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Corona-Eindämmung in SchwedenVertrauen und Konsens

Gastkommentar von Meike Büscher

Schweden fährt eine sanfte Strategie im Kampf gegen das Coronavirus. Man folgt dem Rat der Gesundheitsbehörde.

Volle Straßen, wie hier in Stockholm am 1. April: In Schweden noch normal Foto: TT/reuters

V iele mutieren derzeit zu Hobbyepidemiologen. Das Interesse, das Coronavirus und die aktuelle Lage zu verstehen, zeigt sich in den schier unendlichen Beiträgen zu Corona. Dabei besteht eine hohe Unsicherheit über die weitere Entwicklung und ob die restriktiven Maßnahmen ausreichen. Da verwundert der Blick in den Norden und nach Schweden.

Denn hier läuft das Leben scheinbar normal weiter. Die Skigebiete sollen erst Ende dieser Woche geschlossen werden. Dass keine Normalität trotz offener Geschäfte und Restaurants herrscht, merkt man allerdings am eigenen Alltag. Ich treffe meine Freunde mittlerweile zum After-Work-Bier digital über Zoom. Wer kann, arbeitet im Home­office und hilft älteren Verwandten bei den Einkäufen, so wie es die Gesundheitsbehörde rät. Deren Strategie ist auch hier die Abflachung der Infektionskurve und der Schutz von Risikogruppen.

In Schweden funktioniert die Gesellschaft anders, selbst anders als bei seinen nordischen Nachbarn, die schon früh restriktive Maßnahmen eingeführt haben. Schweden ist stark konsensorientiert; das gegenseitige Vertrauen und Eigenverantwortlichkeit werden betont. Es ist weniger die Regierung, sondern der Rat der Gesundheitsbehörde, deren Anweisungen befolgt werden. Dies ist Teil des schwedischen Systems, bei dem Behörden weitreichende Entscheidungs- und Durchführungskompetenzen erhalten und deren Rat die jetzige Regierung folgt.

Meike Büscher

arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Stockholmer Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung für die nordischen Länder.

In den letzten Tagen haben sich allerdings die Todeszahlen weiter erhöht, und die Gesundheitsbehörde reagiert trotzdem weiterhin nicht mit mehr Restriktionen, sondern mit erweiterten Verhaltensanweisungen zum „Social Distancing“.

Wegen des schon jetzt überlasteten und zuletzt niedergesparten Gesundheitssystems können wir nur hoffen, dass die Maßnahmen wirken und die Situation mit den landesspezifischen Besonderheiten von den Experten richtig eingeschätzt wird. Denn ich kann es als neue Hobbyepidemiologin selbst nicht einschätzen.

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4 Kommentare

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  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Das ist wie mit den Regeln im Straßenverkehr.



    Es gibt Länder, da halten sich die Leute freiwillig daran und dann gibt es Länder, da geht es nur mit drakonischen Strafen. Der Gipfel sind Länder, in denen sich keiner daran hält und durch Bestechungsgelder die Strafe wegfällt.

    Schweden ist ersteres, wir sind kurz hinter Schweden...

  • "Corona-Eindämmung in Schweden"

    Dieser Titel ist irreführend, suggeriert er doch, daß tatsächlich eine 'Eindämmung' und nicht eine 'Entdemmung' stattfindet. - Aber ich gehe davon aus, daß der Titel nicht von der Autorin stammt.

    Der Artikel selbst hält die Bewertung der schwedischen Maßnahmen in der nötigen Schwebe. Und es erfreulich, daß eine Autorin, da wo sie etwas nicht weiß, dazu auch steht. Die Stärke zu : 'Ich weiß es nicht', haben leider nur wenige, und in jeder aufgeklärten Diskussion muß es möglich sein zu sagen: 'Ich weiß es nicht.'

    Selbst im Fall, daß die schwedische Strategie wirklich zu einer 'Eindämmung' führt, also Erfolg hat, bleibt es fraglich, ob und was wir in Deutschland daraus lernen können.

    Das schwedische Gesellschaftsmodell mit seiner großen Betonung sozialer Kohäsion - (Volksheim, 'Folkethemmet') - d.h. auch sozialer Kontrolle anstelle Kontrolle 'von oben' - unterscheidet sich deutlich von unserem (und noch viel deutlicher von den angelsächsischen Gesellschaftsmodellen).

    Am ehesten könnte noch ein Vergleich mit Dänemark fruchtbar zu machen sein.

    Wenn wir also u.U. nicht so viel von einer schwedischen Coronna-Bewältigung selbst lernen können - viel könnten wir lernen vom schwedischen, ja, den skandinavischen Gesellschafts- und Sozialsystemen insgesamt (auch wenn diese in den letzten Jahrzehnten 'gelitten' haben).

    Das 'schwedische' oder das 'dänische' Modell eines hochgradig regulierten und 'gebändigten' Kapitalismus, ist m.E. das Beste was wir haben können - denken wir an den us-amerikanischen 'Raubtierkapitalismus', denken wir aber auch an die grandios gescheiterten diversen Sozialismen.

  • Das schwedische Modell gibt auch Wissenschaftler:innen und Regierungen eine Referenz um schon während der Krise und danach die Wirksamkeit der Maßnahmen zu vergleichen und in der nächsten Pandemie die früher oder später kommen wird anzupassen. Bei allen Ländern zeigt sich schon jetzt so deutlich dass auch die Regierungen es hoffentlich endlich begreifen: Der Markt regelt Angebot und Nachfrage im Gesundheitswesen eben nicht. In Krisen wie jetzt sorgen horrende steigende Preise schon für simples Desinfektionsmittel und einfache Schutzmasken zur weiteren Verknappung und Mangel für die Basis der Gesundheitsversorgung. Wir "verdanken" einen Teil der drastischen Maßnahmen komplett dem Neoliberalismus wenn wir auch in Deutschland mit verhältnismäßig vielen Intensivbetten und Beatmungsgeräten am meisten Angst davor haben müssen, dass zu viele Menschen gleichzeitig erkranken und dann sterben bzw. Rettungssanitäter:innen dann entscheiden müssen wen sie bei zu wenig Beatmungsplätzen, Schutzkleidung und medizinischem Fachpersonal dann in die Klinik bringen oder lieber zu Hause wenigstens im Beisein der Familie sterben lassen statt alleine auf einem überfüllten Krankenhausflur ...

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Was in Schweden fehlt ist Transparenz. Bei wieviel Toten endet die sanfte Strategie.



    Wieviele Schweden werden getestet, werden erkrankte Patienten in häuslicher Quarantäne getestet? Valide Zahlen im Vergleich zu anderen Ländern sind kaum zu finden. Die Kriterien für eine Erfolgte Testung liegen nicht offen. Parallelen zu China sind durchaus erlaubt, wenn auch das Beten in Schweden nicht verboten ist.