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Corona-Ausbruch in SchlachthofOsteuropäer als Sündenböcke

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet kassiert Kritik für eine Äußerung über osteuropäische Beschäftigte, die sich mit Corona infiziert haben.

Ein Mann sieht rot: Nach der Kritik lenkte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zumindest ein Foto: Oliver Berg/Pool/reuters

BERLIN taz/dpa | Die SPD hat von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet eine Entschuldigung für eine Äußerung über Schlachthofarbeiter aus Rumänien und Bulgarien gefordert. Der CDU-Politiker hatte am Mittwoch auf die Frage einer Journalistin, was der Corona-Ausbruch in der Fleischfabrik des Tönnies-Konzerns in Rheda-Wiedenbrück über die bisherigen Lockerungen aussage, geantwortet: „Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt. Das wird überall passieren.“

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bezeichnete es als „unsouverän, dass Herr Laschet als Erstes die Bulgaren und die Rumänen, also die Arbeiter, die herkommen, um hier wirklich unter widrigen Umständen in der Fleischindustrie zu arbeiten, dass er die angreift“. Er erwarte daher eine Entschuldigung, sagte Klingbeil am Donnerstag bei bild.de. Die Zahl der positiv getesteten Mitarbeiter des Schlachthofs stieg auf 730.

Nach der Kritik teilte Laschet schließlich mit: „Menschen gleich welcher Herkunft irgendeine Schuld am Virus zu geben, verbietet sich.“ Man müsse davon ausgehen, dass die Arbeitsbedingungen und die Unterbringung der Menschen zur rasanten Verbreitung des Virus unter den Mitarbeitern des Schlachtbetriebs beigetragen hätten.

Einer Expertin für Infektionskrankheiten zufolge ist es „extrem unwahrscheinlich“, dass Hunderte von Coronafällen auf Familienbesuche am Wochenende zuvor zurückgehen. „Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf Tage, sodass ein Wochenendbesuch kaum so eine große Anzahl an Personen erklären kann“, sagte Isabella Eckerle, Leiterin der Forschungsgruppe Emerging Viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten der Universität Genf dem Science Media Center. „Die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen scheinen mit den aktuell notwendigen Hygienemaßnahmen nicht gut vereinbar zu sein.“

Körperliche Anstrengung führt zu hoher Virusausscheidung

Wenn zahlreiche Menschen bei der Arbeit und in ihren Unterkünften nah beisammen sind, könne sich das Virus auch durch nur wenige zuerst Infizierte schnell verbreiten. „Ein weiterer Faktor ist eventuell die körperliche Anstrengung während der Arbeit, die zu höherer Virusausscheidung führt, sowie die kalte und feuchte Luft in den Schlachtanlagen. Feuchte Hände, Handschuhe, Schürzen und Kleidung zum Beispiel beim Hantieren mit Fleischprodukten könnten zusätzlich die Übertragung durch Schmierinfektionen begünstigen“, so die Wissenschaftlerin.

„Wenn sie da 10, 12, 14, 16 Stunden am Tag arbeiten, schaffen sie es nicht, ständig Mundschutz zu tragen und die Abstände einzuhalten“, sagte Freddy Adjan, Vize-Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), der taz. Zudem sei es in der Branche die Regel, dass die meist über Subunternehmer beschäftigten Arbeiter „in fürchterlichen Wohnungen“ mit beispielsweise zwölf Betten und nur einer Toilette und einem Bad „eingepfercht“ seien.

Die Schlachthöfe hätten sich ihrer Verantwortung dafür entledigt, indem sie die Subunternehmer per Werkvertrag bezahlten. Wenn ein Tönnies-Vorarbeiter den Werkvertragsmitarbeitern Anweisungen gebe, „dann ist es kein Gewerk mehr, sondern eine illegale Arbeitnehmerüberlassung“, so Adjan. „Tönnies darf sich da wegen der Werkvertragskonstruktion gar nicht einmischen.“

Billigfleischland Deutschland

Zu Forderungen, Werkverträge beim Schlachten und Zerlegen schon früher als bisher von der Bundesregierung geplant zu verbieten, sagte der Gewerkschafter: „Mir ist es lieber, es kommt am 1. Januar 2021, aber nicht von der CDU/CSU-Fraktion so geschleift, dass es überhaupt nichts hilft.“ Der aktuelle Zeitplan für die Gesetzesänderung sei schon ehrgeizig.

Die Industrie lehnt das Werkvertragsverbot ab, weil sonst wegen der höheren Kosten Betriebe ins Ausland abwanderten oder Fleisch zu teuer wäre. „Das ist Humbug“, sagte Adjan. „Diese Unternehmen haben schon Firmen im europäischen Ausland. Aber sie wissen, dass sie in Deutschland noch billiger produzieren als irgendwo anders.“ Dänemark und Schweden hätten ihre Fleischindustrie an die deutsche Billigkonkurrenz verloren. Zudem würden die Tiere hier gemästet. „Die müsste man auch nach Rumänien bringen. Das wird nicht funktionieren.“

Wenn die Schlachthöfe ihre Arbeiter direkt mit normalen Tarifen beschäftigten, müssten die Verbraucher nur 20 Cent pro Kilogramm Schweinefleisch mehr bezahlen, rechnete Adjan vor.

Unterdessen protestierten Dutzende Lehrer und Eltern mit ihren Kindern vor dem privaten Tönnies-Anwesen, einem Werk des Schlachtbetriebs sowie einer Kirche in Rheda-Wiedenbrück. Protestteilnehmerin Melanie Beforth sagte: „Bildung ist offenbar nicht so wichtig, wie ein Stück Fleisch zu essen.“ Die Familien seien an der Grenze ihrer Leistungskapazität. Nach dem Corona-Ausbruch bei Tönnies sind Schulen und Kindergärten im Kreis Gütersloh geschlossen worden.

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8 Kommentare

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  • Herr Laschet entstammt dem Zonenrandgebiet (Aachen) und ist Katholik. Das Virus des gefährlichen Halbwissens wird also von dort eingeschleppt...

  • Die Schlachthöfe durften im Mai erst wieder arbeiten, nachdem die NRW-Behörden Hygienepläne geprüft und bewilligt hatten, die einen erneuten Ausbruch von Corona nach Coesfeld ausschließen sollten.



    Die Frage an Herrn Laschet ist also, ob seine Behörden den Betrieb des Tönnies-Schlachthofes trotz unzureichender Corona-Prävention genehmigt haben, oder ob sie bei der Kontrolle der Einhaltung geschlampt haben. In jedem Fall haben die Behörden im Lande des Herrn Laschet versagt.



    Verständlich, dass der Ministerpräsident und Kanzleraspirant dieses Thema lieber nicht ansprechen will.



    Es wäre dennoch zu hoffen, dass die Medien sein durchsichtiges Ablenkungsmanöver ignorieren, und ihn so lange zu seinen Behörden befragen, bis wir zufriedenstellende Antworten haben.

  • Zulassen, dass Menschen auf widerlichste Weise ausgebeutet und unter bedrückenden Bedingungen in überfüllten und schlechten Unterkünften gehalten werden. Trotz Vorkommnissen in anderen Schlachthöfen keine bzw. lasche Kontrollen durch die Behörden auf Basis des Infektionschutzgesetzes. Und dann diese fleißigen jetzt noch kranken Arbeiter als Bulgaren und Rumänen, die es aus ihren Ländern einschleppen, verleumden. Laschet pflegt statt einer sozialen eine asoziale Marktwirtschaft und genau in seinem Bundesland sind diese ausgebeuteten Menschen krank geworden, weil er versagt hat.

  • "Die Industrie lehnt das Werkvertragsverbot ab, weil sonst wegen der höheren Kosten Betriebe ins Ausland abwanderten oder Fleisch zu teuer wäre."



    Macht doch nix. Einfach generell dichtmachen aufgrund unmoralischem Geschäftsmodells, wonach Menschen auszubeuten und Tiere umzubringen wären. Konsequenterweise wären Importe für Fleisch zu verbieten.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Uranus:

      Außer Parmaschinken.



      Ihre Schlüpper werden übrigens unter gleichen Bedingungen produziert.

      • @4813 (Profil gelöscht):

        Ich weiß. Zusammen mit weitergehenden Erkenntnissen ließe sich aus solcher Erkenntnis ein antikapitalistischer Stanpunnnkt entwickeln ...

  • RS
    Ria Sauter

    Nur mal so angedacht:



    Bekommt die CDU spenden von der Fleischindustrie,z.B auch von Tönnis?

  • Richtig so, nur das wird helfen!



    Proteste vor allen Werken, Rathäusern und auf den Plätzen. Wenn die Kreiseinwohnerschaft auf die Barrikaden geht, verstehen Politiker, dass es um die Wiederwahl geht. Dann brauchen sie keine ethischen Grundsätze, Handlungsmaximen oder tieferes sozialökonomisches Verständnis mehr.



    Die Angst wird's dann richten - also Leute, malt die Plakate und raus zum Tönnies!



    Zeit hat man ja jetzt, wo die Kinder wieder daheim sind... oder was sagen die Arbeitgeber der Eltern?