwei Etagen des Gebäudes sind dafür eingerichtet, um die Betreffenden von Nichterkrankten zu isolieren“, sagt Helfrich.

Während die Unterkunft in der Friesenstraße nun dicht ist, ist der zweite Standort des Winternotprogramms­ in der Kollaustraße bisher im Normalbetrieb. „Auch dort haben wir schon entsprechende Maßnahmen zur Isolierung eingeleitet, sollte es zu einem Erkrankungsfall kommen“, sagt Helfrich.

Bei uns ist es technisch und räumlich nicht möglich, Distanz zu halten

Holger Mütze, Jesus Center

Vor Herausforderungen stehen Menschen ohne Obdach nicht nur hinsichtlich der Schlafplätze. Auch erste Anlaufstellen für den Tag sind bereits geschlossen worden. So etwa die Tagesaufenthaltsstätte der Diakonie oder das Jesus Center auf dem Schulterblatt. „Bei uns ist es technisch und räumlich nicht möglich, Distanz zu halten“, sagt Holger Mütze vom Jesus­ Center.­ Bis Mitte April bleibt die Anlaufstelle für wohnungslose Menschen­ in der Sternschanze geschlossen. „Wir versuchen aber gerade, Ausgabestellen im Viertel­ für Mittagessen zu organisieren“, sagt Mütze.

Während andere Anlaufstellen für Obdachlose schließen, will das „CaFée mit Herz“ in St. Pauli sein Angebot für Bedürftige­ und Obdachlose so lange wie möglich aufrechterhalten. „Wer kümmert sich denn sonst um die Menschen?“, fragt Jan Marquardt, Geschäftsführer des Betreibervereins. Bei der Essens- und Kleiderausgabe sowie bei den Waschmöglichkeiten­ soll der notwendige Kontakt mit Augenmaß und Kreativität runtergefahren­ werden. Allerdings­ will man den Betrieb keinesfalls einstellen. „Wir sind keine Schönwetterkapitäne“, sagt Marquardt.

Ganz in der Nähe des „CaFée­ mit Herz“ durchforstet Adrian­ in der Mittagssonne einen Mülleimer­ nach Pfandflaschen. Er kommt ursprünglich aus Rumänien, seit einigen Jahren ist er in Hamburg. Momentan­ schläft er im „Pik As“, einer Unterkunft­ für wohnungslose Männer in der Hamburger Neustadt. Dort teilt er sich ein Mehrbettzimmer.­ Angst vor dem Virus habe er nicht, er sagt aber auch: „Ich bin sowieso schon schwer krank.“ Vor einigen­ Monaten habe er eine Lungen-OP gehabt.

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1 Kommentar

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  • Die Situation sollte man ausnutzen und nun mit den obdachlosen Menschen eine intensive Betreuung entwickeln für ihre Zukunft und wie sie wieder möglichst bald in Wohnung und Arbeit kommen, aber die Unterbringung in Mehrbettzimmern und Schlafsäle wären nun das Falsche. Viele obdachlose Menschen sind besonders gefährdet durch Vorerkrankungen und Mehrfacherkrankungen. Nur testen reicht hier nicht.